Inga Hesse: Mord im locus amoenus.

Inga Hesse: Mord im locus amoenus. Die Behandlung von amor hereos und petrarkistischem Liebesmodell in den drei Eklogen Garcilasos de la Vega

 

Einleitung

Garcilaso de la Vega gilt als einer der bedeutendsten Poeten der hispanischen Literaturgeschichte. Er ist einer der frühesten Vertreter der Blütezeit von Literatur und Kunst und des politischen und imperialen Einflusses Spaniens, die als Siglo de Oro bezeichnet wird. Geboren 1499 in Toledo, führte er ein kurzes, aber abwechslungsreiches Leben als Mitglied der königlichen Garde und später als Ritter des Ordens von Santiago unter König und späterem Kaiser Karl V. Er nahm an diversen Kriegen und militärischen Missionen teil, war von 1530 bis 1532 Exilgefangener auf einer Donauinsel, ließ sich danach in Neapel nieder und starb 1536 während Karls V. Feldzug gegen Frankreich. Dank seiner Ausbildung bei Hofe war er nicht nur in der Militärkunst bewandert, sondern sprach neben seiner Muttersprache auch Latein, Italienisch und Französisch und besaß ein abundantes Verständnis von Literatur, Philosophie und anderer Wissensgebiete.[1] Von Garcilasos de la Vega literarischem Schaffen sind heute 40 Sonette, fünf Canzonen, eine Epistel, zwei Elegien und die als sein wichtigstes Werk geltenden drei Eklogen erhalten. Dieser kunstfertige und umfangreiche Textkorpus war wegbereitend für nachfolgende Generationen von Dichtern, Schriftstellern und Dramatikern des Siglo de Oro, denn Garcilaso de la Vega setzte sich nicht nur zum Ziel, das Kastilische als eine mit dem Italienischen oder Lateinischen gleichwertige Sprache zu etablieren. Er gilt ebenfalls, zusammen mit Juán de Boscán und Diego Hurtado de Mendoza, als derjenige, der den italienisch-zentrischen Petrarkismus nach Spanien brachte und ihn an die spanische Sprache und Kultur anpasste.[2] Seine meisterhafte Integration jener Stilrichtung in das literarische Repertoire Spaniens ermöglichte nachfolgenden Generationen, einzelne Elemente des einst sehr rigiden Petrarkismus frei in ihren Werken und als festen Bestandteil des literarischen Erbes ihres Landes zu nutzen.[3]

Während Garcilaso in vielen seiner früheren Werke ganz in der petrarkistischen Tradition den Autor Petrarca meisterhaft imitierte, umformulierte und an Kunst noch übertreffen wollte, tritt in seinem Spätwerk ein kritischer und interpretativer Umgang mit dem strikten Regelwerk des Petrarkismus vor die bloße Adaptation bzw. Übertragung der Vorlage. Wen-Chin Li betont, dass vor allem in Garcilasos letztem und wichtigstem Werk, den Eklogen, der klassische, rigide Petrarkismus mit seiner fehlenden Praktikabilität im realen Leben und anderen Unzulänglichkeiten konfrontiert, und er letztlich als Lösung von oder Umgang mit unerfüllter Liebe abgelehnt wird.[4]

In der vorliegenden Arbeit wird untersucht, wie Garcilasos Eklogen das petrarkistische Liebesmodell behandeln, welches Liebesleid als sowohl physische wie psychische Krankheit betrachtet, die im Mittelalter und der Frühen Neuzeit amor hereos genannt wurde. These dieser Arbeit ist, dass Garcilaso das zwangsläufige Scheitern dieses ›Liebesmodells‹ an den inhärenten logischen Unzulänglichkeiten festmacht, und es infolgedessen für unnatürlich und ungesund befindet. Im Anschluss soll festgestellt werden, in welcher Form Garcilaso eine eigene Alternative zum (künstlerischen) Umgang mit unerwiderter, unerfüllter Liebe anbietet. Dazu wird zuerst der petrarkistische Diskurs der Frühen Neuzeit und das zentrale Motiv der Liebe als Krankheit erkundet, dann werden in einer textnahen Lesart die formulierten Fragestellungen in den drei Eklogen Garcilasos untersucht.

Der Petrarkismus in der frühen Neuzeit und sein zentrales Motiv der Liebe als (Geistes-)Krankheit

Der Petrarkismus bezeichnet eine im auslaufenden Mittelalter durch Francesco Petrarca (geb. 1304 in Arezzo bei Florenz, gest. 1374 unweit von Pardua) begründete, sowohl auf der mittelalterlichen Troubadour- und Minnetradition als auch auf den Schriften und Lehren klassischer Autoren wie Cicero, Seneca, Vergil und Augustinus fußende Stilrichtung der Liebeslyrik.[5] Nach dem Tod Petrarcas fand sie eine wachsende Zahl an Bewunderern und Nachahmern und beeinflusste während der Renaissance und frühen Neuzeit zahlreiche Dichter, Autoren, Künstler und Gelehrte.[6]

Petrarca selbst gilt als wichtiger Impulsgeber des in der frühen Neuzeit aufkommenden italienischen – genauer genommen toskanischen – Sprachpatriotismus, da er als einer der ersten und zweifellos bedeutendsten Dichter und Denker seiner Zeit neben Werken auf Latein auch Lyrik in seinem Heimatdialekt, dem Toskanischen, verfasste, und damit die ›Poesiefähigkeit‹ (s-)einer Volkssprache unter Beweis stellte.[7] Speziell mit Blick auf den petrarkistischen Diskurs der Frühen Neuzeit ist hierbei zu beachten, dass zu Lebzeiten Petrarcas seine lateinischen Werke unter Gelehrten höher geschätzt wurden und er selbst diese ebenfalls als bedeutsamer und prestigeträchtiger ansah.[8] Erst im 15. und 16. Jahrhundert lässt sich ein rapider Anstieg der Auflagenhöhe Petrarcas toskanisch-sprachiger Lyrik sowie der Anzahl der Gelehrten und Dichter, die sich mit ihr beschäftigten und sie kommentieren, feststellen.[9] Pietro Bembo etwa, dessen sprachtheoretische Abhandlung Prose della volgar lingua (1525) maßgeblich zur Etablierung des toskanischen Dialekts als gesamtitalienische Literatur- und Kultursprache beitrug und somit wegweisend für die Formierung des Hochitalienischen war, nennt Petrarcas Verwendung der Volkssprache als lyrisches Vorbild – neben Bocaccio als beispielhaftem Vertreter der toskanisch-sprachigen Prosa.[10] Durch jenen entscheidenden Beitrag zur Erhöhung einer Volkssprache, vulgus, zu einer dem Lateinischen ebenbürtigen Sprache der Hochkultur, wurden Petrarcas toskanisch-sprachige Werke auch im Ausland zunehmend zum Vorbild der Legitimation des Status und Ansehens von Volkssprachen.[11] Abgesehen von seinem Einfluss auf die Entwicklung neuer Kultursprachen, wird auch Petrarcas »gewichtige[r] Beitrag, neben Epos und Drama auch die Lyrik als eigenständige Poesieform in der Frühen Neuzeit zu etablieren«, anerkannt.[12]

Integrale Bestandteile des petrarkistischen Stils, speziell auch während seiner europaweiten Blüte in der Frühen Neuzeit, waren dabei vor allem die imitatio (Zurschaustellen des eigenen Könnens durch Reformulierung der von Petrarca und anderen bekannten Petrarkisten etablierten Inhalte), aemulatio (petrarkistische Dichter standen auf gewisse Weise immer miteinander im Wettstreit darum, wer den Stil am kunstvollsten verwenden konnte) und superatio (kunstfertige Überbietung anderer).[13]

Zu den am häufigsten verwendeten Motiven der petrarkistischen Dichtkunst zählt hierbei das für diese Arbeit zentrale Konzept des amor hereos, der Liebe als körperlicher und geistiger Krankheit.[14] Zentraler Bestandteil eines jeden petrakistischen Gedichts ist auf der einen Seite der in Liebe entbrannte und von ihr verzehrte Mann, auf der anderen die schöne, unnahbare Geliebte, unter deren Ablehnung und Unerreichbarkeit der hierdurch quasi emaskulierte Liebende leidet. Das Vorbild aller Geliebten stellt dabei Petrarcas Laura dar, einschließlich ihrer idealisierten Schönheit (Haare so glänzend und hell wie Gold, rubin- oder rosenrote Lippen, eine schneeweiße Brust u. W.) und ihres oft dezidiert ablehnenden, gefühlskalten und den Verehrer abstrafenden Verhaltens.[15] Die Geliebte ist Auslöser und gleichzeitig Nährboden der oft wahnhaften Verehrung durch den unglücklich Liebenden, nie aber Schlüssel zur Erlösung von ihr – sie bleibt emotional und physisch unerreichbar.[16] In rhetorisch verfassten, oft sehr eingängigen Formeln wird das Immergleiche stets auf neue Weise beschrieben. Vordergründig fleht und betet der Liebende seine Geliebte an, ihn zu erhören und ihm ihre Liebe zu schenken, um ihn so von seinem Liebesschmerz zu erlösen. Hintergründig aber wird deutlich, dass sich die Strukturen vor allem auf den (männlichen) Liebenden und die Kunstfertigkeit, mit der er sein Leid zu beschreiben vermag, fokussieren.[17] So wird nicht wirklich ein Ende des Liebesleids angestrebt: Stattdessen, so Wesche, zeichne sich das klassische petrarkistische Gedicht durch seine »Signatur der Unabgeschlossenheit« aus – das Leid muss fortbestehen, damit der Dichter immer neue, noch kunstfertigere Sonette darüber schreiben kann.[18] Die Metaphorik, die zur Beschreibung des Liebesleids verwendet wird, bedient sich dabei extensiv den Symptomen körperlich und geistig krankmachender, wahnhafter Liebe, des amor hereos. Die Etymologie des Begriffes ist nicht eindeutig geklärt: amor stammt vom lat. amare (lieben) ab, zu hereos gibt es verschiedene Theorien. So leitete etwa John Livingstone Lowes in seiner Pionierarbeit zum modernen Verständnis dieses Konzeptes das Wort primär vom gr. erōs (sexuelle Liebe) ab.[19] Jedoch lenkt er selbst ein, dass viele der von ihm studierten mittelalterlichen Mediziner, wie etwa Bernard von Gordon (13./14. Jahrhundert) und Arnaldus von Villanova (13. Jahrhundert), den Terminus vom lat. heros (Held) herzuleiten scheinen.[20] Wietje de Boer schlägt zusätzlich eine mögliche Verwandtschaft mit dem lat. herus (Herr) vor.[21] Als mögliche semantische Implikation beider lateinischer Etymons gibt de Boer an, dass nach damaligem medizinischen und philosophischen Verständnis männliche Angehörige der adeligen Eliten Europas besonders oft von der Liebeskrankheit betroffen zu sein schienen.[22]

