Position & Perspektive war zum letzten Mal in Heft 4 vom Winter 2012 vorhanden; neben den vielseitigen wissenschaftlich geprägten Stimmen sollten in dieser Rubrik auch Kunstschaffende zu Wort kommen. Die Idee ist geblieben, doch dieses Mal haben wir uns mit Studierenden aus dem Filmbereich unterhalten, deren Selbstverständnis als Kunstschaffende in mehrerlei Hinsicht nicht eindeutig ist – das Thema der Rubrik selbst steht also zur Debatte. Die Rubrik wird jetzt im Gesprächs-Format präsentiert, um der Ungewissheit über das Thema gerechter zu werden.
Gespräch mit Anna-Sophie Philippi und Virginia Martin
Unsere Redakteurin Mareike Zopfs hat sich mit Anna-Sophie Philippi und Virginia Martin an der Filmuniversität Babelsberg getroffen, um über Produktion, Filmemachen und Film als Kunst zu sprechen.
MAREIKE: Was studiert ihr?
VIRGINIA: Wir studieren den Master Medienwissenschaft an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf.
MAREIKE: Und wieso studiert ihr das an dieser Uni?
VIRGINIA: Bevor ich hier angefangen habe, wollte ich unbedingt einen Master finden, der nicht nur wissenschaftlich ist. Obwohl natürlich Medienwissenschaft immer ein wissenschaftlicher Studiengang bleibt, schien ein solches Studium an einer künstlerisch-praktischen Universität vielleicht eine gute Möglichkeit zu sein, so etwas zu finden. Wir haben dann im Studienplan auch gesehen, dass es mit dem Festival Sehsüchte auch wirklich projektbasierte Elemente gibt. Zudem war es damals für mich auch wichtig, mich auf Film und Fernsehen zu spezialisieren, sowie während des Studiums ein Netzwerk mit Menschen aufzubauen, die auch in dieser Branche arbeiten wollen. Aber die Spezialisierung auf Film und Fernsehen war mir wirklich wichtig. Man kann auch sagen, dass wir hier eher Film- und Fernsehwissenschaft als Medienwissenschaft studieren.
ANNA: Ja, genau, aber das wusste man zu Beginn vielleicht gar nicht so. Für mich war es aber auch die Faszination. Man betrat die Uni und dachte sich, die machen hier wirklich alle Filme und sind alle „richtige Künstler“.
VIRGINIA: Vielleicht ging es mir darum, dass man hier so viel näher an dem Gegenstand dran ist, den man untersucht.
ANNA: Ja, genau!
MAREIKE: Trotz des eher wissenschaftlichen Studiengangs habt ihr im letzten Jahr den Film GABI produziert. GABI lief bei der Berlinale und hat sogar die Sektion Perspektive Deutsches Kino eröffnet. Zudem läuft er bei anderen Filmfestivals in Dresden, Regensburg und auch bei Sehsüchte. Wie kamt ihr dazu, dass zu machen?
VIRGINIA: Wir hatten nach der Berlinale vor einem Jahr in einer Feedbackrunde im Seminar diskutiert, warum es so schwer ist, mit den anderen Studierenden aus den praktischen Gewerken in Kontakt zu treten.
ANNA: Was eigentlich genau das gewesen wäre, was wir uns vom Studium erhofft hatten. Man weiß aber oft einfach nicht, was gerade so in den anderen Studiengängen passiert und welche Filme bald produziert werden. Ich hätte auch nicht gewusst, wie ich dann auf die Leute hätte zugehen sollen. Ich hätte niemals zu einem Team gehen können und sagen: „ich mache jetzt übrigens Produktion.“ Noch nicht mal Produktionsassistenz hätte ich mir zugetraut. Ich hatte ja kein Wissen, mit dem ich jemanden hätte überzeugen können.
VIRGINIA: Und dann eines Abends, als wir bei einem Glas Rotwein zusammensaßen – das war wirklich so – haben wir dann beide eine Mail von Michael Fetter Nathansky bekommen. Das Handy lag schön auf dem Tisch. Und dann meinten wir beide: Das ist unser Projekt!
ANNA: Da war noch kein Drehbuch dabei. Michi hatte ein Exposé geschickt und Produzent*innen für dein Projekt gesucht.
VIRGINIA: Er hatte nur den Medienwissenschaftsstudiengang angeschrieben. Das war letztes Jahr noch nicht so üblich. Er hatte uns sogar so angeschrieben: „Liebe Medienwissenschaftler…“. Nachdem wir uns zurückgemeldet hatten, hat er uns das Drehbuch geschickt. Anna und ich haben es gelesen und waren ziemlich begeistert. Dann haben wir drei uns ein paar Tage danach zusammengesetzt und vier Stunden am Stück nur über den Film geredet. Wir haben auch nicht gesagt, so jetzt sind wir dabei, sondern das war einfach so. Wir haben nach den ersten vier Stunden direkt gemerkt, dass wir auf einer Linie sind.
