Ludwig Mies van der Rohe (1886 – 1969) war einer der bedeutendsten Architekten des zwanzigsten Jahrhunderts. Er wurde in Aachen geboren, arbeitete als Architekt für Peter Behrens und war unter anderem Direktor des Bauhauses in Dessau und Berlin. 1938 gründete er ein eigenes Architekturbüro in Chicago.1 Er nahm mit zahlreichen weiteren Bauten, wie beispielsweise dem Deutschen Pavillon zur Weltausstellung 1929 in Barcelona, Einfluss auf die Entwicklung moderner Architektur. Die Neue Nationalgalerie war eines der letzten Projekte von Ludwig Mies van der Rohe. Der deutsche Künstler Imi Knoebel (*31.12.1940) studierte an der Staatlichen Kunstakademie in Düsseldorf in der Klasse von Joseph Beuys.2
Einleitung
Ludwig Mies van der Rohe
Die Neue Nationalgalerie kann zunächst als quadratischer, rundum verglaster Flachbau auf einer Granitterrasse beschrieben werden.4 Das Gebäude ist in mehrere Teile untergliedert: Die obere Ausstellungshalle, die auf der Terrasse ruht und darunter die Galerie mit Ausstellungs-, Lager- und Arbeitsräumen. Ein Skulpturengarten im Westen schafft eine Verbindung zwischen beiden Teilen, denn er liegt auf der Ebene der Galerieräume und öffnet sich nach oben. Die 8,40 m hohe und etwa 50 m lange Ausstellungshalle ist durch die Glaswände vollständig einsehbar und öffnet sich der Umgebung. Auf diesem transparenten, flachen Kubus liegt eine massive, auffällige Dachplatte von 1,80 m Stärke aus dunklem Stahl. Sie ragt an jeder Seite 7,20 m über die Halle hinaus und wird von acht Stahlstützen getragen, die gleichmäßig um das Gebäude verteilt sind. Diese Konstruktion betont die Horizontale und Flächigkeit des Museumsbaus und lässt ihn massiv und fragil zugleich wirken.
Um in das Ausstellungshaus zu gelangen, betritt der Besucher die Terrasse von der Potsdamer Straße (Osten), dem Reichpietschufer (Süden) oder der Stauffenbergstraße (Norden) aus über eine Rampe oder Treppen. Dabei befindet sich der Haupteingang für Besucher im Osten zur Potsdamer Straße hin. Der Aufbau des Innenraums der großen Halle ist symmetrisch zu einem Schnitt durch das Gebäude von Osten nach Westen angelegt. Rechts und links des Haupteingangs sinken im vorderen Drittel der Halle zunächst die zweiläufigen Treppen in das Untergeschoss ab. Sie sind von einem Standpunkt außerhalb des Museums nicht erkennbar. Dahinter befinden sich schlichte Kassen- und Garderobenanlagen aus Holz. Bis auf zwei weitere schmale Betonstützen im westlichen Hallendrittel, die mit schwarzem Marmor verkleidet wurden, ist das Gebäude leer. Dadurch wird der Raum als sehr frei, weit, klar und offen empfunden.