Eine gängige medizinische Beschreibung der Ursachen findet sich z. B. in den Schriften Bernards von Gordon. Er definierte die Krankheit als »melancholische Beklemmung, hervorgerufen durch die Liebe zu einer Frau«.[23] Der Ausbruch ereignet sich seinem Kollegen Arnaldus von Villanova zufolge dadurch, dass sich beim Anblick der begehrten Person Geister pfeilähnlich durch die Augen des Erkrankenden bohrten und über das Herz, welches sich beim Anblick erwärme und schneller schlage, bis ins Gehirn gelangten.[24] Dort erwärmten sie den Sitz der sogenannten virtus estimativa (Vernunft) und führten gleichzeitig zu einer Austrocknung und Fehlfunktion der benachbarten virtus imaginativa (Vorstellungskraft oder Fantasie). Das Bild der begehrten Person »brenne« sich auf diese Weise in das Gehirn ein, sodass der Erkrankte nur noch an die Geliebte denken könne und sie auch bei physischer Abwesenheit ständig vor Augen habe. Über die allumfassende Faszination für die unerreichbare Liebe vergäßen die Betroffenen ihre eigenen Bedürfnisse und Aufgaben, was gar tödlich enden könnte.[25] Die Theorie fußt maßgeblich auf der im Mittelalter und der frühen Neuzeit unter Medizinern weitverbreiteten Vier-Säfte-Lehre, mit der physiologische und psychologische Prozesse und Krankheiten erklärt wurden.[26] Die Anfälligkeit für amor hereos wurde mit einem Überschuss an schwarzer Galle in Zusammenhang gebracht, die generell für melancholisches und depressives Verhalten verantwortlich gemacht wurde.[27] Während gegen Ende des 13. Jahrhunderts eine kategorische Aufteilung in ausschließlich männliche Liebeskranke und weibliche Geliebte langsam zur Norm wurde, wie Judith Klinger in Exzesse des Begehrens beobachtet, lässt sich »[d]ie medizinische Konzeption eines exzessiven Begehrens, das schlimmstenfalls zum Tode führt, […] bis in die Antike zurückverfolgen [,] […] [wobei] die medizinischen Autoren weder Männern noch Frauen eine besondere Neigung zur pathologischen Liebe [zuzuschreiben schienen]«.[28]

Liebe zu empfinden und zu zeigen war dabei durchaus kein Tabu in der mittelalterlichen und der frühneuzeitlichen Gesellschaft. So mahnt Thomas von Aquin etwa, dass Liebe und andere Emotionen grundsätzlich dem Menschen zuträglich und unproblematisch seien, aber nur, solange sie sich unter der Kontrolle der sogenannten rationalen Seele befänden.[29] Aufgeteilt in intelligentia, memoria und voluntas (Intelligenz, Erinnerungsvermögen und Willenskraft), müssen sich alle drei Komponenten dieses im mittelalterlichen Denken zentralen Konzeptes im Einklang befinden, um ihrer eigentlichen Bestimmung nachkommen zu können: »Mit der memoria müssen wir uns an Gott erinnern, mit der intelligentia müssen wir ihn erkennen und verstehen, mit der voluntas müssen wir danach streben, ihm nahe zu kommen.«[30] Problempotential entstünde allerdings dadurch, dass je nach Ungleichgewicht der Säfte eine der drei Komponenten versuche, die anderen zu dominieren.[31] Im amor hereos benennt von Aquin die intelligentia als Übeltäterin, welche über die für die Angebetete gefühlte obsessive Passion alles andere (vor allem wichtige intellektuelle Angelegenheiten) ablehnt und vernachlässigt. Dadurch wird sie unfähig, ihrem eigentlichen Zweck, dem Erkennen Gottes, nachzukommen, was wiederum das Gleichgewicht der rationalen Seele erheblich stört.[32] Das Ersetzen jenes höchsten Strebens der Seele durch niedere Bestrebungen (nach körperlicher, passionierter Liebe) galt als Blasphemie, Verletzung der gottgegebenen Ordnung. Aus Sicht der Ärzte beraubte der amor hereos den Erkrankten seines freien Willens und verdammte ihn zu einem tierähnlichen Dasein, ohne Aussicht auf Erlangung des Seelenheils, welches zur damaligen Zeit das eigentliche zentrale Lebensziel eines jeden gläubigen Christen darstellen sollte.[33] Aus Sicht der Medizin war eine Behandlung der Liebeskrankheit also vor allem aus diesem Grund unbedingt notwendig. Eines der zentralen Probleme war allerdings, dass die Erkrankten oft erst nicht geheilt werden wollten, was sich besonders in der zweiten Ekloge am Beispiel Albanios zeigen wird. Dennoch galt der amor hereos nicht als unheilbar, auch wenn man die Verliebten oft zu ihrem Glück zwingen musste. Das folgende Kapitel befasst sich daher damit, wie der amor hereos und das petrarkistische Liebesmodell in Garcilasos Eklogen konfrontiert werden, und wie einige der Figuren letztendlich selbst zur Einsicht gelangen, dass das Liebesleid nicht gut für sie ist und beendet werden muss, während andere sich bis zuletzt gegen diese Einsicht wehren.

amor hereos in der Lyrik

Die Idee allein, dass ein Mann eine Frau so sehr begehrt, dass er darüber an nichts anderes mehr zu denken imstande ist, war so ungeheuer, dass Francisco de Villalobos etwa die Liebe zu Frauen generell als pathologische Fixierung der intelligentia auf eine einzige Person bezeichnet. Er verurteilte die moralischen Transgressionen von Liebe und deren Einfluss auf die rationale Seele strikt.[34] Für ihn und viele Zeitgenossen war Liebe »not only socially disruptive but also intellectually unproductive«.[35] Infolgedessen entstand eine wahre Fülle an medizinischen und philosophischen Traktaten, die danach strebten, den Liebeskranken von seinem Kummer zu heilen. In jenen remedia amoris (Heilmittel gegen die Liebe) treten insbesondere zwei Ansätze hervor. Viele medizinische Gelehrte rieten dazu, Geschlechtsverkehr zu haben – ausgehend davon, dass der amor hereos seine Ursache im Ungleichgewicht der vier Körpersäfte und einem Überfluss an Samenflüssigkeit habe.[36] Eine zweite Heilungsmöglichkeit stellte die Suche nach Ablenkung dar. Ansätze hierfür finden sich bereits bei Ovid, welcher empfahl, die Kunst des Vergessens zu erlernen und Situationen, Orte und Objekte zu vermeiden, die an die Liebe erinnern und das mentale Bild der Geliebten wieder erstarken lassen könnten. Ideale Ablenkungen waren z. B. Reisen und/oder (intellektuelle) Arbeit, wie etwa das Lesen von autoridades, berühmter wissenschaftlicher und philosophischer Schriften, um die geschwächte memoria wieder erstarken zu lassen, oder das Befassen mit und Verfassen von Lyrik.[37] Genau aus jener Empfehlung heraus entstanden allerdings nicht nur Werke, die sich mit der Loslösung von der krankhaften Liebe befassten, sondern auch oftmals solche, die es dem Patienten erlaubten, seine obsessive Leidenschaft im Privaten weiter und noch intensiver auszuleben.

 

Das petrarkistische Liebesmodell: Erfüllung im Leid?

Dass den amor hereos thematisierende Lyrik gemeinhin als sündhaft und moralisch verwerflich angesehen wurde, bezeugt nicht zuletzt etwa Petrarca selbst im dritten Buch seines Secretum. Dort wirft der heilige Augustinus, also eine Autorität christlicher Moral, der den Autor repräsentierenden Figur Franciscus in einer Traumsequenz vor, dass seine geliebte Laura, »die du rühmst und der du alles zu verdanken behauptest, […] dich […] zugrunde gerichtet« hat, indem »[s]ie deinen Geist von der Liebe zu den himmlischen Dingen abgebracht und dein Verlangen vom Schöpfer auf das Geschöpf gelenkt […]« habe.[38] Seine Liebe sei darüber hinaus nicht keusch, sondern von sexuellem Verlangen geprägt.[39] Allen moralischen Einwänden und der Anwendung der Lyrik als remedium amoris zum Trotz würde die petrarkistische Dichtung folglich vor allem mit Worten einen Zufluchtsort für die unglücklich Liebenden schaffen, in dem diese ihren Schmerz zu stillen hofften. Stephan Leopold spricht von einer »Sprache des Aufschubs«, in der alle Frustration über die unmögliche Erfüllung der Liebe und die Abwesenheit bzw. Ablehnung der Geliebten gebündelt ist.[40] So sieht er vor allem in Petrarcas Canzionere, seinem wohl wichtigsten italienischsprachigen Werk und einem der bedeutendsten Beispiele petrarkistischer Dichtung, eher eine Beschwörung »de[s] Körper[s] anstelle der Transzendenz« Lauras, die er mit der fliehenden Nymphe Daphne vergleicht, die sich im altgriechischen Mythos auf ewig dem von Armors Pfeil getroffenen Apoll entzieht.[41] »Die flüchtige ›l’aura‹[42] wird […] zur Chiffre des Anderen im Lacanschen Sinne: Zentrum einer sie umkreisenden, auf sie verweisenden Signifikantenstruktur und bleibt dennoch immer nur Signifikant eines unstillbaren Begehrens.«[43] Als Beispiel hierfür zitiert Leopold die zwei einzigen im gesamten Canzionere von Laura gesprochenen Sätze aus der Kanzone 23 (auch als Metamorphosenkanzone bekannt): »Du darfst kein Wörtchen davon sagen« und »Nicht bin ich, was dir lügen deine Sinne!«[44] Während Laura hier vordergründig ein Verbot an den Dichter ausspricht, über die Liebe zu ihr zu reden, weil er sich in ihr geirrt habe, interpretiert nicht nur Leopold diese Aussage auch in Bezug auf andere Szenen des Canzionere sowie die offensichtlichen und expliziten intertextuellen Bezüge zum Mythos von Acteon und Diana aus Ovids Metamorphosen.[45] Ihr erster Satz weist einerseits auf die Kanzone 52 hin, in der Petrarca – wie Acteon – seine Geliebte beim Baden beobachtet.[46] Im ovidischen Mythos verwandelt Diana den Jüngling, der sie beim Baden überrascht hat, in einen Hirsch, weil sie verhindern will, dass er jemandem davon erzählt.[47] Wie Diana will auch Laura nicht, dass Petrarca von jenen Fantasien spricht, wie er sie z. B. in der Kanzone 52 beschreibt, und aus denen sehr deutlich hervorgeht, dass er Laura auf eine erotische Weise begehrt.[48] So fällt ihr zweiter Satz genau in dem Moment, als in der Kanzone 23 Lauras strafender Blick ihren Verehrer in einen Fels verwandelt und sie ihm so die Fähigkeit zum Sprechen raubt, die er doch aber auch unbedingt braucht, um jene Fantasie überhaupt mit Worten erschaffen zu können.[49] »Damit zeigt sich auch hier wiederum das enge Verhältnis zwischen einem Begehren nach dem Körper der Geliebten und der Verwandlung dieses Begehrens in Dichtung […].«[50]

Lauras in Wahrheit abwesender Körper wird nur durch Sprache heraufbeschworen und bleibt physisch unerreichbar, weil seine Schilderung ein künstliches, aber eigentlich inexistentes, idealisiertes Abbild erschafft, ein »Liebesobjekt […], das die Dichtung immer schon verfehlt«.[51] Jenes Fantasiegespinst bewohnt den vom Dichter bzw. Verehrer geschaffenen Zufluchtsort, und simuliert dort Körperlichkeit und Sinnlichkeit, die in der Realität nie bestanden hat; gleichzeitig ist Grundvoraussetzung für das Bestehen jenes Traumortes, dass jene Körperlichkeit auch dort nie erreicht und das Sehnen danach nie gestillt werden kann. »Es ist die oxymorale Figur aus sexuellem Begehren und Textproduktion, aus Präsenz und Absenz, in der das [Poesiemodell Petrarcas] seine tiefste Falte hat. […] Zwischen […] Körper und dichterischem Corpus verläuft ein Hiat, der niemals geschlossen werden kann.«[52]

