1. Einleitung
Das Revolutionsdrama Dantons Tod [1] – das einzige Stück Büchners, welches bereits zu Lebzeiten des Autors erschien (1835) – gehört zu den komplexesten Werken der deutschen Literaturgeschichte. Viele Interpretationen befassen sich mit seinen philosophischen und speziell den geschichtsphilosophischen Implikationen, häufig auf der Basis des „Fatalismusbriefes“ von 1834 und des berühmten Zitates: „Ich fühlte mich wie zernichtet unter dem gräßlichen Fatalismus der Geschichte.“[2] Aufmerksamkeit erregt zunächst der auffällige Widerspruch zwischen dem resignierten Ton des Briefes und, so wird unterstellt, des Dramas sowie dem kämpferisch-revolutionären Duktus des Hessischen Landboten, jener agitatorischen Flugschrift, die im selben Jahr wie der „Fatalismusbrief“ (1834) entstanden ist. Dantons Tod wurde von Büchner Anfang 1835, also nach Entstehung von Brief und Flugschrift niedergeschrieben. Dennoch kann man in dem Drama ein Resultat seiner Revolutionsstudien sehen, die von Büchner bereits Ende 1833 beziehungsweise Anfang 1834 begonnen und kurz vor Entstehung des Werkes noch vertiefend fortgesetzt worden waren.
Diese Arbeit knüpft insofern an geschilderte Tendenzen der Forschung an, als sie einen geschichtsphilosophischen Zugang für die Interpretation von Dantons Tod wählt. Beispielhaft werden beide Hauptgestalten des Dramas, Danton und Robespierre, in ihren wesentlichen Charakterzügen untersucht, um vor allem auffällige Unterschiede, stets aber auch vorhandene Gemeinsamkeiten aufzuzeigen. Geschichtsphilosophie sei dabei verstanden als Reflexion über Sinn, Fortschritt und Ziel oder Sinnlosigkeit in der historischen Entwicklung; außerdem – dies ist für die folgende Untersuchung besonders wichtig – als Beantwortung der Frage nach dem handelnden Subjekt der Geschichte respektive nach der Stellung des menschlichen Individuums zum geschichtlichen Gesamtprozess.[3] Maßgebliche Arbeiten zu den philosophischen Implikationen des Büchnerschen Gesamtwerkes sowie insbesondere der Philosophie in Dantons Tod sind das Werk Michael Glebkes zur Philosophie Georg Büchners, die vergleichende Untersuchung Ulrike Pauls über die Desintegration von Individuum und Geschichte bei Georg Büchner sowie eine Reihe weiterer bedeutender Aufsätze vornehmlich aus der ersten „Hochphase“ der Büchnerinterpretation, namentlich den 1970er und 1980er Jahren.
Nachdem im Hauptteil der Arbeit Danton und Robespierre vergleichend untersucht wurden, befasst sich ihr Abschluss werkübergreifend mit dem Zusammenhang zwischen Büchners Geschichtsphilosophie und seiner Revolutionskonzeption, wie sie sich im Hessischen Landboten niederschlägt. Hier können allerdings nur schlaglichtartig Zusammenhänge aufgezeigt und einige viel diskutierte Thesen vorgestellt werden. Ein Fazit zur Geschichtsphilosophie und zum Revolutionsbild in Dantons Tod rundet die Arbeit ab.
2. Der philosophische Kontext: Idealismus versus Materialismus
Büchner entwickelte seine Geschichtsphilosophie auf der Grundlage einer Konfrontation mit „eine[r] Geschichtsauffassung, die das Erbe der aufklärerischen Fortschrittsgläubigkeit angetreten hat“[4], also letztlich im Widerstreit mit der idealistischen Philosophie, für die in vorliegender Erörterung paradigmatisch Hegel stehen soll. Dies erfährt seine Berechtigung zum einen aus der notwendigen Begrenzung der Bezugspunkte und mehr noch daraus, dass Hegels Positionen durch die Figur des St. Just in Dantons Tod repräsentiert werden – wenngleich eine leichte Modifikation unterstellt werden darf.
Hegel vertrat in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte eine dezidiert teleologische Geschichtsdeutung, welche als handelndes Subjekt des Geschichtsprozesses die „Vernunft in der Weltgeschichte“ ausgemacht hatte und einen „Endzweck in der Geschichte“ vermutete, der als Verwirklichung der Vernunft und damit eines übergeordneten historischen Plans respektive Ziels charakterisiert werden kann.[5] Dieses Verständnis lässt Geschichte summarisch als „vernünftige[n] und notwendige[n] Gang des Weltgeistes, der die Substanz der Geschichte ist“[6], und Weltgeschichte somit als „Produkt der ewigen Vernunft“[7] erscheinen, legt insoweit den Schwerpunkt besonders auf das Stichwort des „Weltgeistes“ und die Bedeutung einer abstrakten Idee, die sich gemäß der Vernunft auf einen übergeordneten Zweck hinbewegt. Die Annahme, Geschichte sei zielgerichtet und ihr Verlauf vernünftig, letztlich durch Ideen und damit Ideale nicht nur beeinflussbar, sondern in ihren Grundfesten bestimmbar, ist stets wesentlicher Kern des Idealismus. In Dantons Tod wird Hegels Position in Form einer Rede St. Justs vor dem Nationalkonvent (Szene II,7) wiedergegeben. Hier wird – in teils wörtlicher Übereinstimmung mit dem Philosophen des Idealismus – der „Weltgeist“ (D 104) beschworen, der sich der Menschen als Instrument zu seiner Verwirklichung, konkret zur Vollendung der Revolution, bediene und als Idee „ebenso gut wie ein Gesetz der Physik vernichte[t]“ (D 103f.). Auch Hegel sah notwendige Opfer des Weltgeistes, und sowohl er als auch St. Just halten „einen Widerstand gegen den durch die Idee bestimmten Gang der Geschichte [für] sinnlos“[8]. St. Just dient damit zugleich als perfekte Verkörperung des Idealismus und als durchaus deterministisch inspirierte Grundkonstante, denn der Mensch bleibt für ihn als Instrument des Weltgeistes ja stets passiv im Sinne einer Idee. Gleiches ist bei Hegel zu beobachten, da hier einzelne Menschen nicht über ihre Rolle in der Geschichte entscheiden, sondern nur Werkzeug einer übergeordneten Idee sind. Entscheidend ist, dass die Position, gegen die Büchner sich wendet, von einem Ziel, einem Telos, in der Geschichte ausgeht, mithin also eine lineare historische Entwicklung ausmacht und gleichzeitig den Menschen im Rahmen einer übergeordneten, abstrakten Idee agieren sieht, in diesem Sinne also letztlich dezidiert idealistisch argumentiert.
Büchners Position hingegen ist eine explizit materialistische. Er betont in einem Brief an Gutzkow: „Unsere Zeit ist rein materiell“[9] und erwähnt in einem weiteren Schreiben ausdrücklich, dass „durch gleiche Umstände wohl Alle [sic!] gleich würden, und […] die Umstände außer uns liegen“[10]. Büchner stellt den Idealismus quasi auf den Kopf, die Materie wird vom Objekt zum Subjekt, der Geist vom Subjekt zum Objekt – hier ist Büchner nah am Kern späterer marxistischer Vorstellungen, erscheint ihm die Geschichte doch als „Summe der determinierten Handlungen der Menschen“[11]. Den Gedanken eines geschichtlichen Fortschritts verwirft Büchner freilich, stattdessen wird für ihn die historische Position des Einzelnen bestimmt durch seine materiellen Interessen und Zwänge. Hier wird man das Fundament suchen müssen für jene Bezeichnung des Menschen als „Puppe“, wie Büchner sie in seinem „Fatalismusbrief“ wählt. Aus diesem Grundgedanken ergeben sich im Zusammenhang mit Danton später noch näher erläuterte Überzeugungen vom zirkularen Gang der Geschichte – einer ewigen Wiederkehr des bereits Gewesenen – und schlussendlich vom Fatalismus als dem bestimmenden historischen Grundprinzip. Determination des Individuums ist für Büchner also logischer Schluss daraus, dass ein Mensch durch Materie und die Umstände „außer ihm“ geleitet wird.
In der Forschung findet sich außerdem eine Verbindung der Büchnerschen Theorie mit Kerngedanken des Historismus als geschichtswissenschaftliche Strömung, die im 19. Jahrhundert zum vorherrschenden Paradigma historischer Arbeit wurde. Auch hier erklärt man die Ereignisse in ihrer geschichtlichen Bedingtheit, konkret in Relation zu und in Abhängigkeit von den Umständen ihrer Zeit. Jede Vorstellung von einer folgerichtigen beziehungsweise sinnhaften Entwicklung einer Epoche aus den vorhergehenden wird somit negiert und ein Bruch mit jeglichen bis dato vorherrschenden Dogmen der Geschichtswissenschaft vollzogen. Letztgültiges Ergebnis einer solchen Theorie ist der vollständige Relativismus aller Werte.[12] In diesem Sinne ist geschichtliche Entwicklung in Dantons Tod Historismus und eben nicht Historie: Sie rotiert quasi in ihrer eigenen Sinnlosigkeit!