Die Architektur wirkt konstruiert und ‚gebautʻ, schafft jedoch keinen geschlossenen Raum. Materialien wie Granit am Boden, Stahl in der Konstruktion von Dach und Stützen sowie Glaswände betonen die ‚Gemachtheitʻ und Massivität des Baus und wirken sehr technisch, modern und zeitgenössisch für die Bauperiode von 1962 bis 1968.5 Mies van der Rohes Entwürfe basieren auf der Idee, Konstruktion und Struktur am Gebäude sichtbar zu machen. Das bedeutete für den Architekten, dass Materialien entsprechend ihrer Beschaffenheit eingesetzt werden.6 Pro Konstruktionsteil wird ein Baustoff in seiner Reinform, aber nicht unbearbeitet, eingesetzt. Die Terrasse aus Granit verbirgt den unteren Teil des Gebäudes und positioniert die obere Halle in die städtische Umgebung. Der Stein dient wie in einer Höhle als Dach und Schutz für die Sammlung der Galerie und funktioniert zugleich als Sockel beziehungsweise Podest für die obere Halle. Stahlstützen tragen das ebenfalls stählerne Dach der Nationalgalerie. Die Konstruktion des Gebäudeskeletts vereint damit zwei Gegensätze zu einer neuen Idee: Der Baustoff Stahl verkörpert Eigenschaften wie Langlebigkeit, Stabilität und Massivität. Er ermöglicht dennoch wie in diesem Fall eine dünne Konstruktion, die anhand weniger ‚Bauteileʻ stabil ist. Die gläsernen Wände der oberen Halle schließen den Raum ab und öffnen ihn nach außen. Hier funktioniert das Glas als fester und undurchlässiger, jedoch transparenter Vermittler zwischen Innen und Außen. Der Grundriss eines Gebäudes soll, so fordert es auch Le Corbusier, frei gestaltet werden können. Architektur frei stehender Wände oder offener Raum unter einer Dachkonstruktion auf Stahlstützen sollen die individuelle Entfaltung ermöglichen. „Die Freiheit auf Grund einer statischen Struktur ist für Mies van der Rohe das Wesentliche seines Schaffens.“7
Imi Knoebel
Diesen architektonischen Herausforderungen an die Gestaltung einer Ausstellung stellte sich Imi Knoebel. Die gezeigten Werke umfassen, von einer der ersten Arbeiten des Künstlers aus dem Jahr 1968 bis zur diesjährigen Arbeit, seine bisherige Schaffensperiode.
Die Präsentation beziehungsweise Inszenierung der Arbeiten fand aufgrund der räumlichen Gegebenheiten in außergewöhnlicher Art und Weise statt. Imi Knoebels Kunst bespielte und modifizierte den oberen Ausstellungsraum der Neuen Nationalgalerie. Dabei bestand die Schau aus nur vier Werken: Raum 19 (1968) in seiner dritten Variation aus dem Jahr 2006, Zu Hilfe, zu Hilfe…Batterie (2005) und schließlich Potsdamer Straße 50 (2009). Die Halle wurde für die Präsentation nicht mit Stellwänden oder Ähnlichem unterteilt. (Siehe Abb. 1) So lehnten die graubraunen Hartfaserplatten, -kartons, -kuben und -formen von Raum 19 an den Garderoben und waren bei erstmaligem Betreten der Ausstellung vom Haupteingang aus kaum sichtbar. (Abb. 2 bis 4) Ebenso wenig der phosphoreszierende Kubus Batterie, der integriert in Raum 19 hinter der nördlichen Garderobe stand. (Abb. 4) Beide Werke sind sehr kompakt angelegt. Die geometrisch klaren Formen und Volumina von Raum 19 verdichten sich zu einer Art Lager.8 Daran schließt auch die im Beiblatt zur Ausstellung vorgeschlagene Interpretation von Batterie an: Beide Arbeiten ruhen in sich, sodass die Betrachter vor einen dichten Energiespeicher treten. Der Anstrich von Batterie beleuchtete nachts die Ausstellungshalle von innen. (Abb. 5)
Vor den beiden Drehtüren am Eingang der Halle sah man sich der Arbeit Zu Hilfe, zu Hilfe… gegenüber, einer weißen Wandscheibe mit drei Durchgängen. Knoebel hatte sie 1987 für die Documenta geschaffen, bevor sie jetzt im Jahr 2009 „gleichsam das Tor des Dialogs zwischen Mies van der Rohe und Imi Knoebel“9 bilden sollte. Die Wandscheibe war nach rechts versetzt vor die beiden Haupteingänge gestellt worden. (Abb. 2) Die Absicht, die Ausstellung mit der Aufforderung zu öffnen, der Besucher möge sich für einen Weg entscheiden10, wurde dadurch nicht erfüllt. In der Regel schritten die Gäste durch den Haupteingang vorerst an der Scheibe vorbei in den Raum. Das unterstreicht die Anziehungskraft der veränderten Atmosphäre in der oberen Ausstellungshalle.