Hierbei lässt sich jene Beschwörung mit kunstvollen Worten nicht nur als Wunsch nach romantischer Erfüllung, sondern auch als Streben nach dichterischem Triumph interpretieren. Leopold beobachtet: »Schreibend wird die Hand den Körper nie erlangen, im Gegenteil: sie schiebt [ihn] immer weiter auf zugunsten eines unausgesetzt anschwellenden Corpus, in dem die Schrift ihre Supplementarität beweint und feiert.«[53] So verberge sich hinter einem der zentralen Merkmale der petrarkischen und petrarkistischen Dichtung, der voluptas dolendi (dem paradoxen Beweinen und gleichzeitigen Genießen und Verlängern des Liebesleids), »nicht zuletzt eine Lust am (eigenen) Text, die ohne die Klage über den unerreichbaren Körper nicht sein könnte«.[54] Auch Aileen Feng stellt bei Petrarca fest, dass Laura sich letztendlich als ein bloßes Mittel zum Zweck herausstelle, welches Petrarca als Scheinanlass für seine kunstvolle Liebeslyrik benutzt.[55] Ihr Abbild erhält er dabei weit über ihren Tod hinaus künstlich (also sprachlich und in seiner Imagination) am Leben, was oberflächlich dem Liebenden ein Trost zu sein scheint. Am Ende jedoch wird offensichtlich, dass seine Lyrik primär dazu dient, sich selbst und nicht der (vielleicht nicht einmal realen) Geliebten ein dichterisches Denkmal für die Ewigkeit zu setzen.[56]

Auch von Garcilaso de la Vega könnte vor jenem Hintergrund angenommen werden, dass ihm bei seiner Dichtung die Unsterblichkeit des eigenen Namens wichtiger ist als der Ausdruck authentischen Liebesleids. Und doch gibt es Stimmen, die argumentieren, dass sich sein Werk in ebenjenem Punkt sehr deutlich von dem seines italienischen Dichtervaters unterscheidet. Ignacio Navarrete weist zum Beispiel darauf hin, dass spanischer Petrarkismus zwingend anders als das italienische Vorbild sei, da das Modell in Spanien auf eine andere Sprache, ein völlig anderes literarisches Erbe und andere soziale Konditionen, treffe.[57] Während der italienische Petrarkismus auf literarischen Traditionen wie der (keuschen) höfischen Liebe und ihrer Zelebration des kunstvollen Liebesleidens fußt, bietet die spanische cancionero-Tradition einen ungleich sinnlicheren und aggressiveren Hintergrund, in dem oft die Etablierung sexualisierter maskuliner Dominanz über die begehrte Frau eine zentrale Rolle einnimmt, oft auch durch Vergewaltigung.[58] Der Zweck, die (sexuelle) Erfüllung des männlichen Begehrens, heiligt hier die Mittel; im Kontrast zur höfischen Liebe, lyrischem amor hereos und dem italienischen Petrarkismus, wo die Mittel und ihre Qualität oft der eigentliche Zweck zu sein scheinen.

Außerdem ist zu beachten, dass Garcilaso seine Eklogen bereits durch die Namensgebung offensichtlich in die Tradition der eclogae genannten bukolischen Hirtengedichte Vergils stellt.[59] Hirten und Schäferinnen sind hier nicht einfach nur Viehhüter, sondern auch talentierte Dichter und Sängerinnen. Sie leben in einer idealisierten, ländlichen Welt in Harmonie mit einer abundanten Natur, in der die Arbeit oft hinter Dichtung, Gesang und das freie Ausleben von Liebe und Sexualität zurücktritt.[60] Die in der Bukolik dargestellte Naturimagination ist unter dem Terminus locus amoenus bekannt. Ernst Robert Curtius‘ Definition definiert ihn als idyllischen »Lustort[,] […] ein schöner, beschatteter Naturausschnitt. Sein Minimum an Ausstattung besteht aus […] Bäumen, einer Wiese und einem Quell oder Bach. Hinzutreten können Vogelgesang und Blumen. Die reichste Ausführung fügt noch Windhauch hinzu.«[61] Petra Haß ergänzt jene Definition vor allem in Bezug auf die antike Bukolik: die Landschaft des locus amoenus zeichne sich durch »Fruchtbarkeit und eine zu Liebesgenuß und Schlummer reizende Atmosphäre« aus.[62]

Sowohl in der spanischen cancionero-Dichtung als auch der Eklogentradition sind offensichtliche erotische Kodierungen nicht ungewöhnlich, sodass es nicht verwundert, wenn diese bei Garcilaso deutlicher hervortreten als in den Werken Petrarcas. Wolfgang Matzat hebt hervor, dass schon die »Wahl des pastoralen Genres […] ein deutliches Zeichen einer Neuorientierung« Garcilasos sei, welches die Eklogen und seine vorherigen Werken stark kontrastiere, die vornehmlich Bezug auf den höfisch-petrarkistischen Diskurs nahmen und kaum Bezug auf die Bukolik nahmen.[63] Matzat spricht von einem »Kontextwechsel der Liebeserfahrung [und der] Möglichkeit einer Transformation der höfisch-petrarkistischen Liebeskonzeption«.[64] Der locus amoenus des Spaniers ist in den Eklogen von erotischen Kodes erfüllt, angefangen beim bukolischen Setting, den ausschweifenden Beschreibungen der überaus fruchtbaren Natur und natürlich den naturverbundenen Schäferinnen und Schäfern, die über ihre Liebschaften singen.[65] Diese in den klassischen Vorlagen sexuell sehr aktiven und unbeschwerten Charaktere finden sich bei Garcilaso allerdings in einem anderen, petrarkistisch beeinflussten locus amoenus wieder, in dem sie ihre erotischen Bestrebungen nicht mehr wirklich ausleben können. Dem Prinzip der sprachlichen Aufschiebung folgend, müssten sie sich nun eigentlich mit der Unerreichbarkeit des Objekts ihrer Begierde abfinden.

Die Figur der Geliebten steht im Petrarkismus für ein unstillbares Verlangen; sie ist gar nicht wirklich präsent, vielleicht nicht einmal existent. Navarrete stellt fest: »Garcilaso’s poetry depends on Petrarch’s, but he struggles against an exclusively literary referent and tries to make it, if not mimetic, at least meaningful by reactivating these psychic [also erotischen] elements latent in the Italian’s poetry.«[66] Durch jene Reaktivierung ist allerdings infrage zu stellen, ob den Figuren Garcilasos wie bei Petrarca noch ein rein platonisches Ausleben ihrer Liebe und das Zelebrieren der Kunstfertigkeit, mit der sie ihr Leid klagen, ausreichen kann. Wenn bei Garcilaso die Figur der Geliebten tatsächlich nicht bloßer Vorwand des Autors ist, um formschöne Lyrik zu verfassen, sondern innerhalb des locus amoenus eine äußerst realistisch wirkende schmerzhafte Erinnerung und uneinnehmbare Idealversion der Frau darstellt – kann der Liebende weiterhin einfach akzeptieren, dass er diese niemals erreichen kann?

 

Träume sind Schäume: Scheitern des petrarkistischen Liebesmodells in den Eklogen I und II

Das Unvermögen der Figuren, die Unnahbarkeit der Geliebten zu akzeptieren – und somit das Scheitern des klassischen petrarkistischen Liebesmodells –, manifestiert sich im Verlauf der ersten und zweiten Ekloge Garcilasos anhand der Schicksale der Hirten Salicio, Nemoroso und Albanio. Sie leiden jeweils aus anderen Gründen an unerfüllter Liebe. Salicio hebt als erster der drei in der ersten Ekloge zum Gesang an. Er liebt Galatea, von der nicht deutlich wird, ob sie seine Liebe je erwiderte, die nun aber offensichtlich einen anderen Liebhaber hat. Dies stimmt Salicio bitter und lässt ihn die Geliebte als grausam und kalt anklagen. Er scheint die Verweigerung ihrer Liebe als Ungerechtigkeit zu empfinden.[67] So beklagt er, dass sie eine falsa perjura, eine Lügnerin, und ein engaño, ein Trugbild, gewesen sei.[68] »Du erschufst diese Welt der Hoffnung / das Unmögliche und Ungeahnte zu erreichen / und das Unterschiedliche zu vereinen […]«[69] Die Geliebte wird bereits eingangs als Trugbild bezeichnet, was Leopolds Schema der sprachlichen Verschiebung entspricht, demzufolge das mentale Abbild der Angebeteten doch immer nur für ihre eigentliche Abwesenheit steht. Dass Salicio dies jedoch nur zu erzürnen scheint, ist eher uncharakteristisch für die Figur des unglücklich Liebenden, der dem klassischen Petrarkismus zufolge in jener sprachlichen Verschiebung eigentlich Trost und Befriedigung finden sollte.

Gefolgt wird sein Klagen im zweiten Teil der ersten Ekloge vom Gesang Nemorosos, welcher den frühen Tod seiner geliebten Elisa beklagt. In diesem Abschnitt werden mehrere charakteristische Bestandteile der petrarkistischen Dichtung erwähnt, so etwa die mit dem petrarkistischen Schönheitskatalog übereinstimmende Beschreibung Elisas, und die Hoffnung auf Erlösung vom Liebesleid nach dem irdischen Tod durch Wiedervereinigung mit der Angebeteten im Himmel.[70] Elisa ist dabei noch deutlicher komplett abwesend als Galatea, denn sie lebt nicht mehr. Nemoroso will die irdische Welt verlassen, in der ihm sein Bedürfnis, mit ihr zusammen zu sein, nicht mehr erfüllt werden kann. Dafür versucht er sich mithilfe der sprachlichen Verschiebung in einen himmelartigen Traum-Ort zu flüchten, in der das zuvor heraufbeschworene, übermenschlich schöne und unsterbliche Abbild Elisas und er auf ewig zusammen sein können.[71] Die Abwesenheit der Geliebten sowie die Art, wie ihre imaginären Abbilder in den Köpfen der Hirten beschrieben werden, deuten letztlich darauf hin, dass sich aus der sprachlichen Verschiebung und ewigen Bewunderung der idealisierten Geliebten auf Dauer kein Trost ziehen lassen wird. Salicios Abbild-Geliebte lässt ihn offensichtlich leiden, und auch in Nemorosos Anflehen seiner »göttlichen Elisa« schwingt die unterschwellige Befürchtung mit, dass sie ihn nie erhören wird.[72]

Die erste Ekloge endet mit der Heraufbeschwörung eines Bildes, das jene Ahnung erstarken lässt. Die zwei Schäfer befinden sich am Fuße eines hohen, verlassenen Berges und setzen ihrem Weinen und Klagen erst ein Ende, als sie einen Schatten bemerken, welcher »eilig rasend [angeflogen kommt] / über die schweren Röcke / des höchsten Berges, und, sich erinnernd / wie als ob beide geschlafen hätten, […] / nehmen sie ihre Herden und / entfernen sich, Schritt für Schritt«.[73] Die Verwendung des Begriffes falda, welcher im Spanischen einen Rock, also ein typisch feminines Kleidungsstück, sowie, wenngleich deutlich seltener, einen Berghang bezeichnet, kann als eine nahende Überschattung des höchsten Berges gelesen werden (im Original wird hier altísimo als Adjektiv verwendet, welches nicht nur einfach ein Superlativ ist, sondern auch göttliche, religiöse Konnotation impliziert),[74] welcher für die überhöhte und unerreichbare Geliebte steht. Dies erinnert an ein spezifisches remedium amoris, das Verblassen-Lassen und dadurch Schwächen der Macht des Abbildes der Geliebten über den Verstand des Liebenden, sodass sich dessen memoria und voluntas endlich wieder gegen die bisher lähmende Dominanz der vom Abbild besessenen intelligentia wehren können. Die Schäfer erinnern sich, wie aus einem Traum erwachend, ihrer Pflichten: Sie treiben ihr Vieh zusammen und verlassen den Berg.