Durch diesen stark verkürzten Rekurs auf die Konfrontation zwischen Idealismus und Materialismus ist erkennbar geworden, wie Büchner dem geschichtlichen Dogma seiner Zeit massiv widerspricht, was ja bereits eine Lektüre seiner Briefe verdeutlicht. Er setzt Idealismus und zeitgenössischem Glauben an Geschichte als teleologische Entwicklung einen strikt materiellen Geschichtsbegriff entgegen. Entsprechend kreist die philosophische Auseinandersetzung in Dantons Tod um den Antagonismus von Idee und Materie beziehungsweise von Sinnhaftigkeit und Sinnlosigkeit politischen – oder genauer: revolutionären – Handelns. Wie sich dieser im Drama niederschlägt, welche Facetten er annimmt und welche Schlüsse sich für die Büchnersche Geschichts- und Revolutionskonzeption insgesamt ziehen lassen, soll nun thematisiert werden.
3. Die Protagonisten in Dantons Tod
3.1 Robespierre – „Dogma der Revolution“ und determinierter Moralist
Obwohl Robespierre nur in insgesamt vier Szenen des Dramas (I,2 / I,3 / I,6 / II,7) auftritt und damit quantitativ im Vergleich zu dem in 16 Szenen erscheinenden Danton eine eher kleine Rolle spielt, hat er für Handlung wie für die geschichtsphilosophische Konzeption des Stückes große Bedeutung. Er sieht sich als Initiator und Lenker einer „soziale[n] Revolution“, die „noch nicht fertig“ (D 85) sei. Robespierre will jedwede Gegensätze von arm und reich aufheben und damit die ökonomischen Verhältnisse in der Gesellschaft grundlegend verändern. Die Grundlage seiner revolutionären Konzeption ist von daher materieller Natur. In diesem Sinne kann man von einem materialistischen Geschichtsbild sprechen, das Robespierre formuliert, obgleich er womöglich im Hinblick auf Determinismus nicht so weit geht wie Büchner.[13] Darüber hinaus erscheint ihm als handelndes Subjekt der Geschichte offensichtlich der Mensch, konkret der Revolutionär, personifiziert wiederum vornehmlich in seiner eigenen Existenz. So spricht er davon, dass die Hände des Volkes durch seine Gesetzgeber geführt werden müssten (D 75), und will als „Blutmessias“ (D 90) das „Schiff der Revolution“ (D 87) lenken. Dies impliziert zweierlei, dessen philosophische Tragweite vermutlich erst im direkten Vergleich mit Danton völlig klar wird. Robespierre sieht sich selbst als aktiven Protagonisten und Macher der Revolution und damit auf einer abstrakteren Ebene Menschen potenziell als Subjekte im geschichtlichen Gesamtprozesses. Er kann demzufolge den Büchnerschen Determinismus im Kern gar nicht teilen.[14] Diesen Gedanken bringt Fink auf den Punkt, der feststellt, dass „von einer passiven Objektrolle […] in der Selbstdarstellung Robespierres nicht die Rede sein“[15] könne. Nur aus solch einem Selbstverständnis lässt sich sein politisches Programm in allen Folgewirkungen adäquat untersuchen. Denn nur wer sich als aktiv handelndes Subjekt versteht, kann ein derart auf Aktion ausgerichtetes politisches Programm formulieren. Seine Vorstellung äußert Robespierre im Jakobinerklub:
Die Waffe der Republik ist der Schrecken, die Kraft der Republik ist die Tugend. Die Tugend, weil ohne sie der Schrecken verderblich, der Schrecken, weil ohne ihn die Tugend ohnmächtig ist. […] Die Revolutionsregierung ist der Despotismus gegen die Tyrannei. […] Das Laster ist das Kainszeichen des Aristokratismus. In einer Republik ist es nicht nur ein moralisches, sondern auch ein politisches Verbrechen […] (D 78)
Diese Rede, die in ihren wesentlichen Stellen auf einer historischen Rede Robespierres beruht, macht ihn in Dantons Augen zum „Dogma der Revolution“ (D 91). Sie kreist um die Begriffe der „Moral“ und der „Tugend“ auf der einen, sowie des „Lasters“ auf der anderen Seite und entwickelt jene moralistische Position, welche Robespierre im Drama fortlaufend und mit steigender Konsequenz vertritt. Folgerichtig gipfelt der Gegensatz zwischen Robespierre und Danton in philosophischer Hinsicht in jenem zwischen Tugend und Laster.[16]
Um das politische Programm Robespierres in seinen Grundfesten zu verstehen, dürfte ein kurzer Seitenblick auf Immanuel Kants Philosophie von Nutzen sein. Robespierre dient gleichsam als ideale Inkarnation der bürgerlich-kantianischen Lehre von Moral und Natur, wo der Dualismus von Tugend und Schrecken, wie er in Dantons Tod herrscht, durch den Konflikt von Sittengesetz und Freiheit seine Fundierung erhalten hatte.[17] Kerngedanke in Kants Sittenlehre ist, dass der Mensch gleichzeitig zwei sich einander ausschließenden Grundsätzen und Zwängen, nämlich jenem der Sittlichkeit (respektive der Moral) und jenem der Freiheit (respektive der Natur) ausgesetzt ist, die beide per se erst einmal absolute Geltung, absolute Hoheit über menschliche Handlungen beanspruchen. Jeder Mensch befindet sich nach Kant in einem ständigen inneren Kampf zwischen dem Bedürfnis, der ureigenen menschlichen, allerdings ipso facto lasterhaften Natur nachzugeben, und dem von Kant sehr deutlich formulierten Anspruch, moralisch und damit gegen die Natur zu handeln – hier liegt der zitierte Gedanke mindestens bezüglich seines auffordernden Charakters nah am gemeinhin bekannten kategorischen Imperativ.[18]
Da Kant seinen ursprünglich anthropologischen Grundgedanken – insofern folgerichtig, als dass das Menschenbild ja immer eine wesentliche Grundlage politischer Philosophie ist – auf seine Konzeption überträgt, werden beide Komponenten, Moral und Natur, notwendigerweise zu Aspekten beziehungsweise Bedingungen der Politik. Die Politik hat dabei für Kant, wie der Mensch als solcher, möglichst dem moralischen Gesetz zu folgen, es ist der einzig akzeptable normative Maßstab. Gleichzeitig besteht immer eine mindestens latente Gefahr, in die profane Natur abzurutschen, da in politicis eben stets Menschen am Werk sind. Die Verknüpfung von moralischem Anspruch und Politik ergibt somit auf der Makroebene des Staatshandelns denselben Konflikt, welcher zuvor für einzelne Menschen gewissermaßen auf der individuellen oder Mikroebene ausgeführt wurde.[18]
Das politische Programm Robespierres wird unter diesem Gesichtspunkt letztlich auf seine „Moralisierung der Politik“[19] reduziert. Damit steht unmittelbar im Raum, welches Menschenbild einem solchen Programm zugrunde liegt und welche politischen Konsequenzen sich daraus ergeben – später ein wichtiger Ansatz für den Vergleich mit Danton. Für den literarischen Robespierre ist die Erziehung des Volkes zu tugendhaftem und von jeder Form des Lasters befreitem Verhalten zwingend notwendig, was sein persönliches Dogma der Revolution – „die Tugend muss durch den Schrecken herrschen“ – begründet. Tugend und Moral sind, obwohl im republikanischen System unverzichtbar, gleichwohl nicht im natürlichen Verhalten der Menschen ursprünglich vorhanden. So kommt es zum sich steigernden, schließlich in grenzenlose Aggression – verkörpert durch die Terrorherrschaft mithilfe der Guillotine – umschlagenden „Terror der bürgerlichen Normen“[20] über die menschliche Freiheit, ihrer lasterhaften Natur immer wieder Folge zu leisten, und in letzter Konsequenz zu einer totalen Moralisierung der Politik. Robespierre „macht mit Philosophie Politik; und diese Philosophie ist ihm auf einen einzigen Antagonismus geschrumpft“[21]. Man könnte insofern argumentieren, Robespierres anfangs des Kapitels als materialistisch beschriebene Position entpuppe sich doch als eine von starken idealistischen Zügen geprägte. Um einer Begriffsverwirrung (etwa mit dem Idealismus Hegels) zuvorzukommen, sei allerdings präzisiert: Der Idealismus, den Robespierre im Drama verkörpert, liegt im Kern darin, dass er, der Menschen als handelnde Subjekte der Geschichte versteht, Politik mit einer philosophischen Idee gestalten will, die Tugend und Moralität zu Maximen des Handelns und somit höchsten Zielen erklärt. Es geht ihm eben nicht allein darum, eine ökonomische Kluft in der Gesellschaft zu überwinden; vielmehr will er ein Ideal von Politik und menschlichem Verhalten etablieren.
