Interview mit Max Grenz, Joshua Schultheis und Viktor Sommerfeld von Objectif 16
Es wurden drei Gespräche mit den einzelnen Personen geführt und anschließend thematisch sortiert.
Könnt ihr euer Format Objectif 16 kurz vorstellen?
Max: Objectif 16 ist eine Film- und Vortragsreihe, bei der wir alle einladen, die interessiert sind, einen Film ihrer Wahl zu präsentieren und dazu einen Vortrag zu halten. Das kann sehr kurz sein, in Form einer Einführung von 10 Minuten, oder eine an den Film anschließende Detailanalyse über eine Stunde. Die Idee ist, dass man keine Vorgaben hat, sowohl was den Umfang als auch die Form betrifft, mit dem Ziel, danach eine möglichst offene Diskussion zu führen. Man versucht, die Ideen aus dem Vortrag weiterzudenken und andere Anknüpfungspunkte an den Film zu finden. Wir laden aber auch Leute ein, ihre eigenen Filme zu zeigen und anschließend im Gespräch mit dem Publikum zu diskutieren.
In welchem Kontext wurde Objectif 16 ins Leben gerufen?
Max: Den Anfang hat ein Philosophie-Seminar gemacht, das an der FU angeboten wurde, das hieß »Philosophie – Cinephilie«. In dem Seminar haben wir verschiedene Texte von Philosophen über das Kino gelesen. Joshua hatte im Laufe des Semesters den Vorschlag gemacht, dass wir in einem außeruniversitären Rahmen unsere Hausarbeiten vorstellen könnten.
Wie kam es überhaupt dazu, diesen Vorschlag zu machen oder dieses Format zu wählen?
Joshua: Tja, wie war das nochmal, damals 2016… Also ich erzähl die Story mal so, so genau weiß man das im Nachhinein ja nicht, warum man irgendwas gemacht hat. Ich fand es immer so schade, dass in diese Hausarbeiten so viel Energie reinfließt und sie dann verschwinden und sie im Zweifelsfall niemand liest, vielleicht eine weitere Person, der Dozent halt, vielleicht nicht mal der. Ich habe gedacht, wenn man eine Hausarbeit schreibt, kann man die dann auch vor einem Publikum präsentieren und den Film gucken, über den man geschrieben hat. Bei dem Thema Filmphilosophie bietet es sich besonders an, mehr daraus zu machen, weil Film jeden interessiert. Das war die Anfangsidee. Ich habe das im Rahmen des Seminars beworben. Und Viktor und Max haben sich gemeldet.
Was hat euch an Joshuas Vorschlag so gereizt, dass ihr euch direkt gemeldet habt?
Viktor: Das lag daran, dass Max und ich zu der Zeit ein anderes Seminar in der Filmwissenschaft zum Heist-Film hatten. Wir haben da zusammen einen Vortrag gehalten, den wir ziemlich genau ausgearbeitet hatten. Wir dachten, dass wir diese Ergebnisse weiter ausarbeiten und gerne auch mal außerhalb des Seminarkontexts diskutieren würden. Daher war Joshuas Vorschlag für uns beide sehr naheliegend. Außerdem gab es in dem Seminar »Philosophie – Cinephilie« eine Diskussionsrunde, die gut funktioniert hat.
Du hast ja den Namen einem anderen Filmclub entnommen, Joshua. Wie bist du auf ihn gestoßen?
Joshua: Ich habe einfach nach historischen Vorbildern berühmter Filmclubs gesucht. Und dabei bin ich auf Objectif 48 gestoßen. Das war in den 1940er Jahren ein französischer Club, der amerikanische Filme gezeigt und populär gemacht hat.
Passt auch irgendwie, euer Projektraum heißt ja auch H48.
Max: Stimmt.
Joshua: Ich fand auch das Logo von Objectif 48 cool, das gibt es online. Das fand ich sehr schick und habe mich für Objectif 16 daran orientiert.
Wie ist das aktuelle Format organisiert?
Max: Joshua hat es die ersten Jahre organisiert. Er hat auch den Projektraum H48 gefunden, er ist Teil einer WG und wird für alle möglichen, vorzugsweise linken Projekte zur Verfügung gestellt. Der Raum hat den Vorteil, dass es dort eine Leinwand und Boxen gibt, also die Technik, und auch genügend Sofas und Sessel, die man zurecht schieben kann, sodass man eine Art Kinosaal hat. Und man muss keine Miete zahlen. Es gibt eine Bar, die man benutzen kann, und alle Einnahmen gehen an den Raum.
Es hat sich aber bald abgezeichnet, dass Joshua seinen Bekanntenkreis ausgeschöpft hatte, während aus unserem Freundeskreis, also aus der Filmwissenschaft, immer mehr Leute Interesse hatten, was zu machen. Dann hat Joshua uns die Leitung übertragen. Inzwischen mache ich das alleine. Es gibt ein Programm für jedes Semester, das immer im Voraus angekündigt wird. Das Programm besteht momentan aus ca. fünf Terminen pro Semester, aber die Tendenz ist eher steigend. Es findet alle zwei bis drei Wochen immer freitags um 19 Uhr statt. Das Format hat sich ebenfalls erweitert. Es gibt noch sehr viele, die ihre Hausarbeiten vorstellen, aber ein Work in Progress ist auch möglich.