Das hier erstmals heraufbeschworene Motiv der gescheiterten, aussichtslosen Liebe als Traum oder trügerische Illusion, von der es sich freizumachen gilt, setzt sich in der zweiten Ekloge auf dramatische Weise fort: indem sie zum quasi pathologischen, jeder Moral entbehrenden und gemeingefährlichen Wahnsinn wird. Schon der Name des jungen Schäfers Albanio, der Hauptfigur der zweiten Ekloge, deutet auf Traum oder Illusion hin. Albanio kann vom Adjektiv albanado hergeleitet werden, dessen Bedeutung der real academia de la lengua española zufolge ›der Schlafende‹ ist.[75] Die Handlung befasst sich mit Albanios amourösen Avancen gegenüber seiner Kindheitsfreundin Camila, die prompt abgewiesen werden, da sie ausschließlich rein freundschaftliche Zuneigung empfindet. Er verliert darüber zunehmend den Verstand und die Kontrolle über sein Handeln, wird gewalttätig und zu einer Gefahr für sich selbst und andere. Dies stellt letztendlich seine Liebe radikal infrage, und lässt den Aspekt des amor hereos als Geisteskrankheit sehr klar in den Vordergrund treten. Brigitte Mager zufolge entspricht Albanios Personifikation einer Art »Sparversion« des Petrarkismus: Seine »willenlose Schwäche [und das] Ausgeliefertsein« seinen Gefühlen gegenüber entsprächen dem tradierten Bild der höfisch-petrarkistischen Liebenden, die ursprünglich komplexe Affektstruktur der petrarkistischen Liebe sei bei ihm jedoch zu einer »sehr reduzierte[n] Gefühlsstruktur« degeneriert.[76] Mager zufolge zeigt die Ekloge II eine kritische Haltung gegenüber der meisterhaft beherrschten petrarkistischen Diskurstradition der imitatio auf, der es oft an emotionaler Authentizität und Tiefe fehle, zumindest wenn das Streben nach Perfektion der Form und semantischer Strukturen zum einzigen oder zentralsten Bestreben des lyrischen Schaffens wird.[77] So mangele es Albanios Liebesschmerz, der ihn in einen ohnmachtsartigen Zustand fallen lässt und den er mit allen Mitteln zu beenden versucht, an der poetischen Qualität und des für petrarkistische Lyrik eigentlich zentralen Genusses der süßen Liebesqual. Wo Petrarca in seinen Werken einen traumartigen »paradoxalen Schwebezustand zwischen Freude und Leid« heraufbeschwor, mit dem unterschwelligen Wunsch, das Liebesleid bis in alle Ewigkeit fortdauern zu lassen,[78] gleicht Albanios Liebesleid hingegen deutlich eher einem pathologischen, voranschreitenden Verlust der geistigen und körperlichen Fähigkeiten. Roger Boase hebt hervor, dass viele der Symptome seines amor hereos (Verwirrung, halluzinatorische Episoden, Orientierungslosigkeit, Ohnmachten und nicht zuletzt seine völlig enthemmten Aggressionsausbrüche gegenüber Camila und seinen Schäferfreunden) denen der Tollwut gleichen, die in der spanischen cancionero-Tradition als eng mit der Liebeskrankheit verbunden angesehen wurde.[79] Ignacio Navarrete attestiert, dass »Albanio’s suffering in no way ennobles him, for the rejected lover is presented as both mad and in the throes of a specifically adolescent passion, which […] has robbed him of his proper social role.«[80]

Sein obsessiver Liebeswahn lässt ihn so sehr die Kontrolle über sein Handeln verlieren, dass er nicht mehr zurechnungsfähig ist, was in der versuchten Vergewaltigung Camilas und dem Angriff auf Salicio und Nemoroso kulminiert. Für den zu jenem Zeitpunkt seit vier Tagen weder schlafenden noch essenden Albanio (wiederum Symptome des amor hereos) verschwimmt zunehmend die Grenze zwischen Realität und Illusion. Er glaubt zunächst, eine schlafende Nymphe (ein idealisiertes und entrücktes Abbild Camilas) vor Augen zu haben, als er eine Lichtung betritt, an der er zuvor oft mit der Geliebten war.[81] Aus einer vorhergegangenen Unterhaltung mit Salicio wird deutlich, dass er in seinen Gedanken ein für das medizinische Verständnis des amor hereos zugleich als Ursprung und Nährboden der Krankheit dienendes, unmenschliches, sich an seinem Leid erfreuendes Zerrbild der einstigen Freundin mit sich trägt.[82] Dieses Phantasma lässt einst rein platonische Liebe in etwas Krank- und Wahnhaftes, moralisch Verwerfliches abgleiten, wodurch Albanio selbst seine Liebe für immer unerfüllbar werden lässt. Albanio realisiert zwar in jener Szene auf der Lichtung seinen anfänglichen Irrtum und erkennt, dass es sich bei der vermeintlichen Nymphe um die echte Camila handelt.[83] Sein moralischer und generell geistiger Verfall in den Wahnsinn ist aber bereits so weit fortgeschritten, dass er versucht, sich an Camila zu vergehen. Letzterer gelingt es nur knapp durch eine List, dem ehemaligen Freund zu entkommen, woraufhin sie ihn für immer verlässt.[84]

Aus einer früheren Bemerkung Camilas geht hervor, dass Albanio sich bereits vor jener Szene, bei seinem ersten Annäherungsversuch, bewusst respektlos und amoralisch verhalten hatte, eine eigentlich undenkbares Verhalten für einen petrarkistischen Liebenden.[85] Spätestens mit dem Vergewaltigungsversuch aber wird deutlich, dass sich, wie Lorena Uribes schreibt, seine einst pure »Liebe […] zu etwas Obsessivem [gewandelt hat], einer Krankheit, [weit] entfernt […] vom platonischen Konzept einer Liebe, die die Seele erhöht«.[86] Albanio sucht aber erotische Befriedigung, angefeuert durch eine gefährliche Obsession mit einem ihn über alle Maße erregenden, persönlichkeitslosen Abbild Camilas. Jenes imagen (dt. Bild) ist bereits so einflussreich, dass es seine geistigen Fähigkeiten und Kontrolle über seine Triebe komplett zu hindern scheint.

Camilas einziger eigener Sprechakt, unmittelbar vor der versuchten Vergewaltigung, zeigt, dass sie als fühlende und aktiv handelnde Figur präsent ist, und damit von vornherein denkbar ungeeignet für die Rolle der entrückten, unnahbaren petrarkistischen Geliebten. Sie klagt einen klaren Brunnen an, in welchen sie Tage zuvor auf Albanios Geheiß geblickt hatte, um die Identität seiner Geliebten herauszufinden: »[A]us welchen Höhen / hast du mich mit nur einem Schrecken gerissen! / Weißt du, dass du mir […] / die Augen aus dem Gesicht gestohlen hast, da ich einen Gefährten, den ich lieb hatte, nun nicht minder liebe / wenn auch nicht auf die Art, die er sich erhofft hatte?«[87]

Das auf pathologischem Wahnsinn basierende Zerrbild jenes Liebesmodells, das in der Ekloge beschrieben wird, weist auf seine eigene Fehlbarkeit hin: Camila steht allegorisch für die eigentlich vom petrarkistischen Liebesmodell verfolgte, keusche Liebe, die die Seele erhöht – die Albanio aber, in seinem tiefenganglosen Schein-Petrakismus, am Ende nicht mehr genug ist. Das Motiv der Liebe als Krankheit zeigt sein ganzes zerstörerisches Potenzial: Alle Beteiligten werden körperlich und psychisch tief verletzt, ihre Bindung zueinander zerstört.

Mord im locus amoenus – Tod des amor hereos in Ekloge III

In Ekloge II wird deutlich, wie ungesund und amoralisch eine solche Verzerrung der Liebe zu einem krankhaften, nicht erfüllten, sexuellen Begehren ist, das zu Gewaltphantasien anregt und jeder positiven Eigenschaft entbehrt. Salicio und Nemoroso erkennen dies voller Sorge um den scheinbar verlorenen Freund und beschließen, ihm zu helfen, sich von jener krankhaften Liebe zu befreien.[88] Im folgenden Abschnitt soll deswegen untersucht werden, wie in Garcilasos zweiter und dritter Ekloge der Heilungsprozess vom Liebeswahn erklärt wird und sich vollzieht, und was danach bleibt.

 

Das Ende des Traums

Nach Camilas Flucht greift Albanio seine Gefährten Nemoroso und Salicio im Glauben an, bereits tot zu sein, und kann nur mit Mühe überwältigt und besänftigt werden. Daraufhin überredet Salicio ihn, für eine Weile zu schlafen: Danach, erklärt er Albanio, werde er sich hoffentlich besser fühlen. Jedoch wird durch drei Verse aus Salicios Gesang in der ersten Ekloge deutlich, dass er weiß, dass Schlafen und Träume für einen Liebeskranken keine erholsame Wirkung haben: »Wie oft schon, während ich schlief im Walde, […] sah ich Unglücklicher mein Übel in meinen Träumen!«[89] Auch hier wird wiederum auf den potenziell gefährlichen Effekt einer auf moralisch minderwertigen Motivationen basierenden krankhaften Liebe und ihrer Illusionen verwiesen.

Nemoroso und Salicio könnten auch für die wiederhergestellte Natur der Seele stehen, worauf bereits ihre Namensgebung hindeutet. Beide litten selbst unter Anzeichen des amor hereos und konnten sich nicht mit der Unerreichbarkeit bzw. Abwesenheit der Geliebten abfinden. Ihr Abbild wurde aber überschattet, als sich die beiden, wie aus ihrem Liebestraum erwachend, ihrer Pflichten erinnerten. In diesem Sinne könnte Albanio nicht nur als Personifikation eines auf die schiefe Bahn geratenen Petrarkismus, sondern auch der erkrankten intelligentia gesehen werden, während Nemoroso und Salicio die wieder erstarkten memoria und voluntas repräsentieren. Gemeinsam besiegen sie die intelligentia, wie auch die beiden Schäfer zusammen den rasenden Albanio übermannen, und verhelfen ihr und ihm wieder zu ihrem gesunden Gleichgewicht.

Nemoroso nimmt dabei die Rolle der memoria ein: Er ist derjenige, der sich einer Heilmethode entsinnt und an die Empfehlung verschiedener Mediziner und Philosophen erinnert, die autoridades zu konsultieren und somit die Moral wieder zu festigen, um dem Liebeswahn beizukommen. Nemoroso erzählt Salicio – der fest entschlossen ist, Albanio um jeden Preis zu helfen und somit die voluntas repräsentiert –, wie er selbst von seinem Liebesunglück erlöst wurde. Auf seiner Wanderschaft fand er einst einen mystifizierten Ort von sagenhafter, unvergänglicher Schönheit am Fluss Tormes.[90] »Dort findet sich alles, was man begehrt: / Tugend, eine edle Abstammung, Besitz und alles das / was ein Gut der Natur oder des Glücks ist«, kurzum alles, was die gesunde Seele eines Mannes eigentlich begehren sollte.[91] Inmitten jenes locus amoenus »[w]ohnt ein Mann […] von solcher Begabung, / dass das ganze Flussufer […] / nie genug bekommen kann von seinen Gesängen«.[92] Jener Mann ist Severo, dessen Weisheit so groß zu sein scheint, dass Nemoroso fürchtet, ihm mit seinen Lobreden nicht annähernd gerecht werden zu können und ihn so am Ende eher zu beleidigen als zu preisen.[93] Hier ist es nützlich, sich kurz mit der Etymologie von Severos Namen zu beschäftigen: Seine Wurzel liegt in lat. sevērus, was hart, streng oder auch drakonisch bedeutet. Das davon abstammende spanische Adjektiv severo kann laut dem diccionario de la lengua española einerseits »riguros, brüsk, hartherzig im persönlichen Umgang und beim Durchführen von Strafen« bedeuten, andererseits aber auch »sehr exakt und streng in der Auslegung von Gesetzen, Befehlen und Regeln«.[94] Weiter spezifiziert Joan Corominas im Diccionario Crítico etimológico den Begriff, indem er für seine historische Verwendung einen konkreten Kontext angibt: »Der strenge Mann bewahrt die Gerechtigkeit, ohne sich von (Mit-)Gefühl beeinflussen zu lassen.«[95] Eine so charakterisierte Person täte demnach Rechtes oder Rechtmäßiges, auch wenn es schmerzt. Sie vergisst über Emotionen ihre Pflichten nicht, wie es etwa der am amor hereos erkrankte Albanio tut, der das ihm anvertraute Vieh Hunger und Durst leiden lässt.[96] Severo kann demnach, im Einklang mit einer allegorischen Lektüre der drei Schäfer-Figuren, als Personifikation der autoridades interpretiert werden. In der Theorie helfen sie dem irren(den) Liebenden mit ihrer Weisheit zurück auf den rechten Pfad. Dafür spricht neben Severos offenbar unendlichem Wissen auch die Tatsache, dass ausgerechnet Nemoroso, die memoria, als erster der drei Schäfer geheilt wird – und zwar in Übereinstimmung mit den damaligen medizinischen Darstellungen in den autoridades.