Der Dialog zwischen Mies van der Rohe und Imi Knoebel fand am intensivsten anhand der Arbeit Potsdamer Straße 50 statt. Die hohen gläsernen Wände um den Ausstellungsraum hatte Imi Knoebel mit groben breiten Pinselstrichen vollständig weiß gestrichen. Damit griff dieses Kunstwerk am direktesten an die Architektur und somit in deren Raumwirkung ein. Der Werktitel Potsdamer Straße 50, der die Adresse der Neuen Nationalgalerie ist, stellt diese Beziehung unmissverständlich her.
Ein Kennzeichen des Gebäudes ist für die Besucher der oberen Ausstellungshalle die Transparenz des Raumes. Es entsteht der Eindruck, man befände sich eher auf einem Platz, denn in einem Gebäude. Dementsprechend schwierig gestaltete sich bereits in der Vergangenheit die Ausstellung von Kunstwerken in dieser Halle: Andres Lepik erwähnt frühere Zweifel an der Bespielbarkeit des oberen Raumes, die Nutzung von Stellwänden in der Halle sowie deren Verhüllung mit Vorhängen vor den Glaswänden.11 Imi Knoebel dagegen folgte nicht nur dem bereits bewährten Prinzip, seine Kunst mit der Architektur zu vereinen12, er griff mit seinen Werken die Kernpunkte des Mies van der Rohe-Baus auf und an: Die Bemalung der Glasflächen schloss die Ausstellungshalle nach außen hin ab. Der Blick auf die Umgebung des Gebäudes wurde vollständig versperrt und die kennzeichnende Transparenz der Halle zunächst abgeschafft. Die Scheiben wurden jedoch außen vom Sonnenlicht bestrahlt und erschienen dadurch sehr hell und fast durchlässig. Dieses Spiel mit Durchsichtigkeit und Blickdichte nahm Bezug und Einfluss auf die Architektur: Ludwig Mies van der Rohe konzipierte die Ausstellungshalle als zum Stadtgebiet hin offenen Raum. Dieser Blick nach außen beziehungsweise das Eindringen des Außen nach Innen, wurde durch die Intervention Knoebels verhindert. Dennoch betonten gerade die weiße Farbe und das Sonnenlicht, dass es ein Außen gab und öffneten die Halle wieder dahingehend. Durch die Helligkeit in der Halle realisierte der Betrachter nicht sofort, dass die Wände völlig blickdicht waren. Imi Knoebel agierte mit dem Raum, ohne ihn anzugreifen und dabei zu zerstören. Er beschäftigte sich mit den architektonischen Gegebenheiten. Betonte sie, modifizierte ihre Wirkung und interpretierte sie damit neu: Mit einfachen Mitteln kehrte er die Offenheit und Weite der Nationalgalerie nach innen und akkumulierte sie im Bau. Im Sinn Mies van der Rohes ‚nutzteʻ er den Raum der Ausstellungshalle, passte sich ihm aber auch an. Das, was im Beiblatt der Staatlichen Museen als Dialog zwischen Knoebel und Mies van der Rohe benannt wird, ist also eine Interaktion von bildender Kunst und Architektur.