Die geschichtsphilosophische Position, die sich aus dem Vorhergehenden ergibt, bedingt ihrerseits eine bestimmte Haltung zum Volk, ohnehin „Telos jedes Revolutionärs“[23] und für Robespierre als conditio sine qua non seiner Vorstellungen von eminenter Bedeutung. „Armes, tugendhaftes Volk! Du thust deine Pflicht, du opferst deine Feinde. Volk du bist groß“ (D 75) findet sich eine explizite Charakterisierung des Volkes durch Robespierre bereits sehr früh im Diskurs. Dieser grundsätzlich positive Volksbegriff, der von „tugendhaft“ und „groß“ spricht, steht in gar eigentümlichem Widerspruch zur im Drama dargestellten Wirklichkeit. Szene III,10 vermittelt nachhaltig das Bild eines zerstrittenen und manipulierbaren Mobs. Zunächst huldigt man Danton („es lebe Danton!“ D 121), um kurze Zeit später, angestachelt durch den Hinweis auf sein luxuriöses und lasterhaftes Leben – „schöne Kleider“, „schönes Haus“, „silberne[..] Teller“ (ebd.) – in der kollektiven Stimmung vollständig zu „Es lebe Robespierre! Nieder mit Danton“ (ebd.) umzuschlagen. Das Volk ist gleichwohl nicht nur Objekt der Manipulation und extrem leicht durch eine einzige demagogische Zuckung beeinflussbar[22], sondern überdies und in besonderem Maße im eigenen Elend gefangen. Bestes Beispiel hierfür: die Mutter, die das Hungerklagen ihrer Kinder stillen will, indem sie diese einer Hinrichtung beiwohnen lässt und damit „ruhig“stellt (D 130).
Es ergibt sich die Frage, in welchem Verhältnis Robespierre zum Volk tatsächlich steht, beziehungsweise inwiefern seine Wahrnehmung und die Realitäten übereinstimmen oder divergieren. Festzustellen ist schon anhand bis dato genannter Beispiele (leichte Manipulierbarkeit und Elend etwa), dass er, der sich „ein tugendhaftes Idealgebilde „Volk“ aus […] neidischen, hungernden und habgierigen Menschen“[23] erschaffen hat, offensichtlich von den Menschen und ihren Problemen extrem weit entfernt ist. Dies steht wiederum, quasi als Grundlage des Staatshandelns, in absolutem Kontrast zu seiner politischen (Ziel-)Vorstellung und seinem geschichtsphilosophischen Dogma einer tugendhaften und lasterfreien, dabei insbesondere ökonomisch gerechten Gesellschaft. Überdies bietet der von Robespierre zum staatlichen Grundpfeiler erhobene Lehrsatz keine Möglichkeit zum Widerstand. Tugend und Moral sind ausschließlich in dem herrschenden (respektive in der erzählten Zeit des Dramas noch im Entstehen begriffenen) revolutionären System zu verwirklichen und können keinesfalls beispielsweise einen Umsturz – zumal einen aristokratischen oder einen solchen, der zum alten System zurückkehren würde – begründen, ohne im selben Moment zu einem Verbrechen zu werden. Die Moral, längst zu einem Moralismus geworden, hat sich, sobald sie mit der realen Macht zusammenfiel, als vollkommen realitäts- und volksfern erwiesen und damit den von Robespierre formulierten moralischen Anspruch ad absurdum geführt, ja zerstört. Handelt es sich grundsätzlich schon um ein Paradoxon, Tugend durch „Schrecken“ zu erreichen – denn wie können Schrecken und Gewalt tugendhaft oder auch nur im Sinne der Tugend sein? –, so haben die Realitäten offensichtlich zum endgültigen Scheitern jedes Moralismus à la Robespierre geführt.[24] Dass Robespierre diesen Aspekt seines Scheiterns offenkundig nicht realisiert, zeigt sich deutlich, tätigt er das Gros seiner Äußerungen – abgesehen von einem Disput mit Danton im Privatzimmer (I,6) – doch in Form von Reden (vor dem Jakobinerklub I,3 und dem Nationalkonvent II,7). Damit befindet er sich zwangsläufig nicht nur vornehmlich in der Pose des „Messias“, wie eine Frau sogleich feststellt (D 75), sondern in derjenigen eines politischen Agitators. Seine Sprache ist entsprechend direkt und rhetorisch geschliffen. Es ist der Duktus eines „Soldaten, der nie etwas anderes gekannt hat als den Krieg“[25], welcher aus seinen Worten spricht. All dies lässt ihn zugleich als ebenso einsamen wie wirkungslosen Politiker auftreten.
Eine weitere Schärfung und Modifizierung des gewonnenen Bildes erlaubt abschließend noch der kurze Blick auf innere Widersprüche Robespierres in Dantons Tod. So gibt es einige Stellen im Drama, an denen er Selbstzweifel äußert, was besonders in seinem Gespräch mit Danton (Szene 1,6) deutlich wird. Beispielsweise fragt sich Robespierre zunächst mit dem Satz „Und wenn sie Recht hätten?“ (D 87), ob nicht womöglich Dantons Ansichten über Moral und Laster die richtigen seien, um fortzufahren: „[…] sind wir nicht Nachtwandler? ist nicht unser Handeln, wie das im Traum, nur deutlicher, bestimmter, durchgeführter?“ (D 88). Damit wird unmittelbar klar, dass auch er eine Art Determination, ebenso wie Danton sie klarerweise sieht, zumindest erahnt,[26] mithin „Dantons und Robespierres Skepsis […] dieselbe [ist], wenn auch ihre Folgerungen sich diametral entgegenstehen“[27][28]. Der Satz „Ich weiß nicht, was in mir das Andere belügt“ (D 87) lässt schließlich erkennen, wie sehr sich Robespierre von einer anonymen Macht (fremd-)bestimmt fühlt. Konkret scheinen immer wieder Zweifel durch, ob der Lauf der Geschichte und der Revolution tatsächlich weiter durch ihn bestimmbar bleibt oder ob das Heft des Handelns nicht längst an eine wie auch immer geartete Macht (man mag hier von „Determination“ oder „Fatalismus“ sprechen) abgegeben wurde. Fuhrmann bringt denselben Gedanken auf den Punkt, indem er feststellt, dass gerade nach dem Disput mit Danton, der Robespierre in seinen Grundüberzeugungen angegriffen hatte, „die Fassade [der] ideologischen Selbstsicherheit“[29] zusammengebrochen sei. Folgen sind z. B. Gewissensbisse („Wer hat sich mehr verleugnet, Ich oder er?“ D 90). Jede Selbstdarstellung seiner moralischen Verfassung wird zu einer „Lebenslüge“[30]. Jene nahezu ungezügelte Abtrünnigkeit seiner Freunde erahnt Robespierre, wenn er das biblische Zitat „es ist alles wüst und leer“ (D 90) aufgreift und feststellt: „Sie gehen Alle von mir […]. ich bin allein“ (ebd.).
Neben Widersprüchen zwischen Aussagen Robespierres und der Realität gibt es folglich etliche Zweifel und Andeutungen, welche eine einheitliche Bewertung in der Gesamtheit unmöglich machen. Festzuhalten ist vielmehr, dass Robespierre eine moralistische Philosophie vertritt. Diese bedingt prominente idealistische Züge seiner Geschichtsphilosophie (trotz vorhandener materialistischer Aspekte), welche allerdings an der Realität scheitern. Ebenso beobachtet man gar vielerlei reflexive Momente, die zeigen, dass sich Robespierre nicht sicher ist, wie autonom er tatsächlich handeln kann. Er wird so letztlich zu einem determinierten Moralisten, der höchste Widersprüche verkörpert.
