Rezensionen

Die Zeit. Wie Natur- und Geisteswissenschaften um sie kreisen.

 Die Zeit spielt eine wichtige Rolle bei Philosophen wie Gilles Deleuze oder Norbert Elias. So ist die Verknüpfung von Naturwissenschaft, Philosophie und Geschichtswissenschaft die dieses Buch leistet vielleicht überraschend, aber gewinnbringend und produktiv.

In Helmholtz-Kurven. Auf der Spur der verlorenen Zeit beschreibt Henning Schmidgen zwei Bilder, die 1851 im Experimentierlabor entstandenen Helmholtz-Kurven, die das Zucken eines Froschmuskels aufzeichnen, also einen Vorgang im Inneren des Körpers sichtbar machen. Der Physiologe und Physiker Hermann von Helmholtz (1821-1894) gibt diesen frühen Zeugnissen des Picturing Time, das charakteristisch für die experimentellen Lebenswissenschaften (Biowissenschaften) des späten 19. Jahrhunderts ist, den Titel temps perdu. Das lässt an Marcel Proust und À la recherche du temps perdu denken und tatsächlich hat Proust diesen von Helmholtz etablierten Begriff für kurzzeitige Unterbrechungen übernommen.

Schmidgen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin und folgt in diesem Buch den Kurven „im Raum ihrer Entstehung und der Zeit ihrer Verbreitung“. Eine Rolle spielt das 19. Jahrhundert, das Zeitalter der Industrialisierung, Technisierung und Beschleunigung, als es zu einer Veränderung in der Erfahrung von Zeit kam, in dem aber auch die Foto- und Kinematografie und die Konjunktur von Museen, Archiven und Bibliotheken verlangsamten: „Mit den Mitteln der Beschleunigung eine Entschleunigung bewerkstelligen – das wäre in Kurzform also der Mechanismus, durch den die Helmholtz-Kurven zu epochalen Bildern werden, und zwar in einem doppelten Sinn. Einerseits markieren sie den Eintritt in eine neue Epoche der quantifizierenden Erfassung und Durchdringung des Lebens. Andererseits machen sie eine Ausschaltung und Aufhaltung im scheinbar  kontinuierlichen Fluss des psychophysiologischen Lebens sichtbar, zeigen also nichts anderes als eine Epoché.“

Das Buch ist sehr kompakt und nicht ganz einfach geschrieben. Schmidgen stellt ausführliche Detailbetrachtungen an und verarbeitet eine große Menge an Informationen aus Wissenschaft und Theorie unterschiedlicher Disziplinen. Es ist aber ein äußerst interessantes Experiment, die Entwicklung in der experimentellen naturwissenschaftlichen Forschung mit der Philosophie und der Kunst des 19. (und frühen 20.) Jahrhunderts zusammen zu denken. Schmidgen verbindet Bodenkunde mit Überlegungen zu Ding und Zeichen – wer ein Interesse an der Naturwissenschaft mitbringt, findet in diesem Buch interessante Denkanstöße.

Henning Schmidgen: Die Helmholtz-Kurven. Auf der Spur der verlorenen Zeit, Merve 2010, ca. 270 S., 20,00€

Lektionen 1. Dramaturgie und Lektionen 2. Regie – Nicht nur für Spezialisten!

Die neue Buchreihe Lektionen liefert das Basiswissen über die wesentlichen Ausbildungsbereiche für das Theater. Fachleute vermitteln kompakt und anschaulich Berufsfelder und Arbeitsweisen in Schauspiel, Regie und Dramaturgie. In Form von Handbüchern werden die wichtigsten Grundlagentexte des Theaters vorgestellt. Lektionen richtet sich an Studierende, professionelle Theaterschaffende und an alle, die mehr über das Theater wissen wollen.
(Quelle: Verlag Theater der Zeit)

 Der Mensch, sein Handeln und die Welt, das ist der Stoff, aus dem Dramen gemacht sind. Das Drama hat mehr mit uns zu tun, als wir vielleicht annehmen. Auch die Regie ist nicht nur für Theaterleute interessant. Menschliches Spiel und „das Erstaunen vor der Verwandlung“ (Robert Schuster), das weite Feld der kreativen Entäußerungen, kann in den Alltag hineingetragen werden.

