Liebe Lesende,
draußen beginnt der Sommer, in den Hörsälen neigt sich das Semester dem Ende. Wir wissen nicht so genau, ob wir am Anfang, mittendrin oder sogar schon am Ende unserer Mission stehen: Diese Ausgabe der Anwesenheitsnotiz, die ihr gerade in euren Händen haltet, könnte die LETZTE sein! Unsere Anschubfinanzierung endet mit diesem Heft; ab jetzt braucht das Projekt die Unterstützung aller, die sich in den letzten Jahren dafür begeistern konnten. Wer von euch sich angesprochen fühlt und zum Überleben der Anwesenheitsnotiz beitragen will, kann das direkt durch eine Spende oder ein Spendenabo tun.
Hoffnungsvoll stimmt uns der erneute Zuwachs in unseren Reihen: Joshua Klein, Mareike Zopfs und Lukas Goldmann unterstützen uns tatkräftig und setzen sich mit Beginn dieser Ausgabe gemeinsam mit den schon länger Anwesenden für ein Fortbestehen der Anwesenheitsnotiz ein.
Es ist uns tatsächlich gelungen, mit diesem Heft ein geschlechtliches Konterstück zu unserer letzten Ausgabe zu schaffen. Unsere Leserinnen haben sich anscheinend angesprochen gefühlt, und so ist das Heft überwiegend gefüllt mit Texten von Auto-rInnen. Das soll nun allerdings nicht heißen, dass die männlichen Studierenden sich zukünftig ausruhen dürfen, nein, auch sie sind hiermit angesprochen und aufgefor-dert, uns wieder ihre Texte zuzusenden. Alle Informationen findet ihr wie immer auf der Rückseite des Heftes im „Call for Notes“.
Die gewohnt facettenreichen kunst-, kultur- und geisteswissenschaftlichen Noti-zen dieses Heftes setzen sich diesmal vor allem aus Themen rund um Tanz, Theater und Literatur zusammen. Illustriert wurden die Arbeiten von Lisa Büttner, Johanna Egger und Charlotte Neugebauer. In der Rubrik „Position und Perspektive“ geht es in diesem Heft ums Komponieren im Hinblick auf die Wissenschaft.
Liebe Freunde der Anwesenheitsnotiz, noch wollen wir nicht Adieu sagen. Darum unterstützt unser Fortleben! Wir verbleiben optimistisch bis zur nächsten Ausgabe und wünschen euch viel Freude beim Stöbern durch das Heft sowie einen wunderbaren Sommer.
Eure Redaktion
An diesem Heft waren beteiligt:
Herausgeber: Luzia Goldmann; Svea Jantzen; Martin Lhotzky; Nele Solf
Redaktion: Katharina Duda – Lektorat; Lukas Goldmann – Lektorat; Luzia Goldmann – Lektorat, Organisation; Svea Jantzen – Lektorat, Organisation; Carolin Kerberg – Lektorat; Hannah Klaubert – Lektorat; Joshua Klein – Lektorat; Martin Lhotzky – Öffentlichkeitsarbeit; Nele Solf – Lektorat, Layout; Mareike Zopfs – Lektorat
Freie Mitarbeiter: Lisa Büttner – Illustrationen; Johanna Egger – Illustrationen; Charlotte Neugebauer – Illustrationen; Micha Huff – Lektorat; Matthias Wannhoff – Lektorat
Qualitätsbeirat: Christina Deloglu; Annette Gilbert; Bernhard Metz; Susanne Strätling; Viktoria Tkaczyk; Jan Völker
Sponsoren: Ernst-Reuter-Gesellschaft der Freien Universität Berlin
Druck: Pressel Digitaldruck, Remshalden
Inhaltliches Vorwort
Die fünfte und hoffentlich nicht letzte Ausgabe der „Anwesenheitsnotiz“ wartet mit sieben sehr unterschiedlichen Texten aus dem geisteswissenschaftlichen Spektrum auf.
Marion Ackers Arbeit POETISCH UND(/ODER) PRAGMATISCH? – Die Li-teraturhaftigkeit von Lawrence Weiners Wortskulpturen eröffnet diese Ausgabe und betrachtet Lawrence Weiners Wortskulpturen als einen paradigmatischen Fall der Lingualisierung von bildender Kunst. Weiner, der sich dezidiert als Bildhauer versteht, verwendet in seinen Arbeiten Sprache als Material für seine Wortskulpturen. Die Arbeit fragt, welche spezifischen Möglichkeiten von Sprache es sind, die Weiner gerade diese als bevorzugtes Material erscheinen lassen, und untersucht mit literaturwissenschaftlichen Mitteln, wie durch poetischen Spracheinsatz die skulpturalen Absichten des Bildhauers umgesetzt werden.