3.2 Danton – Epikureer und „Fatalist aus Einsicht“
Zunächst ist bei der philosophischen Position Dantons ein Widerspruch in der Beurteilung seiner eigenen Rolle im Geschichtsprozess auffällig. Zeitweise glaubt er offenbar durchaus, die Revolution zu beeinflussen oder zumindest beeinflusst zu haben, er stilisiert sich im Laufe des Dramas mehrfach regelrecht zum Helden.[31] Seine geschichtsoptimistische Einstellung ist besonders greifbar in Dantons erstem Auftritt vor dem Revolutionstribunal (Szene III,4). „Männer meines Schlages sind in Revolutionen unschätzbar, auf ihrer Stirne schwebt das Genie der Freiheit“ (D 111) erklärt er, um kurz darauf anzuführen, welche Taten er für die Revolution vollbracht habe (D 112). Spätestens mit dem Satz „Meine Stimme war der Orkan, welcher die Satelliten des Despotismus [..] begrub“ (ebd.) wird klar, dass sich Danton als handelndes Subjekt versteht. Diese Aussagen lassen ihn relativ nahe an Robespierre rücken, wenn es um die Darstellung eigener Handlungsfähigkeit geht.
An verschiedenen weiteren Punkten des Dramas erwächst aus solcher Grundeinstellung offensichtlich eine profunde Zuversicht, weiterhin wichtiger Bezugspunkt der Revolution zu sein und deshalb nicht verfolgt oder gar hingerichtet zu werden. Aussagen wie „sie werden’s nicht wagen“ (D 92) oder „sie könnten mich noch nötig haben“ (D 84) mit Bezug auf eine eventuelle Verhaftung und Verurteilung zeigen, wie sehr Danton davon überzeugt ist, dem revolutionären Gesamtprozess gegenüber eine gewisse Gestaltungsmacht auszuüben. Abgesehen von seinen Verteidigungsreden (Szenen III,4 und III,9) erscheinen diese Hinweise allerdings ausschließlich zu Beginn des Dramas. Glebke erklärt dies damit, Danton, sei gewissermaßen in einem noch nicht abgeschlossenen Erkenntnisprozess begriffen, widersetze sich mithin anfangs noch der fatalistischen Erkenntnis seiner Verlorenheit.[32] Solch eine Annahme scheint aber irrig, wird hier doch vielmehr bei Danton ein grundsätzlicher Widerspruch in seinen Ansichten erkennbar. Dass nicht von einem beinahe abgeschlossenen Erkenntnisprozess gesprochen werden kann, der anschließend dann in eine feste Ansicht münden müsste, beweist schon die beträchtliche Distanz innerhalb der Handlung (zumindest von Szene I,5 bis Szene III,9), über welche wiederholt Hinweise darauf existieren, dass er sich als agierendes Subjekt und unverzichtbaren Bestandteil der Revolution betrachtet. Es handelt sich bei Danton somit schon auf den ersten Blick um „eine höchst widersprüchliche Persönlichkeit“[33], wie wiederum Glebke selbst feststellt. Dies ist – wie schon bei Robespierre – absolut zentral für eine Bewertung und muss bei allen folgenden Ausführungen stets relativierend in Betracht gezogen werden.
Tatsächlich zeigt Danton allerdings in etlichen Situationen ein anderes Bild seiner geschichtsphilosophischen Position. Er steht oftmals geradezu prototypisch für ein fatalistisches Geschichtsmodell, das keinerlei Ziel und Sinn in der Geschichte erkennt, wie eine Monologszene (eine Szene reiner Selbstreflexion und daher extrem aufschlussreich für Dantons authentische Gedanken) demonstriert (Szene II,4): Es ist ein Gefühl des Bleibens in mir, was mir sagt, es wird morgen so sein, wie heute, und übermorgen und weiter hinaus ist Alles wie eben. (D 98) Hier beruht Dantons Geschichtsphilosophie offensichtlich auf dem Glauben an eine „ewige Wiederkehr des Gleichen“[34]; er fühlt sich bestimmt von der „iterativen Kraft der Geschichte“[35].
Hieraus resultiert gewissermaßen zwangsläufig der geschichtspessimistischere Gedanke des Fatalismus und der Determination, der Dantons Handeln und seine Aussagen über weite Strecken bestimmt. „Wir haben nicht die Revolution, sondern die Revolution hat uns gemacht“ (D 91) bekennt Danton und kapituliert so ganz offen vor der Geschichte, jener „Gewalt, die den Menschen angetan wird“[36], welche letztlich nicht von den handelnden Revolutionären beherrscht wird, sondern diese vielmehr ihrerseits beherrscht. Die Menschen werden zu „Puppen […] von unbekannten Gewalten am Draht gezogen“ (D 100).[38] Politisches Handeln allgemein – und revolutionäres Handeln im Speziellen – wird auf dieser Basis zum Schauspiel, zu nutzloser Zeitverschwendung, während man jedwede Verantwortung für Handeln der Politiker (und der Menschen generell) an ein abstraktes „Muss“ abgibt, das Danton geradezu beschwört, indem er fragt: „Wer will der Hand fluchen, auf die der Fluch des Muß gefallen?“ (D 100) Die wörtliche Analogie zum „Fatalismusbrief“ folgt bezeichnenderweise prompt: „Was ist das, was in uns hurt, lügt, stiehlt und mordet?“ (ebd.) Danton führt seinen Gedanken sogar noch einen Schritt weiter, wenn er sagt: „[W]ir stehen immer auf dem Theater, wenn wir auch zuletzt im Ernst erstochen werden.“ (D 92) Auf Grundlage der Annahme, alles sei vorherbestimmt und ewig wiederhole sich nur Gleiches, erklärt er quasi das ganze Leben zu einer Farce!
Wie Robespierre Tugend und Moralismus zu Maximen seines Handelns stilisiert, verfolgt Danton eine denkbar andere Lebensweise als Konsequenz seines fatalistischen Denkens. Deren Leitsatz legt er im Disput mit Robespierre dar (Szene I,6):
Robespierre: Du leugnest die Tugend?
Danton: Und das Laster. Es gibt nur Epicuräer und zwar grobe und feine, Christus war der feinste; das ist der einzige Unterschied, den ich zwischen Menschen herausbringen kann. Jeder handelt seiner Natur gemäß d. h. er tut, was ihm wohl tut.
Hier sind die zentralen Begriffe der dantonistischen Lebens- und Geschichtsphilosophie prägnant auf den Punkt gebracht. Es geht ihm um die Freiheit der Menschen, ihrer Natur gemäß zu leben, und um das, „was ihm [dem Menschen] wohl tut“, letztlich also um größtmögliche Steigerung des Glücks beziehungsweise Genusses. Dabei rekurriert Danton ausdrücklich auf epikureische Lehren, weshalb diese kurz in ihren für unseren Kontext wichtigen Inhalten referiert werden sollen.
Die epikureische Philosophie kreist um die beiden Zentralbegriffe „dolor“ (Schmerz) und „voluptas“ (Glück). Ziel ist ein maximal erfülltes Leben, worunter Epikureer letztlich das maximale menschliche Glück im Diesseits fassen. Dies gelingt über jenes Kriterium der „Lust“ und das Medium der „Seelenruhe“, wobei letztere in der menschlichen Natur laut Epikur qua Geburt angelegt ist. Glück definiert sich bei alledem ex negativo aus Abwesenheit von Schmerz und wird nach epikureischer Lehre ausschließlich über ein Leben in Zurückgezogenheit erreicht. Höchste Güter sind Seelenruhe und Freundschaft; öffentliche Anerkennung oder politisches Engagement spielen hingegen keine Rolle, der Rückzug des Weisen ins Private wird gar ausdrücklich empfohlen. Ein Leben nach dem Tod oder einen höheren Sinn des Lebens sowie ein Ziel in der Geschichte sieht Epikur nicht.[37] Bei der epikureischen Lehre in ihrer ursprünglichen Form handelt es sich aber nicht um „platten Hedonismus“, sondern vielmehr um eine „Vernunftethik“[38]. Darauf macht Frizen aufmerksam, der anführt, dass hier nicht eine Philosophie des „schrankenlosen Genusses“ ihre theoretische Grundlage erhalte, sondern diejenige der „Glückseligkeit in der Apathie [und] der Schmerzlosigkeit“[39].
Die Annahme, die Dantonisten in Dantons Tod verträten auf epikureischer Grundlage eine rein „hedonistische […] Staatsutopie“[40], greift folglich in mindestens zwei wichtigen Punkten erkennbar zu kurz. Eine Reduktion des Epikureismus auf „Hedonismus“ – in diesem Kontext ist die vollständige Fixierung auf Lustgewinn gemeint – ist unzulässig, denn sie trifft nicht seinen ethischen Kern, welcher ja gerade größtmögliche Erfüllung durch sinnvollen Ausgleich von Lust und Schmerz zu erreichen sucht.[41] Weitaus bedeutender aber noch: Der Epikureismus ist in seiner Grundform explizit eine Philosophie des Privaten; sie rückt das Individuum in den Blick, nicht den Staat, und postuliert im selben Atemzug, dass privates Leben dem öffentlichen stets vorzuziehen sei. Damit etabliert sie – so man keine totale Absage an politisches Engagement sehen möchte – einen Primat der privaten Tugend im Dienste des individuell erfüllten Lebens gegenüber ihrer politischen Schwester. Von einer Staatsphilosophie im eigentlichen Sinne, wie sie sich bei den kantianischen Grundlagen Robespierres noch gezeigt hat, kann damit keine Rede mehr sein.