Gibt es bei euch inhaltliche Schwerpunkte, also sind die Semester nach Themen sortiert, oder wie entscheidet ihr, wann welche Vorträge drankommen?
Max: Bisher war es so, dass alle, die interessiert waren, auch was machen konnten. Bei eigenen Filmen bitten wir darum, dass man sie uns im Voraus schickt, z.B. um zu gucken, ob man darüber gut sprechen kann. Es geht aber nicht darum, ob wir sie besonders gut finden, sondern ich möchte Filme finden, die ein Gespräch anregen können. Sonst versuche ich darauf zu achten, dass die gezeigten Filme möglichst heterogen sind, also im besten Fall aus unterschiedlichen Jahrzehnten, unterschiedlichen Ländern. Die Themen können auch gerne so verschieden wie möglich sein. Es gibt keine übergeordneten Strukturen oder Semesterprogramme zu einem Thema.
Ihr seid eine studentisch organisierte Reihe, die in einem außeruniversitären Rahmen stattfindet. Aber ihr stellt ja viele Texte vor, die in einem akademischen Rahmen entstanden sind. Wie ist denn euer Verhältnis zu der Universität als akademische Institution?
Max: Ein Großteil der Vorträge kommt aus einem akademischen Umfeld, aber es war von Anfang an die Idee, die Vorträge nicht in der Uni zu halten. Klar, wir kommen aus einem akademischen Kontext, und es ist so, dass die Idee, Vorträge aus einer philosophischen, kulturwissenschaftlichen und filmanalytischen Perspektive zu halten, vor allem aus einem universitären Rahmen kommt, und wir dort geschult wurden. Aber das Ziel ist, das Gespräch zu öffnen und mit anderen Ansichten in Kontakt zu treten. Insofern freuen wir uns sehr, wenn es Besucher gibt, die aus einem ganz anderen Bereich kommen, und es eine Vielzahl von Perspektiven gibt, auf die man sich beziehen kann.
Joshua, du bist ja nicht mehr der aktive Organisator von Objectif 16. Was sind deine jetzigen Aufgaben?
Joshua: Ich unterstütze die Sache natürlich und bin fast immer da, ich teile die Aufrufe am Semesterbeginn über E-Mail-Verteiler und halte selbst Vorträge. Ich habe in der letzten Saison wieder einen gehalten, das erste Mal seit dem ersten Vortrag 2016. Und ich bin der Barmann.
Und das Maskottchen?
Joshua: Ja, bin ich das?
So habe ich das verstanden.
Joshua: Ja, dann bin ich das.
Max und Viktor, ihr habt ja relativ häufig zusammen vorgetragen, wie erarbeitet ihr denn so einen Vortrag?
Viktor: Wir haben immer einen Vortrag zu einem bestimmten Film gemacht. Meistens waren es Filme, die wir schon mal zusammen gesehen hatten oder die wir schon immer mal zusammen schauen wollten. Wir haben auch Schwerpunkte, z.B. haben wir zwei Vorträge zum taiwanesischen Kino gemacht. Oder zu Filmen, bei denen wir das Gefühl hatten, dass man sie nicht zu Gesicht bekommt, die man promoten will. Was aber immer im Zentrum unserer Arbeit stand, war das analytische Close-Reading, sag ich mal. Dass wir uns die Filme wirklich genau angeguckt haben, also minutiös auseinandergenommen haben. Max war immer derjenige, der die Kleinarbeit geleistet, Hunderte von Screenshots und Diagramme erstellt hat. Solche Dinge. Da hatte Max immer ein bisschen mehr Ehrgeiz als ich. Wir haben uns einfach zusammen die Schnittfolgen und die kleinsten Teile angeguckt.
Also entstand der gemeinsame Vortrag aus einem gemeinsamen Filmeschauen. Passiert es auch, dass du Vorträge hältst, die dann zu Hausarbeiten werden?
Viktor: Ich recycle die Vorträge. Ich habe gerade zu Ansätzen, die wir für einen Vortrag entwickelt haben, eine Hausarbeit geschrieben.
Wenn ich das richtig verstanden habe, waren es am Anfang eher Leute aus dem Seminar und aus dem Bekanntenkreis, die Vorträge gehalten haben. Wie sieht es mittlerweile aus, wie findet ihr jetzt neue Interessentïnnen? Beziehungsweise, wie kann man euch finden und kontaktieren?