Die räumliche Atmosphäre in der Neuen Nationalgalerie wurde nicht nur durch die Anordnung und Beschaffenheit der oben beschriebenen Werke bestimmt. Ein weiteres wichtiges Kriterium zur Analyse ist das Licht.13 Dafür, dass dieser Punkt besonders in Bezug auf die Neue Nationalgalerie erwähnenswert ist, spricht die positive Kritik zu Ausstellungen wie der der Künstlerin Jenny Holzer.14 Im Zusammenhang mit der Ausstellung Jenny Holzer: OH schuf die Künstlerin im Jahr 2001 eine Installation von Leuchtdioden an der Decke der oberen Ausstellungshalle.15 Orange leuchtende Buchstaben fuhren in dünnen Bahnen entlang der Stahlträger. Sie bildeten lesbare Worte und Sätze. Auch Keith Sonnier zeigte zum Jahreswechsel 2002/2003 eine Lichtinstallation mit dem Titel Ba-O-Ba Berlin an der Neuen Nationalgalerie.16 17 Er befestigte rote, gelbe und blaue Neonröhren an der unteren Kante der Dachauskragung und teilweise auch an der Ausstellungshalle. Im Unterschied zur Arbeit Imi Knoebels handelte es sich bei beiden Werken um Lichtinstallationen, die direkt am Dach befestigt waren und aus sich selbst heraus leuchteten. Imi Knoebel installierte keine zusätzlichen Leuchten und arbeitete an den Glaswänden mit einem anderen signifikanten Merkmal des Gebäudes. Dennoch lässt sich festhalten, dass anhand von Licht die Raumwirkung der Ausstellungshalle verändert werden kann und dass in allen drei Fällen das Kunstwerk seinen umgebenden Raum, also die Architektur beeinflusst.
Raum
In ihrem Essay über die raumwissenschaftlichen Überlegungen in der Ästhetik und Kunstgeschichte schreibt Michaela Ott, dass ein Kunstwerk die Raumwahrnehmung verändern kann.18 Um Knoebels Arbeit in Bezug darauf zu deuten, können verschiedene gedankliche Ansätze miteinander verglichen und auf die Ausstellung bezogen werden. Dabei stellt sich die Frage, wie sich aus diesen Überlegungen heraus das besprochene Kunstwerk einer Gattung zuordnen lässt.
Bis hierher wurde der Begriff ‚Raumʻ als dreidimensionaler, architektonischer Raum, als inneres Volumen des Gebäudes Neue Nationalgalerie gefasst. Hinzu kam der Umgebungsraum um den Bau als nicht architektonisches oder anderweitig begrenztes Volumen; sozusagen ein Außen- oder ‚Wirkraumʻ. Weiterhin genannt wurden Stadtraum oder öffentlicher Raum.
Hinzugezogen wird nun der Begriff eines ‚Betrachterraumsʻ. Das können Kategorien von subjektiver Erinnerung und Erfahrungswelt oder auch einfach ein physischer Raum des Besuchers (Körper) sein. Eduard Führ zitiert Otto Bollnow, der „gelebten Raum als abhängig von der Körperlichkeit der Menschen“19 definiert. Mit der Wahrnehmung dreier Dimensionen (oben/unten, vorne/hinten, rechts/links) positioniert sich der Mensch in seiner Umgebung und setzt sich zu ihr in Beziehung. Der Betrachterraum beinhaltet individuelle Kriterien, die das Kunstwerk beeinflussen. Dieser persönliche Raum wird von dem Kunstwerk immer auch in irgendeiner Form berührt. Am vorliegenden Beispiel kann das bedeuten, die Ausstellungshalle als unterschiedlich zu vorherigen Besuchen oder als nicht den Erwartungen entsprechend wahrzunehmen.
Die Materialien von Knoebels Werken und Mies van der Rohes Architektur machen den Ausstellungsbesuch zu einer fast haptischen Erfahrung, da sie pur auftreten. Der Eindruck, es gäbe an dieser Architektur keine versteckten Baustoffe und die Abstraktion und Konzentration der Arbeiten Imi Knoebels setzen einen Fokus auf Werkstoff und Erscheinungsbild der Arbeiten. In der Ausstellung wiederholten sich geometrische, rechteckige Formen und die Farben von Wänden, Boden, Garderoben und Skulpturen waren gedeckt, wodurch eine ruhige und dennoch spannungsreiche Atmosphäre entstand. Die geweißten Wände filterten ein milchiges, schleierähnliches Tageslicht.