Obgleich Camille im Drama Epikur zum „Türsteher der Republik“ (D 71) erheben will, bedeutet die strikt epikureische Lebenshaltung Dantons eine „Entpolitisierung der Politik überhaupt“[44] und die Reduzierung jeglichen Staatshandelns auf „das Prinzip ‚laissez faire – laissez aller, Leben [sic!] und leben-Lassen [sic!]‘“[45]. Diese Idee vom Staat drückt Herault gleich in der ersten Szene aus, wenn er fordert, das „Recht [solle] an die Stelle der Pflicht, das Wohlbefinden an die der Tugend“ (D 71) treten und „jeder [solle] seine Natur durchsetzen“ (ebd.) und „jeder […] in seiner Art genießen“ (ebd.) können. Damit sehen die Dantonisten im Drama die menschliche Natur ausdrücklich positiv, sie verkehren gewissermaßen den Tugendbegriff auf Grundlage ihrer deterministisch-materialistischen Moral, da sie an keinen höheren Sinn glauben und die Erfüllung der Menschen in einem individuell erfüllten Leben suchen, in das komplette Gegenteil. „Tugend erscheint als Lüge, während das, was er [Robespierre] als Laster ausruft, positiv als Ausdruck der Natur gewertet wird.“[42] Damit wird der programmatische Schwerpunkt nicht auf die Gleichheit aller Menschen gelegt – Danton erwähnt beispielsweise niemals einen sozialen Aspekt der Revolution, wie es Robespierre etwa permanent macht –, sondern auf die Rechte des Individuums, seine Natur frei zu verwirklichen und auszuleben, die als höchstes Gut und Ziel dienen.
Um diesen Gedanken zum Ausdruck zu bringen, hebt Werner die Bedeutung des Satzes „Jeder tut, was ihm wohl tut“ als, so unterstellt er, grundlegendes Axiom des Dramas hervor. Ausgehend von diesem Dogma entsteht die Konzeption, welche von Danton entworfen wird und die Werner „zynisch“ nennt, da sie auf völliger materialistischer Illusionslosigkeit beruhe.[43] Materialistisch ist sie deshalb, weil sie auf die Befriedigung materieller, konkreter Bedürfnisse (etwa die Steigerung des Wohlstandes) zielt und nicht in einem idealistischen und/oder moralischen Sinn verstanden werden kann. Dies wiederum erklärt sich aus der zugrunde liegenden epikureischen Denkweise. Hier geht es nicht vorrangig darum, zu ergründen, inwiefern das Volk in Dantons Tod diese Philosophie lebt, sondern entscheidend ist, dass sie Maxime der Dantonisten ist. Danton akzeptiert dieses Dogma, es ist in seiner Sicht das einzig realistische und vollkommen natürliche. Wie oben erläutert, sieht die kantianische Philosophie Robespierres diesen menschlichen Wesenszug ebenfalls. Allerdings ergänzt Kant solch eine Notwendigkeit um jene des Sittengesetzes, die stets den Vorrang gegenüber aller Natur erhalten muss. Dantons Position ist so gesehen nicht nur die Verleugnung der Tugend Robespierres Schreibweise, sondern die Vernichtung jeglicher menschengemachter Sittengesetze oder Moral, die sich über die Natur oder nur einen Teilaspekt der menschlichen Natur zu erheben sucht: Das „Wohlbefinden [wird] ein Naturrecht aller“[48]. Genau hier entzündet sich der geschichtsphilosophische Konflikt zwischen Robespierre und Danton. Indem das genannte Axiom von Danton absolut gesetzt wird und gleichsam zur unabänderlichen Grundbedingung politischen oder vielmehr perfekt entpolitisierten Handelns mutiert, erscheint das Revolutionsziel, ein Republikanismus, wie ihn Robespierre verkörpert, der auf Tugend, Moral und die Erziehung der Bürger setzt – notfalls vermittels bedingungslosen Terrors –, nur noch als „Efeublatt einer Ideologie, die den Blicken des Publikums die Schamstelle der bürgerlichen Gesellschaft entzieht“[44]. Durch den Egoismus aller Menschen, der auf ihrer Natur beruht und auf dem Drang, eigenem Wohlergehen zu dienen, wird Politik im Sinne des Gemeinwohls sowie jeder übergreifenden Idee unmöglich oder zumindest nutzlos, sie entpuppt sich als Schauspiel wenn nicht gar Lüge. Diese radikale Ablehnung des Moralismus paraphrasiert Danton selbst gegenüber Robespierre in der direkten Auseinandersetzung:
Robespierre, du bist empörend rechtschaffen. Ich würde mich schämen 30 Jahre lang mit der nämlichen Moralphysiognomie zwischen Himmel und Erde herumzulaufen bloß um des elenden Vergnügens willen Andre schlechter zu finden, als mich.
[…]
Das Gewissen ist ein Spiegel vor dem ein Affe sich quält; jeder putzt sich wie er kann, und geht auf seine eigne Art auf seinen Spaß dabei aus.
[…]
Nicht wahr […] es ist grausam dir die Absätze so von den Schuhen zu treten? (D 86)
Die Tugend wird zu den „Absätzen“, auf denen Robespierre läuft. Sie erfüllt keinen anderen Zweck als den, ihren Träger zu erhöhen. Das Gewissen wird zum „Spiegel“ für einen „Affen“, der sich selbst etwas vorspielt, sich belügt, um sich zu beruhigen. Die totale Leugnung und Zerstörung aller Begriffe und Werte, welche für die moralistische Konzeption von Bedeutung sind, ist ganz offenkundig. Mit dieser Einstellung, die Robespierres Dogmatismus in ihren Grundfesten erschüttern muss,[45] wird Danton logischerweise zur Gefahr für einen revolutionären Gesamtprozess, wie Robespierre ihn gestalten will. Seine Hinrichtung wegen Hochverrats (Robespierre: „das Laster ist zu gewissen Zeiten Hochverrat“ D 86) ist vor diesem Hintergrund unumgänglich.
Allerdings steht jede politische Gefahr für die Revolution, die von der dantonistischen Position ausgeht, in einem recht eigentümlichen Widerspruch zum totalen Rückzug Dantons aus der öffentlichen Sphäre – der nach epikureischer Lehre ebenso logisch ist, wie er folgerichtig bleibt mit Blick auf Dantons Fatalismus. Meist tritt Danton im privaten Raum in Erscheinung, Ausnahmen bleiben hier die Auftritte vor dem Revolutionstribunal, bei seiner Hinrichtung sowie der kurze Spaziergang auf einer Promenade (Szene II,2). Er hat mithin die politische Sphäre mit dem „privaten Spiel-Raum vertauscht“[46] und den Spieltisch zu seiner bevorzugten Bühne erklärt, er „vertändelt die Zeit“[52]. Zum öffentlichen Auftritt auf der politischen Bühne versuchen ihn allerlei Freunde trotzdem, oder eben deswegen, vielfach zu bewegen. Camille animiert ihn, seine Ansichten vor dem Nationalkonvent zu vertreten („Danton, du wirst den Angriff im Konvent machen.“ D 71), aber Danton wiegelt sofort ab: „Ich muß fort, sie reiben mich mit ihrer Politik noch auf.“ (D 72) Ueding nennt diese Zurückgezogenheit und politische Ambitionslosigkeit die „bis zur Pose getriebene Haltung des Beobachters aller Vorgänge“, die auf einer „unerfüllten Sehnsucht“ beruhe.[53] Tatsächlich ist es allerdings nur folgerichtig, wenn sich dantonistische (Geschichts-)Philosophie in vollständiger Apathie und Privatheit ausdrückt, macht ja schon die Einsicht in die fatalistische Sinnlosigkeit der Geschichte jeden Versuch sinnlos, aktiv ins Politische einzugreifen. Mit Blick auf die fatalistische Position Dantons erhellt dieser Gedanke, dass Danton nicht etwa einen problematischen Charakter verkörpert – ebenso wenig eine Person, die aus Ignoranz oder Dekadenz in die Privatheit flüchtet – sondern vielmehr einen höchst bewussten und in höchstem Maße reflektierenden wie reflektierten Mann, der sich durch seine geschichtsphilosophische Einsicht von jeder moralistisch-idealistischen Position abwendet: Danton ist tatsächlich „Fatalist aus Einsicht“[54]! Dazu passt nur zu gut, wenn die Dinge, die von ihm angesprochen werden, nur Marginalien sind, niemals aber etwas über ein eigenes politisches Programm jenseits des apolitischen Epikureismus erkennbar wird.[55] Auch in seiner Auseinandersetzung mit Robespierre geht es letztlich mehr um eigene Moralvorstellungen denn um konkrete Politik.
