Rezensionen

Im letzten Heft erschien eine Rezension von James Shapiros Monografie Contested Will. Who wrote Shakespeare? über den Autorschaftsstreit um William Shakespeare. Bald nach Veröffentlichung der Rezension erschienen auf unserer Webseite Kommentare des Oxfordianers Robert Detobel. Kurz darauf hatte Detobel die Rezensentin privat kontaktiert, um ihr seine Sicht auf Shapiros Buch zu erläutern. Detobel erzählte auch von seinem kürzlich erschienenen Buch Will – Wunsch und Wirklichkeit, in dem er Shapiro Fehler und Ungenauigkeiten nachweise. Daraufhin beschloss die Redaktion, diesem so angepriesenen Buch eine Anschlussrezension zu widmen. Nicht zuletzt deshalb, weil Detobels Position den Verlauf der Debatte um die Autorschaft, wie er in der ersten Rezension geschildert wurde, so treffend veranschaulicht. Zur besseren Orientierung ist die Rezension von Shapiros Contested Will hier noch einmal abgedruckt.

Kürzlich hat sich auch der bekannte Hollywoodregisseur Roland Emmerich in die Diskussion eingemischt. In seinem neuesten Film Anonymus wird der Earl of Oxford nicht nur als der Verfasser der Shakespeare-Texte, sondern auch als Sohn und Liebhaber von Königin Elisabeth I. präsentiert. Diese Version der Geschichte ist auch den meisten Oxfordianern höchst suspekt.

Shakespeare enttarnt?

„My brother told me that Shakespeare really didn’t write Romeo and Juliet. Is that true?“ wird der bekannte Shakespeare-Forscher und -Biograph James Shapiro von einem neunjährigen Jungen gefragt. Er ist solche Fragen bereits gewöhnt – dass die Zweifel an Shakespeares Autorschaft schon bei Grundschulkindern zu finden sind, erschreckt ihn dennoch. Das wird ihm zum Anlass, sich einmal ausführlich mit der Kontroverse um die Urheberschaft der Shakespeare-Werke zu beschäftigen.

Wer von Shapiro eine endgültige Antwort oder einen hieb- und stichfesten Beweis für einen der Kandidaten erwartet, wird in Contested Will nicht fündig werden. Vielmehr kann man sich auf eine spannende und aufschlussreiche Reise in die Wissenschaftsgeschichte und die Geschichte der Shakespeare-Forschung freuen. Anhand der Theorien um William Shakespeare of Stratford, Francis Bacon und dem Earl of Oxford zeigt Shapiro, wie im Laufe der Jahrhunderte mit der mangelhaften Quellenlage zur Person Shakespeare umgegangen wurde und wie sich daraus wilde Verschwörungstheorien entwickelten.

Als entscheidenden Prozess zu Beginn dieser Entwicklung macht er die Verehrung und Überhöhung des Autors Shakespeare als ‚Barden‘ aus: In dem Moment, in dem die Stücke als göttlich aufgefasst wurden, kam ein einfacher Bürger wie William Shakespeare of Stratford, als Urheber für viele nicht mehr in Frage und es begann eine Suche nach dem ‚wahren‘ Autor, die sich für gewöhnlich auf Vermutungen und Indizien stützte.

Sehr interesant ist es dabei, zu beobachten, wie Forscher immer wieder von ihrer eigenen Geschichte, ihren Ansichten und Ressintiments geleitet wurden (und sicher auch heute noch werden) und dabei unter Umständen auch zu Mitteln wie Beweisfälschung und -unterschlagung griffen. Zusätzlich griffen immer wieder Amateure in die Diskussion ein und vergrößerten so deren Unübersichtlichkeit. Auch in anderer Hinsicht kann das Buch als Hilfsmittel zum kritschen Umgang mit Wissenschaft dienen, wenn am Beispiel Shakespeare klar wird, wie methodologische und theoretische Trends sich direkt in der jeweils gewonnenen Erkenntnis niederschlagen. Selbst wenn man also an der Autorschaftskontroverse selbst nicht besonders interessiert ist, kann man hier lernen, eigene Erkenntnisbildungsprozesse kritisch zu hinterfragen.