Den vermehrten Blicken der Besucher nach oben nach zu schließen, fand die kassetierte Decke20 mit der orangeroten Installation Jenny Holzers mehr Beachtung als in Zusammenhang mit anderen Ausstellungen. Die Blickführung der Betrachter dominierte nun nicht mehr in der Horizontalen entlang von Dach und Terrasse über den Stadtraum, sondern in einer vertikaleren Ausrichtung entlang der nun offensichtlicheren Begrenzungen des kubischen Raumes der Ausstellungshalle nach oben. Nicht zuletzt hängt dieser Eindruck auch wieder mit dem von Mies van der Rohe gewählten Material zusammen: In den Abbildungen 2 bis 4 ist die Spiegelung der Objekte im Granitboden wie auf einer Wasseroberfläche erkennbar: Der Boden scheint den Ausstellungsraum nicht nach unten abzuschließen. So spielen die Ausstellungsmacher mit dem Wissen über die Festigkeit des Bodens und dem gegensätzlichen Eindruck und irritieren die Wahrnehmung des Betrachters. Selbiges geschieht, wenn es um den Eindruck von Freiraum geht: Der fast leere Ort impliziert Weite und viel Platz zur Entfaltung, die weißen Wände engen ein. Beides steht im Gegensatz zum ‚normalenʻ Auftreten des Hauses mit transparenten Wänden und einem ‚gefülltenʻ Inneren.
Das Füllen oder Leeren von Raum und Volumen spielte so in mehrfacher Hinsicht eine Rolle für die Ausstellung. Die grauen Hartfaser-Figuren füllten Imi Knoebels Studienatelier, den Raum 19 der Düsseldorfer Kunstakademie21, nun betont gerade ihr gesamtes Volumen die Leere im Berliner Ausstellungsraum. Die Differenz von mathematisch berechenbarem Raum (Volumen) und subjektivem Raum (Erlebnis- oder Erfahrungsraum) öffnet sich. Ebenso die Fragestellung nach der Definition oder Begrenzung von Innen und Außen in Bezug auf das Werk. Verschluss und Öffnung verschränken sich mit ihren Wirkungen und Mitteln: Der sonst sichtbare Horizont wird verbannt und Kategorien wie oben und unten werden durch die Spiegelungen im Boden infrage gestellt. Das integriert den Besucher in die Ausstellung beziehungsweise das Werk und greift die Idee von Interaktion zwischen Kunst und Museumsbau auf.
Obgleich den Besuchern das Außerhalb des Raumes durch scheinendes Licht, die Gewöhntheit an die transparente Ausstellungshalle oder einfach den Aufenthalt dort vor Betreten der Schau präsent war, war die Ausstellungshalle faktisch ein von blickdichten Wänden geschlossener Raum, dessen Atmosphäre von der Stadtumgebung nicht beeinflusst wurde. Die zurückhaltende Präsentation der Werke Knoebels legte den Fokus auf die Nationalgalerie als solche und bot dem Künstler die Möglichkeit, sie als Architektur und somit als eigenes Kunstwerk herauszustellen.
Die Halle kann also als Ganzes wahrgenommen werden. Weniger die einzelnen Werke Imi Knoebels als der Gesamteindruck standen im Vordergrund. Das wurde gestützt durch die Kombination von Raum 19, Batterie und den Garderoben- und Kassenanlagen, ferner die Situation, dass in Potsdamer Straße 50 zwei Künstler zusammenwirkten und schließlich den Umstand, dass Zu Hilfe, zu Hilfe… in unmittelbarer Nähe der sonst gänzlich unbetonten Eingänge stand und nicht an zentraler Stelle ausgestellt wurde. Aus dieser Symbiose entsteht ein neues einheitliches Kunstwerk. Mit der Architektur Ludwig Mies van der Rohes und den Arbeiten Imi Knoebels wirken zwei Kunststücke zusammen, die als Ergebnis ein Kunsterlebnis schaffen. Daraus ergibt sich das Problem der Zuordnung zu einer Gattung. Architektur und Kunstausstellung ermöglichen und ergänzen sich gegenseitig. In diesem Wechselspiel liegt eine der entscheidenden Qualitäten des Ausstellungshauses und die Neuartigkeit der Neuen Nationalgalerie als Museumsbau. Das Haus bietet damit bessere Möglichkeiten und optimale Voraussetzungen zur Präsentation von Kunst. Das Gebäude stellt seinen Bespielern eine Aufgabe und kann die ausgestellte Kunst immer noch einen Schritt weiter führen, als sie bereits gegangen war.