Somit vertritt Danton eine fundamental andere geschichtsphilosophische Position als sein Gegenspieler Robespierre. Sie beruht auf ihren fatalistischen Grundpfeilern und schlägt sich in einer strikt epikureischen Philosophie nieder. Der Fatalismus Dantons lebt von Reflexion und ist demnach ein „Fatalismus aus Einsicht“. Er gründet außerdem auf streng materialistischen Annahmen und erteilt jeder Art von Idealismus oder Geschichtsoptimismus eine klare Absage. Aus solch einer vergleichenden Untersuchung vorschnell den Schluss zu ziehen, Robespierre sei nur eine „Maske“ Dantons und Danton nur eine Maske Robespierres,[56] wirkt dennoch absurd. Ihre Gemeinsamkeiten liegen in den Zweifeln und durchaus darin, wie „der eine noch die Position [behauptet], die der andere schon aufgab“[47]. Damit ist allerdings nur gesagt, dass Robespierre eine ähnliche Desillusionierung bevorstehen könnte, er womöglich schon in einem ganz frühen Stadium begriffen ist, nicht aber, dass der Gegensatz zwischen beiden Charakteren und der Geschichtsphilosophie, die sie verkörpern, in der erzählten Zeit schon marginal ist – im Gegenteil: Es existiert ein großer, ja sogar handlungstragender Kontrast!
4. Büchners Fatalismus als Absage an die Revolution?
Abschließend soll noch ein Versuch unternommen werden, die geschichtsphilosophischen Positionen in Dantons Tod vor dem Hintergrund des „Fatalismusbriefes“ einzuordnen. Die Frage ist, welche Schlüsse Büchner aus seinem Studium der Französischen Revolution zog, und besonders, wie diese mit der politischen Aktivität in Einklang zu bringen sind, die Büchner bekanntermaßen im Hessischen Landboten (erste Fassung: Juli 1834) an den Tag legte; es soll also nicht weniger als der Versuch unternommen werden, das Paradox zwischen Fatalismus und Aktivismus vor dem Hintergrund von Dantons Tod zu erhellen.
Bei der Formulierung der Erkenntnisse in seinem „Fatalismusbrief“ nimmt Büchner ausdrücklich Bezug auf das Studium der Französischen Revolution, das sein unmittelbarstes Ergebnis (nicht im zeitlichen Sinne, denn Büchner schrieb das Drama erst Anfang 1835, wohl aber in thematischer Hinsicht) in Dantons Tod fand. So ist das Drama wesentliches Ergebnis seines Quellenstudiums und in der ihm zugrunde liegenden Philosophie nicht ganz überraschend deckungsgleich mit derjenigen, die Büchner in seinem Brief als Ergebnis des Revolutionsstudiums kundtut:
Ich fühlte mich wie zernichtet unter dem gräßlichen Fatalismus der Geschichte. Ich finde in der Menschennatur eine entsetzliche Gleichheit, in den menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare Gewalt, Allen und Keinem verliehen. Der Einzelne nur Schaum auf der Welle, die Größer ein bloßer Zufall, die Herrschaft des Genies ein Puppenspiel, ein lächerliches Ringen gegen ein ehernes Gesetz, es zu erkennen das Höchste, es zu beherrschen unmöglich.[48]
Hier erscheint genau der Gedanke, der in Dantons Tod zur Sprache kommt – vornehmlich durch Danton, aber auch vereinzelt durch Robespierre. Der Einzelne hat keine Macht über den historischen Prozess; das übergeordnete Gesetz, eben das „Fatum“, bestimmt den Ablauf der Geschichte. Damit ist auf den ersten Blick plausibel, wenn man den Dichter Büchner des „geschichtlichen Nihilismus“[49] bezichtigt und erklärt, es handele sich bei Dantons Tod um „die Tragödie des Determinismus“[50]. Gleichwohl bleibt bei dieser Interpretation fraglich, wie jene geschichtsphilosophische Erkenntnis mit Büchners politischem Engagement vereinbar ist. Anders ausgedrückt: Entweder handelt Büchner gegen eigene Überzeugungen, sobald er im Hessischen Landboten die Rolle des Revolutionsinitiators annimmt, oder es gibt eine Entwicklung und damit eine treffendere Einschätzung des Dramas mit Blick auf Büchners tatsächliche Geschichtsphilosophie und deren Genese. Sehr prägnant findet sich der Widerspruchs-Gedanke bei Bolten, der den Hessischen Landboten und Büchners politisches Engagement zur „wider die eigene geschichtsphilosophische Einsicht vollzogene[n] Flucht in die Aktion“ umdeklariert.[51] Er sieht Büchner allerdings dennoch fortlaufend in einen „Widerspruch von Idealismus und Realismus verstrickt“[52], ausgedrückt dadurch, dass in allen nach dem Hessischen Landboten entstandenen Werken (also in Dantons Tod und in Leonce und Lena) erneut eine schicksalsgläubige Philosophie, wie sie sich im Fatalismusbrief findet, zum Ausdruck komme. Offensichtlich gibt es also keine absolut gesetzte, unverrückbare Geschichtsphilosophie bei Büchner, sondern nur verschiedene Einsichten und Folgerungen; warum sonst sollte die philosophische Grundlage der Büchnerschen Werke und Briefe derart divergieren?
Müller-Nielaba versucht selbigen Widerspruch durch das Argument aufzulösen, die Verarbeitung des Fatalismus in Dantons Tod sei die einzig mögliche, nämlich auf die ästhetische Ebene verlagerte Überwindung desselben.[53] Es bleibt hier gleichwohl nicht nur offen, in welcher Form eine „Überwindung“ möglich ist, wenn im Drama doch eben diese fatalistische Komponente noch vorherrscht (womöglich wäre der Ausdruck „Verarbeitung“ treffender); vor allem erscheint so auch der Hessische Landbote mit seinem Aktivismus wiederum entweder als „Kunst“ ohne echten politischen Anspruch, oder als Widerspruch im oben explizierten Sinne.
Um eine stichhaltige These für die Geschichtsphilosophie Büchners zu formulieren, muss demnach eine weitere Beobachtung zu Rate gezogen werden. Der womöglich entscheidende Hinweis hierfür findet sich im Brief dort, wo von dem „Einzelnen“ und der „Herrschaft des Genies“ die Rede ist. Diese wichtigen Komponenten Büchnerschen Fatalismus` lassen sich in Dantons Tod eindeutig wiederfinden. Im Drama sind es Robespierre und Danton, die von Büchner gleichsam entheroisiert werden. Beide sind Individuen, die mit ihren Vorstellungen am geschichtlichen Gesamtprozess gescheitert sind, beide mutieren in der Folge zu Einzelkämpfern – Robespierre, da niemand in seinem engeren Vertrautenkreis zuverlässig zu ihm hält, und Danton, schon weil er gegen das Volk und die herrschenden Personen machtlos wirkt. Es erscheint somit durchaus plausibel, dass Büchner die Bestimmung des menschlichen Individuums durch sich selbst unter Führung eines größeren Geschichtsgesetzes infrage stellt; dies trifft allerdings keinesfalls den Kern seines Fatalismus!
Es ist eben kein resignierter, sondern lediglich ein desillusionierter Fatalismus[54], welcher sich von der Kraft einzelner Heroen in der Geschichte verabschiedet. Büchner zerstört in seinem Drama Dantons Tod die noch in seinen Schülerschriften (in der Person des Kato von Utika und der 400 Pforzheimer) vorhandene Vorstellung des „geschichtlichen Helden“.[55] Diese Konzeption war wiederum gerade in der Französischen Revolution vorherrschend, die immer mehr zu einer bürgerlichen Revolution wurde, sich zunehmend auf einzelne Personen stützte (eben z. B. Danton und Robespierre) und nicht zuletzt aufgrund starker Interessengegensätze zwischen den „Machern“ der Revolution scheiterte. Das wiederum erkannte Büchner in seinem Studium der Revolution und setzte es anschließend in Flugschrift und Drama um. Es ist also ebenso unangebracht, von Dantons Tod als Ausfluss eines geschichtlichen Nihilismus, damit totaler Resignation Büchners, zu sprechen, wie umgekehrt die Schlussfolgerung erstaunt, das Geschichtsbild des Dramas sei überhaupt nicht fatalistisch.[66] Die Französische Revolution diente Büchner offensichtlich als Lehrstück[56] für den Entwurf einer eigenen Revolutionsstrategie. Jene sich ergebende Geschichtsphilosophie ist fatalistisch durchaus im Sinne von resigniert, aber bezogen auf eine ganz bestimmte Geschichte: diejenige, die durch große Männer gelenkt wird. Sie ist mitnichten resigniert bezüglich der Geschichte überhaupt!