Severos Heilmethode besteht darin, wie Nemoroso Salicio erklärt, dass er »an einem Punkt die Traurigkeit beseitigt, / jene ungesunde Liebe in Hass umwandelt, / und die Seele in ihren natürlichen Zustand zurückversetzt«.[97] Der wahnsinnigen Liebe soll in Ekloge III beigekommen werden, indem sie in ihr Gegenteil gekehrt wird. Jener Vorschlag erinnert an den des mittelalterlichen Arztes Gordon, welcher riet, dass der Erkrankte das imaginäre Abbild der Geliebten ins Neutrale oder besser noch Negative abändern sollte.[98] Die Liebe zum Abbild muss überwunden werden, der Träumer muss einen Ausweg aus jener Illusion finden und aufwachen – wie Nemoroso.

 

Das Abbild muss sterben

Nachdem die Ekloge II den Leser darüber informiert, dass Nemoroso von seiner unglücklichen Liebeskrankheit geheilt wurde, stellt sich folgerichtig die Frage, wie genau Severo ihm seine Traurigkeit genommen hat. Wie ist die Umwandlung von Liebe in Hass bzw. starke Abneigung aufzufassen?

Die Antwort findet sich in der Ekloge III, welche in einem locus amoenus am Ufer des Flusses Tajo spielt. In der Rahmenhandlung sitzen vier Nymphen am Flussufer und weben aus dem Gold des Flusses feinste telas (was sowohl Textilstoffe, als auch umgangssprachlich Gesprächsstoff bedeuten kann). Nacheinander erzählen sich die Schwestern Geschichten, die letztlich alle von unglücklicher und hoffnungsloser Liebe handeln. Es mag verwundern, dass der Schauplatz sich plötzlich nahe des Tajo befindet, obgleich Nemoroso zuvor in der Ekloge II erzählte, dass er Severo am Ufer des Tormes getroffen hatte. Zu dieser Frage schreibt Margot Arce de Vázquez, dass die pastorale Handlung in Wirklichkeit wohl an den Ufern des Tajo anzusiedeln sei, Garcilaso den eigentlichen Handlungsort aber transformiere, indem er ihn mit mythischen Attributen ausstattet und gemäß zeitgenössischer literarischer Konventionen mystifiziert. Dadurch ähnelten sich alle Orte und die Frage der genauen geografischen Positionierung werde überflüssig.[99] Dies kann allegorisch für die Transformation der Realität in einen zeit- und sorgenlosen Fantasieort des an Liebe erkrankten Geistes stehen. Letzterer nimmt einen vertrauten Ort und ändert ihn dann nach seinen Bedürfnissen ab, ähnlich wie er zuvor mit dem Abbild seiner Geliebten  umgegangen ist. Jene Lesart könnte auch erklären, weshalb es Albanio in der zweiten Ekloge mit fortschreitendem Liebeswahn zunehmend schwerer fällt, Traum von Realität zu unterscheiden. Der entrückte, ideale Ort verstärkt den amor hereos, weshalb es nur sinnvoll erscheint, auch in ersterem den Heilungsprozess anzustoßen, welcher die Umkehrung von Liebe in Ablehnung, von amor in desamor, zum Ziel hat. Wem aber soll dieser Hass in Nemorosos Fall gelten? Es scheint unverhältnismäßig, Elisa, die ohne eigenes Verschulden früh verstarb, für ebenjenes Schicksal zu verabscheuen. Der Höhepunkt der Ekloge III beinhaltet die berühmten Strophen der ninfa degollada, der enthaupteten Nymphe Elisa, deren Tod von ihren Schwestern beweint und in deren Grabschrift der um sie trauernde Nemoroso explizit erwähnt wird. Eine Figur namens Elisa liegt demnach zumindest mit einer fatalen Halsverletzung – potentiell sogar einem abgetrennten Kopf – inmitten des Grüns des paradiesischen Flussufers.[100] Aber wer ist sie wirklich? Unter Anbetracht der Tatsache, dass in Nemorosos Universum die reale Elisa bereits tot ist, und damit jedweder Tötungsakt gegen sie unsinnig wäre, bleibt nach dem Ausschlussprinzip nur noch das in Nemorosos intelligentia vorhandene Abbild der Elisa als potentielles Mordopfer übrig.[101] Hierfür spricht vor allem die Tatsache, dass sie, genau wie Camilas Abbild aus der Ekloge II, als Nymphe dargestellt wird, also als dezidiert nicht-menschliches, mythologisches Wesen. Daraus lassen sich weiterführend Schlüsse darüber ziehen, wieso sie ausgerechnet tödlich am Hals verletzt wurde. Joachim Küpper sieht hierin eine Parallele zu im 16. und 17. Jahrhundert in Spanien weitverbreiteten und nicht strafbaren Ehrenmorden, welche zuhauf in der Literatur und Kunst des Siglo de Oro verewigt wurden. Allerdings betont er auch, dass ausgerechnet das Enthaupten weniger eine Praxis aus dem Bereich der auf starken Emotionsausbrüchen beruhenden Affekttaten (wie etwa Strangulation oder Erstechen), sondern damals eher im juridischen Bereich zu finden sei. Es sei eine offizielle, von einem Richter verhängte, regelkonforme Strafe – und eine dezidiert passionslose Art, zu töten.[102]

Passionslosigkeit passt nicht zu obsessiver Liebe und ist in Zusammenhang mit den drei Geschichten von unerfüllter Liebe zu erklären, die in der dritten Ekloge vor den Elisa-Versen erzählt werden. Küpper sieht in jenen Erzählungen der Nymphen am Tajo »zwei semantische Isotopien: eine zunehmende und eine abnehmende.«[103] Die abnehmende Isotopie ist die Hoffnung auf ein Wiederaufnehmen der Beziehung und ein Wiedersehen mit den Geliebten im Jenseits nach dem Tod der unglücklich Liebenden. Die zweite Isotopie hingegen, die mit jeder Geschichte der Nymphen erstarkt, ist die eines gewalttätigen und endgültigen Todes.[104] So ist der Tod Eurydikes in der Schilderung der ersten Nymphe noch ein unglücklicher Zufall: Sie stirbt durch einen Schlangenbiss, nicht durch Gewaltanwendung.[105] Ihr Ehemann Orpheus hat daraufhin die einzigartige Möglichkeit, sie aus dem Reich der Toten zurück in das der Lebenden zu führen, welche er jedoch verwirkt, als er sich auf dem Weg aus der Unterwelt hinaus zu ihr umdreht, obwohl ihm ebendies verboten war.[106] In der Erzählung der zweiten Nymphe existiert bereits ein latentes Element intentionaler Gewalt: Daphne entzieht sich dem von Amors Pfeil getroffenen Apoll und muss letztlich in einen Lorbeerbaum verwandelt werden, um dem ungebetenen, sich ihr aufdrängenden Verehrer zu entkommen.[107] Es gibt wenig Hoffnung für ihn oder sie: Obwohl beide noch leben, befinden sie sich jedoch respektiv in einem emotionalen und physischen Zustand, der ein normales Weiterleben oder die Hoffnung auf erfüllte Liebe unmöglich macht.[108] Die dritte Erzählung schließlich enthält ein Element willentlich verübter Gewalt, welches konsequent umgesetzt wird: Ein Eber tötet brutal den jungen Adonis, den menschlichen Geliebten der Göttin Venus.[109] Der Tod ist definitiv, hoffnungslos unumkehrbar, grausam und durch Fremdverschulden verursacht, wenn auch als Jagdunfall getarnt. In Anspielung auf den Originalmythos, in dem das Tier der Venus verwandelter, eifersüchtiger Ehemann, der Kriegsgott Mars ist, wird angedeutet, dass das Handeln des Ebers eine seltsame Heftigkeit und Gewalt besitzt.[110] Der scheinbare Jagdunfall ist also in Wirklichkeit ein blutrünstiger Mord.

Der Körper Adonis‘, einst der Inbegriff vollkommener menschlicher Schönheit, liegt von einer übermenschlichen Macht besiegt und von blutigen Wunden entstellt im Gras, und bietet einen bildsprachlichen Übergang zum ebenfalls wunderschönen und tödlich verletzten Körper des Abbilds Elisas, der ninfa degollada.[111] Hier ist der Mörder nicht bekannt, der Tod nichtsdestotrotz endgültig und unansehnlich, selbst die Intaktheit des leblosen Körpers ist durch die Abtrennung des Kopfes unwiederbringlich.[112]

»The […] ever-receding hope for love, the increasing insight that physical death’s violence is the final word regarding the question of what our love will become in the future […] seems to be the rationale behind […] this particular order [der vier Geschichten].«[113]

Die einst brennende Leidenschaft, geboren aus der Hoffnung auf einen eventuell doch noch glücklichen Ausgang der Liebe, erlischt endgültig, als die vierte Nymphe ihren Schwestern von der toten Abbild-Elisa berichtet. Mit dem Ende der Leidenschaft für Elisa und dem Ende der Hoffnung auf ein Wiedersehen im Himmel muss letztlich auch das Abbild sterben. Durch die Enthauptung erhält es seine gerechte, rationale Strafe dafür, in Nemoroso irreführende Illusionen aufrecht erhalten und ihm Qualen bereitet zu haben. Die Abtrennung des Kopfes macht in diesem Falle speziell auch die Augen des Abbildes für immer unschädlich, von welchen dem medizinischen Verständnis des amor hereos zufolge der Bann ausging, in dem sich der Liebende befand.