Ein Theaterstück im Dunkeln anzuschauen klingt zunächst wie ein scheinbar un-mögliches Paradoxon. Die Autorin des Textes Blindheit im zeitgenössischen Theater hat eben diese Erfahrung erlebt und schildert sowohl im Rahmen einer Aufführungsanalyse als auch mit Bezug zur Theaterwissenschaft, inwieweit theatrale Situationen sich im zeitgenössischen Theater gewandelt haben. Dabei thematisiert Tina Plokarz die Reduzierung von Licht und skizziert die Wirkung auf die Zuschauer und ihre Reaktionen auf Seherlebnisse der anderen Art.
Julia Blöser untersucht in ihrer Arbeit Das kunstseidene Mädchen – eine künstliche Kühle? den Roman von Irmgard Keun vor dem Hintergrund sogenannter Verhal-tenslehren der Kälte, einem Zeitphänomen der Weimarer Republik. Konzepte wie die kalte persona und die Neue Frau dienen hierbei als Orientierungspunkte, an die sich die detaillierte Analyse der Geschichte des Kleinstadtmädchens, das im großen Berlin sein Glück sucht, anschließt. Sowohl die Theorien des Kulturwissenschaftlers Helmuth Lethen als auch eines Zeitgenossen Keuns, Helmuth Plessner, finden Eingang in die Untersuchung.
Am Anfang von Marten Flegels Essay Über das Wissen steht Petra Sabischs Cho-reographie Conversation Piece. Diese nimmt sich der Autor als Ausgangspunkt für eine freie Reflexion über Wissen. Wie entsteht Wissen im Individuum, welche Rolle spielt das gesellschaftliche Kollektiv bei der Generierung und beim Sammeln von Wissen und wie wird Wissen verbreitet? Zwischen diesen Fragen mäandert Flegels Aufsatz, kehrt dabei immer wieder zur Choreographie zurück und nimmt den Leser schließlich mit an den Küchentisch des Autors.
Julien Then sieht sich Kafkas Strafkolonie an und untersucht, wie sich Identität und Ideologie, in der strafenden Maschine manifestieren. Dabei greift er zurück auf Konzepte der materialistischen und psychoanalytischen Theoriebildung, insbesondere von Althusser und Lacan, deren Begriffe der Ideologie und des Subjekts Then anhand des Strafvollzugs in Kafkas Kolonie miteinander verschränkt.
Zwischen Fotografie und Wirklichkeit besteht ohne Zweifel eine Beziehung, da die Frage entsteht, inwieweit Fotografie Wirklichkeit abbildet oder eine andere Wirk-lichkeit als die persönlich wahrgenommene einfängt. Anja Bippus , die Autorin des Textes ,Like finding a clue in a detective story‘ – Anmerkungen zum Fotografischen in Michelangelo Antonionis Blow-Up untersucht wie diese Beziehung in Antonionis Film verhandelt wird, indem sie die Hauptfigur, einen Fotografen, genauer betrachtet. Um das Wesen der Fotografie ebenso wie das Verhalten des Fotografen zu seinen Motiven zu erörtern, werden fotografietheoretische Ansätze von Walter Benjamin, Susan Sontag, Rudolf Arnheim, André Bazin, Pierre Bourdieu und Jean Baudrillard angeführt.
Annika Blohm untersucht in ihrer Arbeit Baldassare Castigliones sprezzatura im be-ginnenden 21. Jahrhundert die Rezeption und das Fortleben des sprezzatura-Konzeptes aus Baldassare Castigliones Il libro del cortegiano, das im Lauf der Zeit immer wieder, wenn auch in abgewandelter Form, in der europäischen Kunst und Gesellschaft hervortritt. Dabei legt sie ihren Fokus auf die Begriffe der sprezzatura und grazia als Gegenteil der affettazione und stellt sie am Beispiel des zeitgenössischen Battle-Rap den modernen Begriffen der coolness, des glamour und des fame gegenüber.
Der Beitrag in der Rubrik „Position & Perspektive“ kommt diesmal von dem Komponisten und Musikethnologen Dieter Mack.