5. Fazit
Auf Basis dieser Arbeit, welche die beiden wichtigsten Charaktere des Dramas im Hinblick auf ihre geschichtsphilosophischen Implikationen untersucht hat, lassen sich einige Schlüsse für das Werk sowie für Georg Büchners Philosophie allgemein ziehen. Zunächst ist festgestellt worden, dass Büchner seine materialistische Grundposition in scharfer Opposition zu den philosophisch vorherrschenden idealistischen Strömungen jener Zeit entwickelte. Der philosophische Diskurs in Dantons Tod dreht sich im Kern um Fragen, wie das Individuum zum geschichtlichen Gesamtprozess steht und ob es eine sinnvolle Entwicklung oder ein Ziel der Geschichte gibt. Auf dieser Grundlage wurde konkret nach der politischen Konzeption der beiden Hauptpersonen und den Auswirkungen auf ihr Verhalten gefragt.
Die fatalistische Geschichtsphilosophie wird in Dantons Tod vornehmlich von Danton verkörpert; Er, der epikureische „Fatalist aus Einsicht“, bestimmt Handlung wie philosophische Konzeption des Stückes. Er zeigt keinerlei politische Aktivität, erscheint im Grunde dezidiert apolitisch und desillusioniert, wie in seinem gesamten Habitus und den Themen seiner Gespräche ersichtlich. Dennoch bedeutet sein privatisierter Tugendbegriff, der letztlich auf Lustgewinn ausgerichtet ist, eine Gefahr für jene politische Position, die Robespierre in Dantons Tod vertritt. Robespierre dient gewissermaßen nicht nur in narratologisch-kompositorischer, sondern auch in geschichtsphilosophischer Hinsicht als Antagonist Dantons. Er verkörpert einen Moralismus und einen Tugendbegriff, der ein Ziel der Geschichte (z. B. die Aufhebung aller sozialen Gegensätze) impliziert und insgesamt deutlich idealistische Züge trägt, obgleich er schon unter dem Aspekt des Materialismus nicht mit dem Idealismus Hegels gleichzusetzen ist. Folglich unterscheidet sich sein Verhalten im Drama von dem Dantons; er gibt sich aktiv und kämpferisch. Als Beobachtung wurde allerdings festgehalten, dass weder Danton noch Robespierre vollkommen konsistente Persönlichkeiten sind, es mithin bei beiden erhebliche Widersprüche gibt. So sieht sich Danton immer wieder als handelndes Subjekt und unentbehrlichen Gestalter der Revolution. Robespierre zweifelt demgegenüber vor allem nach der direkten Konfrontation mit Danton an seinem Moralismus und erahnt bereits die Determination, welche Danton derweil längst zum Credo geworden ist. Diese Widersprüchlichkeiten können als Indiz gelten, wie sehr Büchner mit seiner Geschichtsphilosophie noch in einem Widerspruch, in einer Entwicklung begriffen war.
Die Geschichtsphilosophie in Dantons Tod ist vor dem Hintergrund des politisch aktiven Büchners nicht nur – und ebenso nicht in erster Linie! – als widersprüchlich zu sehen. Sie ist Erkenntnis aus dem Studium der historischen Quellen und ein Schritt auf dem Weg zum revolutionären Aktivismus Büchners. Dieser vollzieht im Revolutionsstudium wie im Drama eine Abkehr von der Geniegeschichte, der Geschichte großer Männer und setzt sich im Hessischen Landboten folgerichtig für eine Vereinigung der Masse (der „kleinen Leute“) ein. Er versucht, das fatalistische Geschichtsgesetz, an dem Danton und Robespierre als Einzelpersonen scheitern, durch größtmögliche Konvergenz der Volkskräfte in eine positive revolutionäre Kraft zu verwandeln. Insofern handelt es sich bei Dantons Tod philosophisch um ein höchst komplexes Werk, das im Gesamtwerk Büchners und im Entwicklungsprozess hin zum Revolutionär einen Meilenstein darstellt. Es ist vor dem Hintergrund dieser Arbeit nicht so sehr „Tragödie des Determinismus“, sondern vielmehr ein Werk, das fast zwangsläufig weitere Aktivitäten und Einsichten Büchners nach sich zog.
Justus-Liebig-Universität Gießen, Sommersemester 2010
[1] (D): Georg Büchner: „Dantons Tod.“ In: Werke und Briefe. Münchner Ausgabe. München: DTV 2009. S. 67-133.
[2] Georg Büchner: Brief „An die Braut“ (9. – 12. März 1834). In: Werke und Briefe. a.a.O. S. 288.
[3] Vgl. Johannes Rohbeck: Geschichtsphilosophie zur Einführung. Hamburg: Junius 2004. S. 17f.
[4] Cornelie Ueding: „Dantons Tod – Drama der unmenschlichen Geschichte.“ In: Geschichte als Schauspiel. Hrsg. von Walter Hinck. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1981. S. 210-226. Hier S. 217.
[5] Johannes Rohbeck: Geschichtsphilosophie zur Einführung. S. 55f.
[6] Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: „Die Vernunft in der Geschichte (Auszug).“ In: Philosophische Arbeitsbücher. Bd. 4: Diskurs Geschichte. Hrsg. von Ruth Dölle/Willi Oelmüller. Paderborn: Schöningh 1980. S. 184-198. Hier S. 190. Der Auszug bietet sich für die Zwecke dieser Arbeit an, enthält er doch alle wesentlichen geschichtsphilosophischen Aspekte.
[7] Ebd. S. 196.
[8] Michael Glebke: Die Philosophie Georg Büchners. Marburg: Tectum 1995. S. 56f. Die Person des St. Just wird in dieser Arbeit aus Platzgründen nicht näher behandelt. Ohnehin scheint sie von ihrer inhaltlichen wie auch von ihrer philosophischen Bedeutung hinter Robespierre und Danton zurückzustehen.
[9] Georg Büchner: Brief „An Gutzkow“ (Anfang Juni 1836). In: Werke und Briefe. a.a.O. S. 319.
[10] Ders.: Brief „An die Familie“ (Februar 1834). In: Werke und Briefe. a.a.O. S. 285.
[11] Michael Glebke: Die Philosophie Georg Büchners. S. 58.
[12] Vgl. Ulrike Paul: Vom Geschichtsdrama zur politischen Diskussion. Über die Desintegration von Individuum und Geschichte bei Georg Büchner und Peter Weiss. München: Fink 1974. S. 49-52.
[13] Vgl. Michael Glebke: Die Philosophie Georg Büchners. S. 63f.
[14] Vgl. ebd. S. 64.
[15] Gonthier-Louis Fink: „Das Bild der Revolution in Büchners Dantons Tod.“ In: Zweites Internationales Georg-Büchner-Symposium 1987. Referate. Hrsg. von Burkhard Dedner/Günter Oesterle. Frankfurt am Main: Hain 1990. S. 175-202. Hier S. 198.
[16] Vgl. ebd. S. 182.
[17] Vgl. Samuel Moser: „Robespierre, die Ausgeburt eines Kantianers. Immanuel Kants Philosophie als Schlüssel zum Verständnis der Robespierre-Figur in Georg Büchners Drama Dantons Tod.“ In: Text und Kritik. Sonderband Georg Büchner III. Hrsg. von Heinz Ludwig Arnold. München: Text und Kritik 1981. S. 131-149. Hier S. 134.
[18] Vgl. ebd. S. 134-136.
[18] Vgl. ebd. S. 136-140.
[19] Vgl. Ulrike Paul: Vom Geschichtsdrama zur politischen Diskussion. S. 50. Auch Paul stellt – gewissermaßen die Gedanken Mosers paraphrasierend – einen Zusammenhang zwischen Kants Philosophie und dem politischen Programm Robespierres in Dantons Tod her.
[20] Samuel Moser: „Robespierre, die Ausgeburt eines Kantianers.“ S. 140.
[21] Werner Frizen: Georg Büchner. Dantons Tod. Interpretation. München: Oldenbourg 1990. S. 69.
[23] Ebd. S. 60.
[22] Vgl. dazu auch Helmut Fuhrmann: „Die Dialektik der Revolution – Georg Büchners Dantons Tod.“ In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft. Nr. 35 (1991). S. 212-233. Hier S. 219.
[23] Hans Mayer: Georg Büchner und seine Zeit. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1974. S. 216. Auch Fink konstatiert, dass Robespierre das Elend des Volkes übersehe und gar nicht merke, dass die Tugend für das Volk zum unerschwinglichen Luxus geworden sei (vgl. Gonthier-Louis Fink: „Das Bild der Revolution in Georg Büchners Dantons Tod.“ S. 182).