Fazit
Aufbauend auf der Beschreibung der Nationalgalerie und der Ausstellung Imi Knoebel. Zu Hilfe, zu Hilfe…, konnte anhand verschiedener Gesichtspunkte herausgestellt werden, dass die Mixtur aus mehreren Kunstwerken ein ganzes, neues Werk ergeben hat. Für den Ausstellungszeitraum im Sommer 2009 war dieses temporär.
Der kurze Vergleich mit zwei weiteren Schauen von Jenny Holzer und Keith Sonnier unterstrich diese These und erweiterte die Zahl der Beispiele anhand derer sich Schlussfolgerungen über die Schwierigkeiten der musealen Werkpräsentation in der Neuen Nationalgalerie ziehen lassen. An der Imi-Knoebel-Ausstellung trat ein Problem in Bezug auf die obere Ausstellungshalle besonders hervor: der Umgang mit Raum. Für Lichtinstallationen oder groß angelegte Arbeiten eignet sich die Halle sehr gut, da diese aus sich heraus wirken und die nötige Ausstrahlungskraft aufbringen können, den dominanten Raumeindruck der Architektur Ludwig Mies van der Rohes zu beeinflussen. So stellt sich etwa die Präsentation fotografischer Arbeiten in einem Raum ohne Wände zum Hängen als schwierig heraus. Dieser Aufgabe widmeten sich anschließend die Künstler Thomas Demand und auch Rudolf Stingel.
Schließlich ist festzuhalten, dass die Neue Nationalgalerie mit ihrer Ausstellungshalle auf der Granitterrasse nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine Möglichkeit für den beauftragten Künstler und/oder Kurator bereitstellt. Kunstwerke werden häufig in möglichst neutraler Umgebung gezeigt. Die Hängung von Gemälden an weiße Wände oder die Feilbietung von Kunstwerken in Reihen kleiner White Cubes auf Kunstmessen gehören dazu. Kunstwerke im öffentlichen Raum stehen in viel stärkerer Wechselbeziehung zu ihrer Umgebung und dieser Museumsbau bietet in mehrfacher Hinsicht Ansatzpunkte, die Präsentation und Inszenierung von Werken neu anzudenken: Die Institution Neue Nationalgalerie ist selbst eine öffentliche/staatliche. Der Raum fließt geradezu durch die hohen Glaswände in seine Umgebung und ist dadurch sehr weit und licht. Wie die benannten Künstler es getan haben, fordert er regelrecht dazu auf, mit dem künstlerischen Schaffen ‚am Bauʻ zu arbeiten. Dabei können den Besuchern auch unkonventionelle Varianten des Ausstellungsbesuchs vorgeschlagen werden: Für Jenny Holzer legten sich viele einfach auf den Boden und Bänke in der Galerie. Bei Imi Knoebel standen die Gäste zunächst etwas ratlos umher und brauchten Zeit, um sich auf die Schau einzulassen…
In Bezug auf meine These bestätigt sich, dass Installationen beziehungsweise ganze Ausstellungen die Architektur ihres Ausstellungsraumes beeinflussen und dadurch unkonventionelle und sinnstiftende Möglichkeiten der Werkpräsentation bieten.22
HU Berlin, Sommersemester 2009
1 Vgl. Werner Blaser: Mies van der Rohe. Zürich: Artemis 1980. S. 198f.
2 Petra Richter: „Zwischen Beuys und Malewitsch. Knoebels Zeit an der Düsseldorfer Kunstakademie“. In: Ausstellungskatalog Imi Knoebel. Hrsg. von Deutsche Bank Kunst. Frankfurt a. M.: Deutsche Bank 2009. S. 19-31.