Max: Also online sind wir bisher auf Facebook zu finden. Wir haben auch einen eigenen E-Mail-Verteiler und wir schicken am Anfang jedes Semesters Aufrufe über die Verteiler der Universitäten. Und da bekommen wir sehr unterschiedliche Anfragen. Es kommt vor, dass uns Vorschläge von Personen erreichen, die wir noch nicht kennen. Dieser Anteil wächst langsam. Trotzdem ist es aber noch so, dass ich viele der Vortragenden auch persönlich kenne. Ein Großteil des Publikums speist sich aus dem Bekanntenkreis derer, die Objectif 16 gegründet haben, also momentan hauptsächlich aus Studierenden der Geisteswissenschaft. Wir freuen uns aber besonders über Interessierte aus anderen Bereichen. Der Anspruch ist, dass jeder mit jedem Hintergrund kommen kann und einen Abend gestalten kann.
Habt ihr auch Kontakt zu anderen (studentischen) Organisationen? Wie seid ihr vernetzt?
Max: Die meisten Verbindungen entstehen über persönliche Empfehlungen. Wir haben im letzten Wintersemester einen Abend im Filmrauschpalast gehalten, der nochmal ein anderes Publikum mitbringt und wo wir eine 35mm Kopie zeigen konnten. Letztes Jahr waren wir bei einer studentisch organisierten Konferenz vertreten. Und wir drucken Plakate und Flyer mit unserem Programm, die wir dann an verschiedenen Stätten aushängen, in der Uni und auch in Kinos.
Joshua, du bist ja bei anderen studentischen und nicht-studentischen Publikationen aktiv. Was glaubst du, ist der Unterschied eines solchen Formats zu z.B. publizierten Hausarbeiten?
Joshua: In dieser Kombination von Hausarbeit und Film habe ich die Chance gesehen, das für alle interessant zu gestalten. Der Kern der Idee war, den Film zusammen zu schauen und dann über den Film und über den Vortrag zu reden. Also win-win: für das Publikum, das nicht nur im besten Falle einen sehr guten Film gucken, sondern auch ausgearbeitete Ideen zum Film hören kann, aber auch für die Vortragenden, da darüber diskutiert wird und man Feedback bekommt. Es ist ein Format, das es merkwürdigerweise nicht gab. Dabei liegt es ziemlich nahe. An den Fachbereichen ist es nicht etabliert, dass Studierende so miteinander in einen Austausch kommen. Mich nervt es eigentlich ein bisschen, wie schlecht die Studierenden organisiert sind.
Habt ihr auch Interesse, eure Vorträge in einem anderen Format zu archivieren, z.B. als Publikation oder in einer audiovisuellen Form?
Max: Auf jeden Fall. Ein Ziel von Objectif 16 ist es, studentische Texte und Hausarbeiten in einem anderen Format noch einmal vorzutragen, zu verändern und weiterzuentwickeln. Aber genauso würden wir es uns in die andere Richtung wünschen. Es gab schon einen Vortrag, der im Anschluss in leicht veränderter Form in dem Online-Magazin »Nach dem Film« veröffentlicht wurde. Aber generell würde ich mir wünschen, dass Vorträge auch schriftlich festgehalten werden. Es gibt seit einer Weile Audiomitschnitte, also eine Art Archiv der Vorträge und Diskussionen. Einen Vortrag hat Viktor gefilmt und daraus einen Kurzfilm geschnitten. Den gibt es auf unserer Facebook-Seite zu sehen.
Welcher Beitrag hat euch am besten gefallen in der Geschichte von Objectif 16?
Joshua: Besonders in Erinnerung geblieben ist der erste von Max und Viktor, das war zum Heist-Film Thief. Da haben sie Maßstäbe gesetzt für die kommenden Jahre, das fand ich schon beeindruckend. Und Apropos Philosophie mit Beate Absalon und Sebastian Köthe, die haben ihren Dokumentarfilm bei uns gezeigt. Da war richtig volle Bude, so 50, 60 Leute. Und es gab ein super Gespräch danach.
Viktor: Oh, das ist schwierig. Die beiden, die mir direkt in den Sinn kommen, sind einmal Bettina Köhlers Vortrag über Lili Marleen von Rainer Werner Fassbinder, der mich historisch sehr interessiert. Und der Vortrag von Lucia Wiedergrün über Red Road von Andrea Arnold. Den Vortrag habe ich gefilmt und dadurch einen sehr guten Eindruck für die Diskussion bekommen. Durch die Perspektive der Kamera habe ich besser verstanden, wie die Diskussionen funktionieren. Es bildet sich immer sehr schnell ein Diskussionsraum, der nicht zwischen dem Vortragenden und dem Publikum getrennt ist. Der Diskussionsraum wird schnell kreisförmig und die Leute reden untereinander. Gedanken werden weitergereicht und weitergedacht.
Den Kurzfilm könnt ihr euch auf der Facebook-Seite von Objectif 16 anschauen. Und wer Interesse daran hat, einen Vortrag bei Objectif 16 zu halten oder mitzudiskutieren, findet weitere Informationen auf ihrer Facebook-Seite oder schreibt eine Mail an objectif16@gmx.de!
Das Interview wurde geführt von Eh-Jae Kim im April 2020.