Bernd Stegemann gibt in Lektionen 1. Dramaturgie einen reichen, sehr anregenden Überblick über die seit der Antike währende Diskussion des Dramas und der Dramaturgie. „Die älteste Bestimmung des Wesens von Drama begründet seine Form in der Aufgabe, die Handlungen der Menschen zum Inhalt zu haben. […] Das Drama erzählt von menschlichen Handlungen, indem es menschliches Handeln selbst zum Darstellungsmittel macht.“

Menschliches Handeln ist aber ein Produkt von Entscheidungen. Entscheidungen werden notwendig, da der mensch zum einen ein Verhältnis zu sich selbst und zum anderen eine Beziehung zur Welt hat, und sich darin positionieren muss. Somit werden Fragen der Dramaturgie, besonders in ihrer philosophischen Dimension, über den geschriebenen Dramentext hinaus relevant.

Bernd Stegemann, selbst Dramaturg und Professor an der Hochschule für Schauspiel „Ernst Busch“, setzt sich mit dem Begriff des Dramas und den Situationen in die der Mensch gerade außerhalb erzählten Lebens gerät, fachkundig auseinander. Die Einführung gibt einen weit gefächerten Überblick über die Dramentheorie, aber auch über philosophische Denkweisen der letzten Jahrhunderte, die daran arbeiteten, den Mensch in seiner Beziehung zum eigenen Selbst und zur Welt zu erfassen. Stegemann schreibt erklärend und nachvollziehbar und fügt seine Kommentare wie auch die Quellen aus zwei Jahrtausenden zu einem stimmigen Ganzen.

Das Buch beginnt mit einer Einführung Stegemanns, die die Grundbegriffe der Dramaturgie klärt. Die folgenden zwölf Kapitel enthalten jeweils mehrere kommentierte Primärtexte von der Antike bis in die Gegenwart. Zu Wort kommen Aristoteles, Einar Schleef, Walter Benjamin, Friedrich Schiller, Heiner Müller, Niklas Luhmann und viele andere, deren Texte sich untereinander produktiv kommentieren.

„Das Nachdenken über die Ausbildung des Regisseurs hat keine lange Tradition.“ Aber Ansätze gibt es doch einige, diesem Beruf auf die Spur zu kommen. Der Band Lektionen 2. Regie, herausgegeben von Nicole Gronemeyer und Bernd Stegemann, reflektiert über Inhalte und Methoden des Regiestudiums, viele der Texte sind aus Beiträgen zur Tagung der deutschsprachigen Regieschulen (2008) hervorgegangen und beschreiben aus unterschiedlichen Richtungen den Beruf des Regisseurs und die Möglichkeit, ihn zu erlernen. In diesem Buch diskutiert eine Disziplin sich selbst, Regisseure und Lehrende an Regieschulen beschreiben das, was sie tun und versuchen, das Medium in dem sie gestalterisch tätig sind so zu erfassen, dass Richtlinien für das Unterrichten der Regie möglich werden.

„Die Menschheit hat ihr Bedürfnis nach Sinngebung u.a. im Theater ritualisiert. […] Ohne diese Neugier [Suche nach Sinn] gäbe es keine Kunst, keine Religion, kein Theater … und wahrscheinlich auch keine Schönheit.“ (Luk Perceval)

Regie ist nicht die schöne Anordnung von Darstellern auf einer Bühne, das stellt diese Textsammlung heraus. Die essayistischen, oft kurzweiligen Texte sind gut zu lesen und machen Spaß.

Angehende Regisseure können sich ein Bild davon machen, was sie in ihrer Ausbildung erwarten mag, außerdem gibt es einen ausführlichen Anhang, der die Studienmöglichkeiten im Fach Regie vorstellt. Ein Kapitel wird allein von Interviews mit Regisseuren bestritten, die über ihre Erfahrungen in der Ausbildung und der Praxis berichten.

Für alle Theaterinteressierten bietet der Band vielerlei Einblicke in diese Kunstform.

Bernd Stegemann (Hg.): Lektionen 1. Dramaturgie, Verlag Theater der Zeit März 2009, ca. 350 S., 18,00€.
Nicole Gronemeyer, Bernd Stegemann (Hg.): Lektionen 2. Regie, Verlag Theater der Zeit März 2009, ca. 200 S., 14,00€.

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