[24] Vgl. zur Beobachtung, dass Robespierre durch seinen radikalisierten und pervertierten Moralbegriff den Kontakt zu Volk und Realität verloren hat, auch die Schlussfolgerung Mosers, dass es sich bei der Tugend Robespierres schließlich nur noch um „zerstörerische Aggression“ (Samuel Moser: „Robespierre, die Ausgeburt eines Kantianers.“ S. 141) handele, sowie sein Fazit, Robespierre sei vom Volk und seinen Problemen als Folge daraus „so absolut getrennt, wie seine Augen von seinen Händen“ (ebd. S. 147).
[25] Ebd. S. 143. Fuhrmann spricht in diesem Zusammenhang von „blitzende[n] Heerscharen von militärisch-strategischen Metaphern“ (Helmut Fuhrmann: „Die Dialektik der Revolution – Georg Büchners Dantons Tod.“ S. 220) in den Reden Robespierres.
[26] Vgl. Michael Glebke: Die Philosophie Georg Büchners. S. 67.
[27] Werner Frizen: Georg Büchner. S. 61. Genauer zu den Konsequenzen, die Danton zieht, siehe Kapitel 2.
[29] Helmut Fuhrmann: „Die Dialektik der Revolution – Georg Büchners Dantons Tod.“ S. 220.
[30] Ebd. S. 222.
[31] Vgl. Michael Glebke: Die Philosophie Georg Büchners. S. 67f.
[32] Ebd. S. 69.
[33] Ebd. S. 68.
[34] Helmut Koopmann: „Dantons Tod und die antike Welt. Zur Geschichtsphilosophie Georg Büchners.“ In: Geschichtsdrama. Hrsg. von Elfriede Niebuhr. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1980. S. 233-255. Hier S. 239.
[35] Ebd. S. 240. Koopmann untersucht unter diesem Gesichtspunkt die Verweise auf antike Mythologie in Dantons Tod und kommt zu dem Schluss, dass sie gleichsam für die iterative Kraft im Makro-Rahmen ständen. So wiederhole auch die Französische Revolution Ereignisse aus der antiken Welt, Danton sei ein neuer Sokrates, Robespierre der moderne Brutus (vgl. ebd. S. 245-251).
[36] Cornelie Ueding: „Dantons Tod – Drama der unmenschlichen Geschichte.“ S. 219. Koopmann spricht in diesem Zusammenhang von „Geschichte als Schicksal, Schicksal als Geschichte“ (Helmut Koopmann: „Dantons Tod und die antike Welt.“ S. 241) und trifft den Fatalismus so auch begrifflich exakt.
[38] Wichtig ist indes anzumerken, dass Büchner den historischen Danton auf diese Weise eindeutig uminterpretiert. Dieser ist nicht an der Einsicht in die Sinnlosigkeit revolutionären Handelns gescheitert, sondern vielmehr an seinem konkreten politisch-taktischen Programm (vgl. bspw. Hans Mayer: Georg Büchner und seine Zeit. S. 211 sowie Ulrike Paul: Vom Geschichtsdrama zur politischen Diskussion. S. 48).
[37] Vgl. zu der epikureischen Philosophie besonders Franz Schupp: Geschichte der Philosophie im Überblick. Bd. 1: Antike. Hamburg: Meiner 2003. S. 359-366. Hier finden sich kompakt alle wichtigen Grundgedanken.
[38] Ebd. S. 367.
[39] Werner Frizen: Georg Büchner. S. 65f.
[40] Henri Poschmann: Georg Büchner. Dichtung der Revolution und Revolution der Dichtung. Berlin/Weimar: Aufbau-Verlag 1988. S. 103.
[41] Franz Schupp: Geschichte der Philosophie im Überblick. S. 362. Als wesentlichen Grund dafür, dass man dem Epikureismus eine hedonistische Einstellung vorwirft, sieht Schupp dessen Gottlosigkeit (ebd.).
[44] Ulrike Paul: Vom Geschichtsdrama zur politischen Diskussion. S. 57. Paul spricht weiter von einem „extreme[n] Individualismus“ und dem „Bankrott der Politik“ (ebd. S. 58).
[45] Ebd S. 57.
[42] Gonthier-Louis Fink: „Das Bild der Revolution in Georg Büchners Dantons Tod.“ S. 187. Die Charakterisierung dieser „Genussreligion“ als „Dandyismus“, wie sie Frizen wählt (Werner Frizen: Georg Büchner. S. 63), scheint demgegenüber – mit Blick auf den Epikureismus – zu weit zu gehen.
[43] Vgl. Hans-Georg Werner: „Büchners aufrührerischer Materialismus. Zur geistigen Struktur von Dantons Tod.“ In: Weimarer Beiträge. Nr. 11. Jg. 35 (1989). S. 1765-1779. Hier S. 1777f.
[48] Ebd. S. 1769.
[44] Ebd.
[45] Werner Frizen: Georg Büchner. S. 63. S.o. Kapitel 3.1. die Ausführungen zu den im Anschluss an diese Szene geäußerten Selbstzweifeln Robespierres.
[46] Cornelie Ueding: „Dantons Tod – Drama der unmenschlichen Geschichte.“ S. 210f. Die Alternative von Robespierre und Danton bringt Ueding auf die Formel „Terror oder Spieltisch“, wobei sich ihrer Analyse folgend anscheinend – das zeigt auch diese Arbeit – beides als falsche Alternative entpuppe (ebd. S. 219).
[52] Helmut Koopmann: „Dantons Tod und die antike Welt.“ S. 242.
[53] Cornelie Ueding: „Dantons Tod – Drama der unmenschlichen Geschichte.“ S. 216. Worin diese Sehnsucht besteht, bleibt hier unklar.
[54] Helmut Koopmann: „Dantons Tod und die antike Welt.“ S. 241.
[55] Werner Frizen: Georg Büchner. S. 88-90. Die epikureische Philosophie ist schließlich, wie gezeigt, kein politisches Programm, sondern ein Programm der Entpolitisierung.
[56] Helmut Koopmann: „Dantons Tod und die antike Welt.“ S. 242.
[47] Ebd. S. 243.
[48] Georg Büchner: Brief „An die Braut“ (9.-12. März 1834). In: Werke und Briefe. S. 288.
[49] Hans Mayer: Georg Büchner und seine Zeit. S. 215.
[50] Ebd. S. 221.
[51] Jürgen Bolten: „Geschichtsphilosophische Einsicht, Langeweile und Spiel. Zu Büchners Leonce und Lena.“ In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen. Nr. 222 (1985). S. 293-305. Hier S. 298. Er bezieht sich dabei ausdrücklich auf die Einsicht, die Büchner durch das Studium der Französischen Revolution gewonnen hatte und in Dantons Tod und auch im „Fatalismusbrief“ verarbeitete.
[52] Ebd. S. 297.
[53] Daniel Müller-Nielaba: Die Nerven lesen. Zur Leit-Funktion von Georg Büchners Schreiben. Würzburg: Königshausen&Neumann 2001. S. 84f.
[54] Vgl. Michael Glebke: Die Philosophie Georg Büchners. S. 62f.
[55] Vgl. Jan-Christoph Hauschild: Georg Büchner. Biografie. Stuttgart/Weimar: Metzler 1993. S. 272-274.
[66] Diese findet sich etwa bei Fink, der erklärt, dass Büchner nicht zur Erkenntnis der fatalistischen Sinnlosigkeit der Geschichte kam (Gonthier-Louis Fink: „Das Bild der Revolution in Georg Büchners Dantons Tod.“ S. 177), und bei Werner, der behauptet, dass das Geschichtsbild Büchners nicht fatalistisch sei, sondern gerade das Gegenteil davon (Hans-Georg Werner: „Büchners aufrührerischer Materialismus.“ S. 1770f.).
[56] Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Neudatierung des Fatalismusbriefes durch Hauschild, der – unter anderem gestützt auf Wetterdaten (im Fatalismusbrief ist die Rede von „Frühling“ und „Veilchen“) und andere theoretische Überlegungen – dazu kommt, dass der Brief zwischen dem 10. und dem 20. Januar 1834 entstanden sein muss. Die Konsequenz lautet: Das revolutionäre Handeln werde durch den größeren zeitlichen Abstand (die übliche Datierung des Briefes ist der 9. bis 12. März 1834, so auch in der hier verwendeten Ausgabe) umso mehr zu einer Frucht der Erkenntnis (Vgl. JanChristoph Hauschild. „Neudatierung und Neubewertung von Georg Büchners ‚Fatalismusbrief‘.“ In: Zeitschrift für deutsche Philologie. Nr. 108 (1989). S. 511-529).
Bild © Christoph Witt