Trotz des sehr düsteren Bildes, das Garcilaso in jenen Versen malt, bleibt dem geheilten Nemoroso am Ende ein kleiner Trost. Ein Teil der Geliebten kann im übertragenen Sinne durch ihn weiterleben: ihr Name. Die von den trauernden Nymphen verfasste Grabschrift lautet:

Ich bin Elisa, in deren Namen / der höhlendurchzogene Berg erklingt und klagt, / als Zeuge des Schmerzes und der großen Trauer, / unter denen Nemoroso meinetwegen leidet / und aus vollster Lunge »Elisa«, »Elisa« ruft; / es antwortet der Tajo, und trägt eilig / meinen Namen ins Meer Lusitaniens, wo er gehört werden wird, darauf vertraue ich.[114]

 Die Erwähnung von Elisas Namen in Nemorosos Gesängen wird vom Tajo aufgefangen und mit Echos beantwortet. Ähnlich der Nymphe Echo, die aus Liebeskummer ihren physischen Körper verkümmern ließ, bis sie als bloße Stimme nurmehr die letzten an sie gerichteten Worte wiederholen kann, ist Elisas physischer Körper vergangen.[115] Elisas Name und die bittersüße Erinnerung an ihre Liebe jedoch leben in den Gesängen Nemorosos weiter, deren Klang vom Tajo in die Welt hinausgetragen wird und so von Menschen andernorts gehört werden kann, »damit diese beklagenswerte Geschichte / nicht nur in den Wäldern erzählt werde / sondern in den Wellen Beileid / mit der Botschaft davon gezeigt werde […] / […] und dass sie sich so verbreiten möge […] / im nassen Reich Neptuns«.[116]

Fazit

Schlussendlich lässt sich festhalten, dass Garcilaso das petrarkistische Liebesmodell nicht einfach übernommen und lediglich an einen spanischen Kontext angepasst hat. Er hat es vielmehr in den Eklogen untersucht, die logischen Unzulänglichkeiten eines künstlich am Leben erhaltenen Liebesleids ohne realen Bezugspunkt erkannt und gefährlich für die emotionale und physische Gesundheit des dem Liebeswahn anheimgefallenen Individuums, sowie für dessen Stellung als produktives Mitglied der Gesellschaft identifiziert. Aus seiner Darstellung der drei an amor hereos leidenden Hirten, insbesondere der Albanios als personifiziertem Petrarkismus, und der Heilung Nemorosos, der intelligentia, die für das Gleichgewicht der rationalen Seele unabdingbar ist, lässt sich ein realistischerer, gesünderer und heilsamerer Umgang mit unerfüllter Liebe erkennen als der petrarkistische. Den Hirten wird zugestanden, dass es nicht ausreicht, die Geliebte immer nur von weitem zu sehen und die Liebe zu ihr niemals realisieren zu können. Wer sich wie Albanio in solch einer Situation dazu zwingt, sich immer weiter, ob physisch oder in Gedanken, in ihrer Nähe aufzuhalten, dessen Liebesleid kann zur Obsession verkommen und damit ihm selbst und anderen zur Bedrohung werden. Das wahrlich zu verachtende Element ist hierbei nicht das sehr natürliche Bedürfnis nach körperlicher Nähe, sondern das pervertierte Zelebrieren und künstliche Verlängern des Liebesleids, sowie der daraus resultierende Verlust des seelischen Gleichgewichts und das Vernachlässigen der privaten und gesellschaftlichen Pflichten. Wenn also Liebe unmöglich erfüllt werden kann, sollte man sich seiner Rationalität und seines Pflichtbewusstseins erinnern (Severo), trotz Liebesschmerz das Richtige tun, und die trügerische Hoffnung auf Unmögliches überwinden.

Dies bedeutet nicht, dass die Liebe, die man empfunden hat, komplett verschwinden und in Vergessenheit geraten muss. Ein Echo ihrer kann etwa in Gedichten, Liedern oder anderen Kunstwerken, und durch deren Tradierung über Generationen hinweg fortbestehen. Jedoch muss man jene unglückliche Liebe letztendlich immer überwinden und ihre bedingungslose Unerfüllbarkeit akzeptieren – sie darf am Ende nicht mehr sein als eine bittersüße Erinnerung, ein tragisch-schönes Motiv für Gedichte und Anekdoten. Niemals darf die Erinnerung den Verstand überwältigen und zu mächtig werden, ein oberflächliches und verzerrtes Abbild der Geliebten die Gedanken beherrschen und die Fähigkeit zum rationalen Handeln und Denken lähmen. Denn wenn die Liebe durch das Heraufbeschwören illusionärer Wunschträume und einer imaginären, die Realität ablehnenden Fantasiewelt noch lange nach deren eigentlichem Tod weiter künstlich beatmet wird, verliert sie ihre genuin positive Qualität. Was unter ihrem Einfluss zu Papier gebracht wird, wirkt wenig authentisch und ist eine Zerrversion ehrlicher Emotionen; die Liebe wird missbraucht, um sich selbst – anstatt der Liebe – ein Denkmal zu setzen. Wird sie hingegen als schöner, aber unrealistischer Traum akzeptiert und emotional überwunden, ist es möglich, aus ihr den Stoff für ein von authentischer Liebe und ihrer tragisch-schönen Unrealisierbarkeit handelndes Werk zu entwickeln. So kann sich eben nicht nur der Kunstschaffende selbst zu Ruhm verhelfen, sondern auch an jene unmögliche Liebe erinnern, und ihrem Echo auf diese Art ewiges Fortbestehen sichern – während er selbst ohne schlechtes Gewissen sein Glück andernorts suchen kann.

 

[1]Vgl. die Biografie der Asociación de los Amigos de Garcilaso de la Vega, abgerufen am 29.03.2019 unter http://www.garcilaso.org.

[2]Vgl. Wen-Chin Li: El alma y el amor. Estudio del Espiritualismo de Petraca y su influencia en dos poetas españoles del siglo XVI: Garcilaso de la Vega y Fernando de Herrera. Sevilla: Universidad de Sevilla 2016. S. 322ff.

[3]Ebd., S. 322.

[4]Wen-Chin Li: El alma y el amor. S. 328. Li argumentiert, dass der Petrarkismus bei vielen seiner spanischen Nachahmer durch die vielfache Imitation der poetischen Form allmählich an Glaubwürdigkeit verliere, da die zugrunde liegenden Emotionen dabei nicht nachvollzogen würden. Die Folge seien Werke, die an der Oberfläche zwar alle stilistischen Merkmale des Petrarkismus aufwiesen, inhaltlich allerdings »leere Formeln ohne jegliche Bedeutung« seien. Auf S. 322ff. konstatiert Li, dass Garcilaso der erste spanische Poet war, dem die »unbequeme Aufgabe [zufiel], [den] Petrarkismus auf Spanien passend zu schreiben.« Dank ihm, so Li, seien spätere Dichter in der Lage gewesen, sich eines an die spanische Literaturtradition angepassten petrarkistischen Repertoires zu bedienen, mit dem sie freier und origineller umgehen konnten als mit bloßen übertragenen, aber nicht adaptierten Formeln.

[5]Erduana Shala: »Francesco Petrarca. Wegbereiter des Humanismus.« In: Der wunderbare florentinische Geist. Einblicke in die Kultur und Ideengeschichte des Rinascimiento. Hrsg. von Michael Schmidt und Michael Wendland. Karlsruhe: KIT Scientific Publishing 2011. S. 77-83. Hier S. 81.

[6]Zu den literarischen Vorbildern für Petrarcas Werke siehe z. B. ebd., S. 82.

Der Begriff ›Petrarkismus‹ basiert in erster Linie auf einer im 16. Jahrhundert aufgekommenen, zunächst abwertenden historischen Bezeichnung für Kommentatoren und Biografen Petrarcas, gelegentlich auch für seine Nachahmer, vgl. Jörg Wesche: »Petrarkismus.« In: Diskurse der Gelehrtenkultur der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Herbert Jaumann. Berlin/New York: de Gruyter 2011. S. 55-85. Hier S. 64.

[7]Jörg Wesche: »Petrarkismus.« S. 56.

[8]Erduana Shala: »Francesco Petrarca.« S. 81.

[9]Jörg Wesche: »Petrarkismus.« S. 58f.

[10]Carol Kidwell: Pietro Bembo, Lover, Linguist, Cardinal. Montreal: McGill Queens-University Press 2004. S. 229ff.

[11]William J. Kennedy: »Iberian, French and English Petrarchisms.« In: The Cambridge Companion to Petrarch. Hrsg. von Albert R. Ascoli und Unn Falkeid. Cambridge: Cambridge University Press 2015. S. 210-218. Hier S. 211.

[12]Jörg Wesche: »Petrarkismus«. S. 56.

[13]Ebd., S. 62f.

[14]Ebd., S. 61.

[15]Ebd.

[16]Ebd., S. 57.

[17]Ebd., S. 60ff.

[18]Ebd., S. 58.

[19]John Livingston Lowes: »The Lover’s Maladye of Hereos.« In: Modern Philology 11 (1914) H. 4. S. 491-546. Hier S. 492ff.

[20]Ebd., S. 497ff. Livingston Lewis bemerkt in einer Fußnote auf S. 497, dass es zumindest für Arnaldus von Villanova starke Indizien gäbe, die suggerierten, dass er kein Griechisch beherrschte und daher hereos nur vom Lateinischen ableiten konnte.

[21]Wietje de Boer: »Figments of the Imagination: Medical and Moral Discurses on Love in the Counter-Reformation.« In: Ut pictura amor. The Reflexive Imagery of Love in Artistic Theory and Practice, 1500-1700. Hrsg. von Walter S. Melion, Michael Zell und Joanna Woodall. Leiden/Boston: Brill 2017. S. 27-58. Hier S. 33.

[22]Ebd.

[23]Zitiert in Bernhard Haage: »Amor hereos als medizinischer Terminus technicus in der Antike und im Mittelalter.« In: Liebe als Krankheit. 3. Kolloquium der Europäischen Forschungsstelle für europäische Lyrik des Mittelalters. Hrsg. von Theo Stemmler. Tübingen: Narr 1990. S. 31-73. Hier S. 33.

[24]Obwohl Garcilasos Werke im 16. Jahrhundert entstanden, basiert das von ihm extensiv genutzte und für petrarkistische Liebesdichtung typische Motiv des amor hereos zu großen Teilen auf der im Mittelalter europaweit aufgekommenen Vorstellung von krankhafter Liebe als Folge einer aus dem Gleichgewicht geratenen Seele. Sowohl von Gordon als auch Vilanova gehören zu den Autoren, aus deren Schriften unser heutiges Verständnis von mittelalterlicher europäischer Medizin schöpft.

[25]Bernhard Haage: »Amor hereos als medizinischer Terminus technicus.« S. 38.

[26]Das Gleichgewicht der vier menschlichen Säfte Blut, Schleim, gelber und schwarzer Galle war laut jener Lehre unerlässlich für die Gesundheit des Menschen, und verschiedene Krankheiten wurden als Folge eines Ungleichgewichts jener Säfte verstanden.

[27]Bernhard Haage: »Amor hereos als medizinischer Terminus technicus.« S. 44.

[28]Judith Klinger: »Exzesse des Begehrens. Amor hereos und die Ausbildung männlicher Identitäten.« In: Weltbilder des mittelalterlichen Menschen. Hrsg. von Hans-Dieter Heimann, Martin M. Langner und Birgit Zacke. Berlin: Weidler 2007. S. 111-134. Hier S.112ff. Die ersten Ansätze einer geschlechtsspezifischen Kategorisierung beobachtet sie erst im Viaticum-Kommentar von Petrus Hispanus, verfasst um das Jahr 1250, welcher allerdings immer noch nur davon spricht, dass Männer aufgrund ihres trockenen Gehirns anfälliger für die Krankheit seien als Frauen (von welchen man glaubte, dass sie ein feuchteres Gehirn hätten), da sich Abdrücke, wie jener der geliebten Person, auf trockenem Material besser hielten als auf feuchtem.

[29]Robert Folger: Images in Mind. Lovesickness, Spanish Sentimental Fiction and Don Quijote. Chapel Hill: University of North Carolina Press 2002. Hier S. 47f.

[30]Frei übersetzt nach der Floresta de philósophos (?:96), zitiert bei Robert Folger: Images in Mind. S. 49: »Por la memoria devemos remembrar a Dios, por el entendimiento lo devemos ver e conocer, con la voluntad devemos desear abraçarnos con Él.« – Die Floresta de philosophos ist eine kastilische Anthologie (ca. 15. Jahrhundert, genauere Datierung nicht bekannt), deren Autorschaft unklar ist. Sie bezieht sich sowohl auf klassische Autoren, vor allem Seneca, als auch auf mittelalterliche Gelehrte wie etwa Boethius und Bernhard von Clairvaux.

[31]Robert Folger: Images in Mind. S. 49.

[32]Ebd., S. 50.

[33]Ebd., S. 49f.

[34]Ebd., S. 46.