Das abschließende Wort zur Debatte kann und will Shapiro, wie schon erwähnt, hier nicht sprechen. Er selbst ist, das macht er klar, Anhänger des William Shakespeare of Stratford und versucht diese Position auch zu belegen, räumt aber ein, dass er keine besseren Beweise hat, als die Forscher vor ihm. Wirft man einen Blick auf die Kommentare bei amazon.com, wird auch schnell klar, dass eingefleischte Anhänger anderer Kandidaten sich davon nicht überzeugen lassen und oft Shapiro selbst eine tendenziöse Beschönigung seiner Position vorwerfen.

Bisher liegt Contested Will noch nicht in deutscher Übersetzung vor, ist jedoch problemlos im Original erhältlich. (Nele Solf)

1who wrote shakespeareJames Shapiro: Contested Will. Who Wrote Shakespeare? Simon&Schuster 2010. 340 S. Ca. 19€

Shapiro enttarnt?

Die klassische, universitäre Forschung, hier konkret von James Shapiro vertreten, sieht William Shakespeare aus Stratford-upon-Avon als den Verfasser der Shakespeare-Texte an – sie werden in der Debatte Stratfordianer genannt. Anti-Stratfordianer vereint der Zweifel an dieser Zuschreibung. Einige von ihnen sprechen sich explizit für andere mögliche Verfasser, wie Francis Bacon oder Edward de Vere, den 17. Earl of Oxford, aus. Robert Detobel ist Oxfordianer, betrachtet also Edward de Vere als Verfasser der Texte.

Will – Wunsch und Wirklichkeit teilt sich in drei Hauptsektionen auf: Die erste und längste gilt beinahe vollständig der direkten Auseinandersetzung mit Shapiro, die zweite beschäftigt sich mit der kritischen Betrachtung einiger Quellen, die Shapiro nennt, und in der letzten Sektion finden sich drei Rezensionen, die amerikanische anti-Stratfordianer zu Contested Will verfasst haben. Im ersten Abschnitt widmet sich Detobel vor allem dem Nachweis von Fehlern bei Shapiro. Die Monografie wird ausführlich unter die Lupe genommen, Fehler werden entdeckt, Ungenauigkeiten entlarvt, Häme wird dem Autor zuteil: Shapiro habe die Anzahl der Stücke falsch beziffert, er verwechsle Namen und Daten, er verstehe das Ständesystem der Zeit nicht. Wenn Shapiro keine Beweise für seine Thesen habe, dann stoße er „Schwafeldioxid-Emissionen“ aus. Darüber hinaus, so Detobel, verfälsche und unterschlage Shapiro entscheidende Quellen.

Dazwischen finden sich aber immer wieder auch Kapitel zum ungeschriebenen Verhaltenskodex für den elisabethanischen Adel. Er imaginiert Oxford im Spannungsfeld zwischen Hof und Bühne und meint, das Leiden des geächteten Hofmannes in verschiedene Shakespeare-Texten eingeschrieben zu finden. Mithilfe von wenig ausführlichen und oft suggestiven Analysen der Sonette versucht Detobel seinen Kandidaten Oxford zu plausibilisieren. So zerfällt die Publikation in ihre Teile und einige Kapitel erscheinen vollkommen zusammenhangslos.

In einem Kapitel rügt Detobel noch zu Recht Shapiros Methode, anti-Stratfordianer psychopathologisch zu diskreditieren. Im nächsten Kapitel schreibt er allerdings eine kleine Szene, in der zwei ehemalige Richter des Obersten Gerichtshofes der USA (die öffentlich ihre Zweifel an der klassischen Autorschaftsthese bekundet hatten) mit Shapiro diskutieren, ihn argumentativ in die Ecke drängen, woraufhin er (Detobels Phantasie-Shapiro) mit einer schwachen Ausrede verschwindet und das Feld den Zweiflern überlässt. Dies ist nicht die einzige Stelle, an der Detobel die postulierte wissenschaftliche Präzision abhanden kommt: Oft gerät er ins Phantasieren, Spekulieren und Mutmaßen, was besonders unangenehm auffällt, wenn er Shapiro genau diese Verfahrensweisen mehrfach ankreidet.