3 Bilder der Neuen Nationalgalerie, die sie auch in ihrer Umgebung zeigen, sind auf http://de.wikipedia.org/wiki/Neue_Nationalgalerie zu finden.
4 Die Ausstellung Imi Knoebel. Zu Hilfe, zu Hilfe… bespielte nur die obere Ausstellungshalle des Gebäudes. Daher wird in der Architekturbeschreibung das untere Geschoss vernachlässigt. Die Maße sind entnommen aus Werner Blaser: Mies van der Rohe.
5 Werner Blaser: Mies van der Rohe. S. 188.
6 Vgl. ebd. S. 50.
7 Ebd. S. 176.
8 Vgl. Stiftung Preußischer Kulturbesitz/Staatliche Museen zu Berlin: Informationsblatt zur Ausstellung Imi Knoebel. Zu Hilfe, zu Hilfe…. Berlin: Neue Nationalgalerie Mai 2009.
9 Ebd.
10 Vgl. ebd.
11 Andres Lepik: „Neue Nationalgalerie“. In: Die Neue Nationalgalerie. Hrsg. von Peter-Klaus Schuster. Berlin/Köln: DuMont 2003. S. 38-43. Hier S. 40ff.
12 Diese Idee hat sich in Ausstellungen von Jenny Holzer (2001) oder auch Keith Sonnier (2002/2003) ‚bewährtʻ, die Lichtinstallationen in der Galerie ausgestellt und damit auch die räumliche Wirkung des Gebäudes verändert oder betont haben.
13 Der Kunsthistoriker und Lichtdesigner Dr. Christoph Geissmar-Brandi hat von April bis Juli 2009 in einem Seminar zur historischen Lichtsituation in Berlin bereits Lichtzustände untersucht und hat dies in einem Seminar zu Lichtsituationen in musealen Räumen im Oktober 2009 fortgesetzt.
14 Während der Seminarsitzung und auch im Essay Adres Lepiks wurde diese Schau als gelungen besprochen: The American Academy in Berlin (Hg.): Ausstellungskatalog Jenny Holzer. Köln: DuMont 2001.
15 Bilder der Lichtinstallation von Jenny Holzer sind unter http://www.art-in-berlin.de/incbmeld.php?id=191 zu sehen.
16 Vgl. Joachim Jäger (Hg.): Ausstellungskatalog Keith Sonnier. Berlin: Neue Nationalgalerie 2002.
17 Fotos der Lichtinstallationen von Keith Sonnier sind im Internet unter http://www.art-in-berlin.de/incbmeld.php?id=191 und auf der Website des Künstlers http://www.keithsonnierstudio.com/ zu finden.
18 Michaela Ott: „Ästhetik/Kunstgeschichte“. In: Raumwissenschaften. Hrsg. von Stephan Günzel. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2009. S. 14-29. Der Kultur- und Medienwissenschaftler Stephan Günzel hat in diesem Jahr das Buch Raumwissenschaften herausgegeben. Der aktuelle Forschungsstand sowie derzeitige Raumbegriffe und -theorien werden darin für verschiedene Disziplinen erläutert. Michaela Ott hat sich mit dem Raumbegriff in Kunstgeschichte und Ästhetik beschäftigt, Eduard Führ das Problem in Architektur und Städtebau beleuchtet und Hartmut Böhme kulturwissenschaftliche Überlegungen erläutert.
19 Eduard Führ: „Architektur/Städtebau“. In: Raumwissenschaften. Hrsg. von Stephan Günzel. S. 52f.
20 Die hier so genannte Kassetierung resultiert daraus, dass die sich kreuzenden Stahlträger vom Boden aus als Raster an der Decke erkennbar sind.
21 Vgl. Petra Richter: Zwischen Beuys und Malewitsch. Knoebels Zeit an der Düsseldorfer Kunstakademie.
22 Wir danken Carmen Knoebel und Ivo Faber, dass sie uns für diese Arbeit freundlicherweise das Bildmaterial von der Ausstellung zur Verfügung gestellt haben.