[35]Ebd., 46f.

[36]Ebd., S. 51f.

[37]Ebd., S. 52f. Gute, also moralisch nicht verwerfliche Lyrik, sollte dem Geist lediglich als eine Art Training dienen, und diejenigen, die sich mit ihr beschäftigten oder sie schufen, mit Rat und Weisheit ausstatten und gleichzeitig von ihren mentalen Fähigkeiten, ihrem ingenium, zeugen.

[38]Francesco Petrarca: Secretum Meum – Mein Geheimnis. Lateinisch – Deutsch. Hrsg., übers. und mit einem Nachwort von Gerhard Regn und Bernhard Huss. Mainz: Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung 2004, S. 260 f: Orig.: »Ab amore celestium elongavit animum et a Creatore ad creaturam desiderarium inclinavit.« Die Figur Franciscus wird im Prolog als Autor der Africa, eines weiteren Werkes Petrarcas, vorgestellt, und kann damit als intradiegetische Repräsentation des Autors verstanden werden, vgl. Klaus W. Hempfer und Gerhard Regn: »Pluralisierung von Wahrheit im Individuum: Petrarcas Secretum.« In: Francesco Petrarca: Secretum Meum – Mein Geheimnis. S. 493-544. Hier S. 495.

[39]Ebd., S. 262ff: » [21] FRANCISCUS: Ich rufe sie, die hier sitzt, als Zeugin an und mache mein Gewissen zum Mitzeugen dafür, dass ich […] den Körper jener Frau nicht mehr geliebt habe als ihre Seele. Das kannst du an Folgendem erkennen: Je höher ihr Lebensalter wurde – was die unvermeidliche Vernichtung der körperlichen Schönheit bedeutet –, desto fester beharrte ich auf meiner Überzeugung. […] AUGUSTINUS: […] Hätte dir dieselbe Seele genauso gefallen, wenn sie in einem faltigen, knochigen Körper gewohnt hätte? FRANCISCUS: Das wage ich freilich nicht zu sagen. Die Seele kann man ja nicht sehen, und eine solche körperliche Erscheinung hätte keine derartige Seele erwarten lassen. Doch könnte sie sich meinen Augen zeigen, so würde ich in der Tat die Schönheit der Seele lieben, auch wenn sie eine häßliche Behausung hätte. AUGUSTINUS: Du versuchst dir mit Worten zu helfen. Wenn du nämlich nur das lieben kannst, was sich deinen Augen zeigt, dann hast du einen Körper geliebt.«

[40]Stephan Leopold: Die Erotik der Petrarkisten. Poetik, Körperlichkeit und Subjektivität in romanischer Lyrik Früher Neuzeit. München: Wilhelm Fink 2009. S. 85.

[41]Ebd.

[42]›l’aura‹, ital. für Lufthauch oder Aura, ist ein Wortspiel mit dem homophonen Namen der Geliebten, Laura, und soll vermutlich auf die Transzendenz verweisen, die Petrarca selbst im Secretum mit seiner Verehrung Lauras zu verfolgen behauptet, vgl. Francesco Petrarca: Secretum Meum – Mein Geheimnis. S. 264ff.

[43]Ebd., S. 85.

[44]Orig.: »Di ciò non far parola. […] I’non son forse chi tu credi!« Francecso Petrarca: Canzionere, Triumphe, Verstreute Gedichte. Italienisch und Deutsch. Übers. von Karl Förster und Hans Grote. Hrsg. und mit Nachwort von Hans Grote. Düsseldorf/Zürich: Artemis & Winkler 2002. S. 36f.

[45]Zu tiefergreifenden Informationen zu den Parallelen zwischen Petrarca und Laura zu Acteon und Diana siehe z. B. auch Margaret Brose: »Fetishizing the Veil. Petrarch’s Poetics of Rematerialization.« In: The Body in Early Modern Italy. Hrsg. von Julia L. Hairston und Walter Stephens. Baltimore: The Johns Hopkins University Press 2010. S. 3-23. Hier S. 17ff.

[46]Stephan Leopold: Die Erotik der Petrarkisten. Poetik, Körperlichkeit und Subjektivität in romanischer Lyrik Früher Neuzeit. S. 86.

[47]Vgl. Publius Ovidius Naso: Metamorphosen. Lateinisch und Deutsch. Übers. und hrsg. von Niklas Holzberg. Berlin/Boston: de Gruyter 2017. S. 152ff, V. 173ff. E-Book abgerufen am 08.04.2019 unter https://www.degruyter.com/view/product/468590.

[48]Stephan Leopold: Die Erotik der Petrarkisten. S. 85f. Zum offensichtlich erotischen Begehren interpretiert etwa Margaret Brose die Kanzone 52 so, dass hier Petrarca Lauras Schleier fetischisiert, der ihre Nacktheit bedeckt, gleichzeitig aber auch gerade durch den Akt der Verhüllung betont. Dies lässt dem Dichter »[e]in Liebesfrösteln […] durch Mark und Bein« ziehen (vgl. hierzu Francesco Petrarca: Canzionere, Triumphe, Verstreute Gedichte. S. 92f, V. 8), welches auffällige Ähnlichkeiten zur Beschreibung erotischer Erregung und Orgasmen aufweise. Vgl. Margaret Brose: »Fetishizing the Veil.« S. 18.

[49]Ebd., S. 85f. Leopold bezieht sich auf die Verse: »ed ella ne l’usata sua figura / tosto tornando, fecemi, oimè lasso, / d’un quasi vivo et sbigottito sasso.«, dt.: »Und zornig schnell, wie sonst sie mir erschienen, / Stand sie vor mir und wandelt – ach mir Armen! – / Zu Steine mich, den kaum noch Lebenswarmen.« Aus: Francesco Petrarca: Canzionere, Triumphe, Verstreute Gedichte. S. 36f.

[50]Ebd., S. 86.

[51]Ebd.

[52]Ebd., S. 16f.

[53]Ebd.

[54]Ebd.

[55]Aileen A. Feng: Writing Beloveds. Humanist Petrarchism and the Politics of Gender. Toronto/Buffalo/London: University of Toronto Press 2017. S. 26. – Fengs Argumentation beruht darauf, dass sie eine Parallele zwischen den versteinernden Blicken Lauras und dem ebenfalls versteinernden Blick Medusas zieht, deren Kopf bzw. Blick in der griechischen Mythologie von Perseus nach ihrer Enthauptung als Waffe gegen seine Feinde instrumentalisiert wird. Dabei wurden laut der von Feng zitierten Version Menschen, die von der lebenden Medusa versteinert wurden, zu gewöhnlichem Gestein, vom Blick ihres abgetrennten Kopfes hingegen zu Marmor. Dass auch Petrarca von Marmor spricht, zu dem ihn Lauras Blicke werden lassen, interpretiert Feng als Beweis dafür, dass sie für ihn ein »Werkzeug« ist, so wie auch der Medusenkopf für Perseus. Man beachte zudem, dass Statuen berühmter Persönlichkeiten meistens aus Marmor gefertigt wurden.

[56]Ebd., S. 26ff. Feng erinnert an die Tradition der höfischen Liebe, welche den Petrarkismus maßgeblich beeinflusste, und in der oft das (Er-)Finden möglichst kunstvoller Formulierungen für die Liebe des Verehrers zur Dame zentral ist und dem Liebenden am Ende zum Erfolg verhilft. Jene Wichtigkeit der Sprachqualität ist mit der Zeit immer weiter in den Vordergrund gerückt, bis sie schließlich in Petrarcas Werk kulminiert, in welchem die Sprache selbst statt der Geliebten den Anlass für das Schaffen von Werken darstellt.

[57]Ignacio Navarrete: Orphans of Petrarch. Poetry and Theory in the Spanish Renaissance. Berkeley, CA [u. a.]: University of California Press 1994. S. 15.

[58]Joachim Küpper: »Love after Death in Garcilaso de la Vega.« In: Concepts of Posthumous Love in Medieval and Early Modern Europe. Hrsg. von Bernhard Jussen und Ramie Targoff. Berlin [u. a.]: de Gruyter 2015. S. 111-146. Hier S. 144.

[59]Publius Vergilius Maro: Bucolica – Hirtengedichte. Hrsg. und übers. von Michael von Albrecht. Stuttgart: Reclam 2001. Der Terminus Bukolik stammt vom gr. βουκολικός: zu den Hirten gehörig. Das DWDS schreibt hierzu zusätzlich, dass »[b]ereits in der Antike […] von ländlicher Sehnsucht getragene Gedichte von Theokrit, Vergil u. a. (gr.-lat. bucōlica) […][hießen]; die Bezeichnung wird im 17. Jh. In Zusammenhang mit der Idyllendichtung wieder aufgegriffen.« Vgl. DWDS-Eintrag zu ›bukolisch‹, abgerufen am 09.04.2019 unter https://www.dwds.de/wb/bukolisch. Der Ursprung des Begriffs Idyllendichtung bezieht sich wiederum auf die Eidyllia oder Idyllen Theokrits (3. Jh. v. Chr.), der Vergil und andere Nachfolger maßgebend geprägt hat. Vgl. Ursula Kundert: »Bukolik. Dichtende Schäferinnen und Hirten zwischen Weihnachten, Utopie und Revolution.« In: Das diskursive Erbe Europas. Antike und Antikerezeption. Hrsg. von Dorothea Klein und Lutz Käppel. Frankfurt am Main: Peter Lang 2008. S. 272-305. Hier S. 274.

[60]Ursula Kundert: »Bukolik.« S. 274 f.

[61]Ernst Robert Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. 4. Auflage. Bern/München: Francke 1963. S. 202.

[62]Petra Haß: Der locus amoenus in der antiken Literatur. Zu Theorie und Geschichte eines literarischen Motivs. Bamberg: WVB 1998. S. 3.

[63]Wolfgang Matzat: »Liebe und Natur in Garcilasos Eklogen«. In: Garcilaso de la Vega. Werk und Nachwirkung. Hrsg. von José Morales Saravia. Frankfurt am Main: Vervuert 2004. S. 91-108. Hier S. 91.

[64]Ebd., S. 91f.

[65]Schon die Namen Salicio und Nemoroso verweisen darauf, dass sie in ihrer Natur Gestalten der Bukolik sind: So wird Salicio vermutlich vom lateinischen Namen für den Weidenbaum (salicis) abgeleitet, und Nemoroso von lat. nemus, nemoris: aus dem Wald stammend.

[66]Ignacio Navarrete: Orphans of Petrarch. S. 111.

[67]Garcilaso de la Vega: Poesía Completa. 4. Auflage. Madrid: Aguilar 1970. S. 24, V. 88ff: »dejas llevar, desconocida, al viento / el amor y la fe, que ser guardada / eternamente sólo a mi debiera?« – Die Übertragungen aus dem Originaltext der Poesía ins Deutsche wurden von der Verfasserin Inga Hesse vorgenommen. Dt: »Du, Unbekannte, überlässt dem Wind / die Liebe und den Glauben / der nur für mich, für immer, gehegt werden sollte.«

[68]Ebd., S. 24f, V. 93 sowie V. 105.

[69]Ebd., S. 26, V. 155ff: »Materia diste al mundo de esperanza / de alcanzar lo imposible y no pensado, / y de hacer juntar lo diferente […].«

[70]Siehe ebd., S. 30, V. 267-278 für den Schönheitskatalog, sowie S. 35, V. 394-407 für Hoffnung auf Wiedersehen im Himmel.

[71]Ebd., S. 35, V. 402-407: »busquemos otro llano / busquemos otros montes y otros ríos, / otros valles floridos y sombríos, / donde descanse y siempre pueda verte / ante los ojos míos, / sin miedo y sobresalto de perderte«; dt.: »suchen wir uns ein anderes Land / suchen wir uns andere Berge, andere Flüsse, / andere blühende, schattige Täler, / wo ich ruhen und dich immer sehen kann / vor meinen Augen, / ohne Angst und Schrecken davor, dich zu verlieren.«

[72]Ebd., S. 35, V. 394ff.