Ohne die entsprechende Expertise ist es tatsächlich sehr schwierig, zwischen Shapiros und Detobels Argumenten den Überblick zu behalten, doch eine qualitative Entscheidung kann und soll diese Rezension auch nicht leisten. Festzuhalten ist, dass das Buch für die meisten Studierenden keine besonders nützliche Lektüre ist, denn wem die Debatte nicht vertraut ist, der kann kaum Gewinn aus dieser speziellen Publikation ziehen.

1will wunsch wirklichkeitRobert Detobel: Will – Wunsch und Wirklichkeit. Uwe Laugwitz 2010. 334 S. Ca. 14€

Literaturgeschichte als Geschichte

Peter J. Brenner legt die dritte Auflage der Neuen deutschen Literaturgeschichte. Von Ackermann bis Günther Grass vor. Die zweite Auflage war erst 2004 bei Niemeyer erschienen; andere Verlage sind nicht minder emsig damit beschäftigt, ähnliche Titel immer wieder aufzulegen. Man kann daher fragen, inwiefern sich die aktuelle Ausgabe von Peter J. Brenner von den zahlreichen Alternativen und auch von ihrer Vorgängerin unterscheidet.

Strukturell folgt die dritte Ausgabe dem Muster der beiden vorangegangenen. Ohne Illustrationen, Merkkästen oder Glossen konzentriert sich Brenner darauf, Literaturgeschichte zu erzählen. Statt handlicher Informationshäppchen entspinnt er die deutsche Literaturgeschichte im Stil einer verwobenen Narration, was sicher deren komplexen Zusammenhängen entspricht, dem Lern- und Leseverhalten prüfungsgeplagter Studierender allerdings weniger entgegenkommt. Die oft elaborierten Satzkonstruktionen hätten passagenweise ein liebevolleres Lektorat verdient.

Für alle, die den Luxus der Muße haben, bietet das Buch allerdings umfassende historische Hintergrundinformationen, die die Entwicklung der deutschen Literatur ab 1400 in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext stellen und nicht nur Phänomene innerhalb der Literatur ins Verhältnis zueinander setzen. Zahlreich sind in diesem Zusammenhang auch die Verweise auf einflussreiche Publikationen, die sich an der Grenze oder jenseits des Feldes der Literatur bewegen. Die heikle Frage, was der Gegenstand einer Literaturgeschichte sei, wird so zumindest implizit erkennbar. Brenner orientiert sich strukturell an der klassischen Epochengliederungen, beginnend mit der Frühen Neuzeit über Barock, Aufklärung, Romantik und Moderne bis hin zur noch in Entwicklung befindlichen Berliner Republik. Thematisiert werden in erster Linie kanonische Autoren, gelegentlich werden vermeintliche Außenseiter hervorgehoben. Die detaillierte und differenzierte Darstellung lässt auch die Grenzen der Epochenkategorisierung erkennen, ohne diese jedoch explizit anzusprechen oder zu hinterfragen.

Leider wird auch das Modell Literaturgeschichte selbst nicht problematisiert. Gerade in einem Studienbuch wären einführende Bemerkungen zum Wesen der Literaturgeschichtsschreibung, wie sie sich z.B. in einer Literaturgeschichte aus dem Narr-Verlag von 2008 einleitend finden lassen, sicher hilfreich gewesen. Die Bibliografie ist dagegen erfreulich umfangreich und detailliert und bietet im Vergleich mit anderen Literaturgeschichten eine bemerkenswerte Anzahl aktueller Forschungstitel. (Luzia Goldmann)

1dt literatureschichtePeter J. Brenner: Neue deutsche Literaturgeschichte. Von Ackermann bis Günther Grass. de Gruyter 2011. 439 S. Ca. 20 €. Auch als E-Book erhältlich.

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