[73]Ebd., S. 35, V. 408-421: »Nunca pusieran fin al triste lloro / los pastores […] / si […] / no vieran que era ya pasado el día. / La sombra se veía / venir corriendo apriesa / ya por la falda espesa / del altísimo monte, y recordando / ambos como de sueño, […] / su ganado llevando / se fueron recogiendo paso a paso.«

[74]Real Academia de la Lengua Española: Diccionario de la lengua española (Online-Version), Eintrag zu ›Altísimo‹: »El Altísimo 1. m. Dios«, dt. »Der Allerhöchste Gott«. Abgerufen am 10.04.2019 unter https://dle.rae.es/?id=27MdCwA.

[75]Real Academia de la Lengua Española: Diccionario de la lengua española (Online-Version), Eintrag zu ›albanado‹. Abgerufen am 10.04.2019 unter http://dle.rae.es/?id=1UrAfBG. Der Name könnte ansonsten auch von albañal, Kloake, herstammen, was wiederum auf die Verunreinigung der einst platonischen Liebe zu Camila durch Albanios erotisches Begehren rückführbar wäre.

[76]Brigitte Mager: Imitatio im Wandel. Experiment und Innovation im Werk von Garcilaso de la Vega. Tübingen: Narr 2003. S. 157.

[77]Ebd, S. 17ff.

[78]Ebd, S. 157.

[79]Roger Boase: »Rabia de amor: Garcilaso’s Critique of the Late-Fifteenth Century Cult of Amorous Despair.« In: Golden Age Spanish Literature Studies in Honour of John Varey by his Colleagues and Pupils. Hrsg. von Charles Davis und Alan Deyermond. London: Westfield College 1991. S. 49-62. Hier S. 62.

[80]Ignacio Navarrete: Orphans of Petrarch. S. 110.

[81]Garcilaso de la Vega: Poesías completas. S. 69, V. 768.

[82]Vgl. ebd., S. 57-67, V. 483ff.

[83]Ebd., S. 70, V. 778.

[84]Ebd., S. 70-76.

[85]Ebd., S. 69, V. 758.

[86]Lorena Uribe Bracho: »Burned in a Sea of Ice. La tension de los extremos y la tradición del amor hereos.« In: Etiópicas 8 (2012). S. 679-704. Hier S. 684.

[87]Garcilaso de la Vega: Poesías Completas. S. 68, V. 744-749: »¡[…] de cuán alto / con sólo un sobresalto me arrojaste! / ¿Sabes que me quitaste […] / los ojos de la cara, que no quiero / menos un compañero que yo amaba; / mas no como él pensaba […]« – Dass ihr die Augen aus dem Gesicht gerissen wurden, spielt auf die medizinische Erklärung des amor hereos an, laut der der Mann von Pfeilen aus den Augen der Frau getroffen wird, welche ihn ein idealisiertes Abbild der Frau entwickeln lassen. Dieses wiederum straft den Liebenden mit seinen eiskalten oder feurig heißen Blicken, was ihn zwar leiden lässt, aber gleichzeitig erregt. Siehe  Kapitel 2.

[88]Garcilaso de la Vega: Poesías Completas. S. 89, V. 1128ff.

[89]Ebd., S. 25, V. 113ff: »¡Cuántas veces, durmiendo en la floresta, / […] vi mi mal entre sueños desdichado!«

[90]Ebd., S. 90, V. 1041ff.

[91]Ebd., S. 90, V. 1050ff.

[92]Ebd., S. 90, V. 1056-1061: »[u]n hombre mora […] de ingenio tanto, / que toda la ribera […] / nunca se harta de escuchar su canto.«

[93]Ebd., S. 91, V. 1086ff.

[94]Real Academia de la Lengua Española: Diccionario de la lengua española (Online-Version), Eintrag zu ›severo‹, abgerufen am 10.04.2019 unter: http://dle.rae.es/?id=XkW4kQj.

[95]Joan Corominas: Diccionario crítico etimológico castellano e hispánico. Bd. 4. Madrid: Gredos 1981. S. 235: »el ombre severo guarda la justicia sin remitir la pena«. ›Pena‹ kann sowohl als persönlicher (physischer und/oder emotionaler) Schmerz, als auch als Mitgefühl anderen gegenüber übersetzt werden. Der Kontext legt hier beide Bedeutungen nahe.

[96]Garcilaso de la Vega: Poesías completas, S. 58, V. 506ff: »[L]as ya desamparadas vacas mías / por otro tanto tiempo no gustaron / las verdes hierbas ni las aguas frías«, dt.: »Meine im Stich gelassenen Kühe / haben schon seit einiger Zeit nicht mehr kosten können / weder von den grünen Weidelanden noch von den frischen Bächen.«

[97]Ebd., S. 92, V. 1092ff.

[98]Bernard von Gordon (S. 108f., bk. 2, Kap. 20). Aus: Robert Folger: Images in Mind. S. 53.

[99]Margot Arce de Vázquez: »Presencia del mito en la obra de Garcilaso.« In: Margot Arce de Vázquez. Obras Completas. Bd. 4: Literatura Española y literature hispanoamericana. Hrsg. von M. Albert Robatto und E. Faría Cancel. San Juan: Editorial de la Universidad de Puerto Rico 2001. S. 297-380. Hier S. 343f.

[100]Garcilaso de la Vega: Poesías Completas. S. 129f., V. 225-248.

[102]Joachim Küpper: »Love after Death in Garcilaso de la Vega.« S. 133.

[103]Ebd., S. 139.

[104]Ebd., S. 138.

[105]Garcilaso de la Vega: Poesías Completas. S. 125, V. 129ff: »Estaba figurada la hermosa / Eurídice en el blanco pie mordida / de la pequeña sierpe ponzoñosa«. Dt.: »Es lag dort die wunderschöne / Eurydike, in den weißen Fuß gebissen / von der kleinen, giftigen Schlange.«

[106]Ebd., S. 126, V. 137-144.

[107]Ebd., S. 126f., V. 145-166.

[108]Ebd., S. 127, V. 167f.: »[L]lora el amante y busca el ser primero / besando y abraçando aquel madero.« Dt.: »[E]s weint der Liebende und bemüht sich darum, der Erste zu sein / darin, jenen Baumstamm zu küssen und in seinen Armen zu halten. – Hierin versteckt sich ein weiterer Hinweis auf die Präsenz unterschwelliger Gewalt, da es Apoll wichtig ist, der Erste zu sein, der die jungfräuliche Daphne berührt und küsst. Dies kann als Anspielung darauf interpretiert werden, dass er sie, wenn er ihrer in ihrer ursprünglichen Gestalt habhaft geworden wäre, vielleicht auch vergewaltigt hätte.

[109]Ebd., S. 127, V. 177-180.

[110]Ebd., V. 173.

[111]Ebd., S. 129, V. 225-232.

[112]Die Interpretation der ninfa degollada repräsentiert seit jeher eines der großen Streitthemen der Garcilaso-Forschung. Heutzutage wird weithin akzeptiert, dass degollada eine Person bezeichnet, der die Kehle durchgeschnitten oder die komplett enthauptet wurde, vgl. Real Academia Española: Diccionario de la lengua española (Online-Version), Eintrag zu ›degollar‹: »Cortar la garganta o el cuello a una persona […]«. Agustín de la Granja fügt jener Lesart noch Konnotationen wie ›desangrada‹ (ausgeblutet) bei, in Anspielung auf die lang vorherrschende Annahme, Elisa und ihr Schicksal stünden für Garcilasos angebliche, unglückliche Liebe zu einer bereits verheirateten portugiesischen Hofdame, Isabel Freire, die bei der Geburt ihres Kindes starb, vgl. Agustín de la Granja: »Garcilso y la ninfa degollada.« In: Criticón 69 (1997). S. 57-65. Hier S. 57ff. Jene Annahme wurde erstmals in den 1990ern von Daniel L. Heiple dezidiert widerlegt, welcher die Vorstellung, dass alle Inhalte Garcilasos mit seiner eigenen Liebesbiografie zusammenhängen müssen, als Relikt einer romantischen Lyrikauffassung für die Frage nach der Qualität der von Garcilaso dargestellten Inhalte und für irrelevant erklärt, vgl. Daniel L. Heiple: Garcilaso de la Vega and the Italian Renaissance. University Park: Pennsylvania State University Press 1994. S. 11. – Beispielhaft für konservativere Auslegungen ist etwa die Alberto Blecuas, der von der Vorstellung, dass Garcilaso absichtlich ein solch horrendes Bild vermitteln wollte, schockiert zu sein schien (so bezeichnet er die Vorstellung der ninfa als enthauptet als ›bestialidad‹, bestialisch). Zuerst suggerierte er, dass ›degollar‹ als »den Hals (zur Seite) neigen oder verrenken« zu lesen sei, vgl. Alberto Blecua: En el texto de Garcilaso. Madrid: Ínsula 1970. S. 174. Später modifizierte Blecua seine Interpretation und behauptete, dass es sich um einen Druckfehler in der Erstausgabe von 1543 handle. Blecua berief sich dabei auf die Tatsache, dass in einigen älteren, angeblich glaubwürdigen Manuskripten statt ›degollada‹ ›igualada‹ zu lesen wäre, was er unter Berufung auf einige Verse Lope de Vegas als »am Boden liegend« deutete – so wäre die ninfa immer noch tot, aber definitiv nicht enthauptet oder andersartig verletzt, vgl. Alberto Blecua: »Garcilaso con stemma.« In: Busquemos otros montes y otros ríos. Estudios de literatura espanola del Siglo de Oro dedicados a Elias L. Rivers. Hrsg. von Brian Dutton und Victoriano Roncero López. Madrid: Castalia 1992. S. 19-33. Solche Auslegungen fußten oft auf der Zögerlichkeit der früheren Kommentatoren, dem großen Nationalpoeten Blutdurst nachzusagen, auch wenn ein gewisser unerschrockener Umgang mit Gewalt, gerade in Hinsicht auf Garcilasos Biografie und seine Kriegserfahrungen als Ritter, durchaus nicht weiter verwunderlich wäre. Agustín de la Granja befindet mit Blick auf solche Versuche, ›degollada‹ zu relativieren, dass trotz allem »›degollada‹ in der glaubhaftesten aller Versionen, […] der Druckversion [von 1547], auftaucht, und somit […] jene Interpretation [in der die ninfa effektiv enthauptet wurde], so sehr sie auch heutige [Sensibilitäten] stören mag, als die angemessenste anzusehen ist«, frei übersetzt aus Agustín de la Granja: »Garcilaso y la ninfa degollada.« S. 58.

[113]Joachim Küpper: »Love after Death in Garcilaso de la Vega.« S. 139.

[114]Garcilaso de la Vega: Poesías Completas. Égloga III, S. 129f, V. 241-248: »Elisa soy, en cuyo nombre suena / y se lamenta el monte cavernoso, / testigo del dolor y grave pena / en que por mí se aflige Nemoroso / y llama: ¡Elisa! …¡Elisa! a boca llena; / responde el Tajo, y lleva presuroso / al mar de Lusitania el nombre mío, / donde será escuchado, yo lo fío.«

[115]Vgl. den Echo-Mythos in Publius Ovidius Nasso: Metamorphosen. S. 166-169, Buch III, V. 358-401.

[116]Ebd., S. 130, V. 257-264: »[…] porque aqueste lamentable cuento / no solo entre las selvas se contase, / mas dentro de las ondas, sentimiento / con la noticia de esto se mostrase […] / […] y ansí se publicase […] / por el húmido reino de Neptuno.«

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