ANNA: Es war so schön, wir haben über die Figuren im Drehbuch als Menschen gesprochen. Das war sehr gut, weil wir in dem Moment gemerkt haben, dass wir das, was wir in der Uni gemacht hatten, auch anwenden können. Wir können auch kluge Sachen zu seinem Stoff sagen. Michi hatte aber keine Ahnung, was wir produktionsmäßig drauf haben und wir auch nicht. Wir wussten auch gar nicht, was auf uns zukommt. Ich bin nach wie vor beeindruckt, wie mutig das von ihm war.
VIRGINIA: Diese Herangehensweise, erstmal über den Stoff zu reden wird für mich so bleiben. Ich muss erstmal überzeugt werden und für den Stoff brennen, bevor ich produzieren kann. Es ist in diesem Fall wirklich schön nicht nur die businessorientierte Sicht einer Produzentin zu haben. Wir hatten im Semester davor ein Dramaturgieseminar und konnten daher mit dem Regisseur besser auf einer Ebene reden. Unser Wissen war anwendbar. Da haben wir manchmal sicher einen Vorteil dem Produktionsstudiengang gegenüber. Wichtig war aber vor allem: Wir hatten beide das Vertrauen, dass wir es zusammen machen könnten. Alleine nicht, aber zusammen.
ANNA: Man muss hier aber dazu sagen, dass wir uns schon vorher kannten und jetzt schon lange gut befreundet sind. Wir wussten, dass wir im Team gut zusammenarbeiten und über uns hinauswachsen können.
MAREIKE: Aber was versteht ihr jetzt unter „Produzieren“? Im Film und im Allgemeinen?
ANNA: Filmproduktion ist ein schwieriges Wort. Um zu erklären, was das bedeutet, hilft einem das Wort Produktion eigentlich nicht so richtig weiter. Ich spreche eigentlich lieber davon, einen Film zu ermöglichen. Natürlich habe ich das Drehbuch nicht geschrieben und nicht Regie geführt, aber wir machen alles möglich, dass der Film so wird, wie er sein soll. Davon geht man aus und schafft Rahmenbedingungen.
VIRGINIA: Dabei muss man natürlich gleiche Vorstellungen haben, wie der Film sein soll. Michi hat uns immer miteinbezogen, wir sind das zusammen angegangen und haben eine Vision geteilt. Aber wir haben zusammen Locations gesucht und so weiter. Wenn ich Produktion erklärt habe, habe ich das immer eher mit Management gleichgesetzt. Aber wir können das auch noch gar nicht so abschätzen. Im Unikontext übernimmt man ganz viele Positionen im Filmteam. Das ist schön, aber ich muss nicht alle Aufgaben wieder übernehmen beim nächsten Mal.
MAREIKE: Könnt ihr euch auch vorstellen nach dem Abschluss nochmal als Produzentin zu arbeiten?
ANNA: Wir reden mit Michi bereits konkret über sein nächstes Projekt, das ist jetzt so eine Teamsache geworden. Aber wir bekommen inzwischen schon viele Anfragen von anderen Student*innen. Da lernt man dann auch Nein zu sagen und wählerisch zu werden. Ich bin mir sicher, dass ich immer irgendwie produzieren werde, aber das wird auch ganz sicher nicht das Einzige sein. Es ist einfach so interessant, man lernt so viel über den Herstellungsprozess von Film und die industrielle Seite. Auf einmal kann man Film wieder ganz anders beurteilen. Ich schaue Filme inzwischen auch immer und denke mir: Krass! Wie haben die das gemacht? Wie haben die den Drehort bekommen?
MAREIKE: Wenn ihr als Produzentinnen arbeitet, seht ihr euch dann als Künstlerinnen an? Und seht ihr Michi als Künstler an?
ANNA: Ich sehe Michi als Künstler an. Das habe ich vor allem beim Dreh gemerkt. Er hatte so viele gute Einfälle und ist so sicher aufgetreten. Wenn man ihn einmal in Action gesehen hat, da hat man es gemerkt.
VIRGINIA: Er kann einfach ein Drehbuch in Minuten umschreiben. Er schreibt einfach so unglaublich gerne. Er schreibt ein Drehbuch und sagt, das ist „schemenhaft“ und dann können wir schauen, was sich ergibt. Das ist natürlich auch für die Produktionsseite einfach ein Traum. Man probiert dann zusammen das Beste zu finden. Es ist beeindruckend, wie er auch an diese Seite denkt.
MAREIKE: Das heißt der Film konnte sich freier entwickeln, als das eine Vision direkt so umgesetzt werden musste, wie eine Person sich das vorgestellt hatte.
VIRGINIA: Michi hat immer unsere Meinung miteinfließen lassen. Aber ob ich eine Künstler*in bin? Ich glaube nicht, dass ich mich so bezeichnen würde. Man ist am künstlerischen Prozess beteiligt und wirkt mit. Das ist aber auch nur ein Teil der Produktion. Der Rest ist Organisation. Und ob das Kunst ist…
ANNA: Also ich würde nicht sagen: „Ich bin Künstlerin!“ Ich tue mich sogar schwer mit dem Begriff Filmemacherin. Dabei ist ja sogar das Machen am ehesten Produktion.
VIRGINIA: Doch das würde ich schon.
ANNA: Vielleicht wenn ich noch 10 weitere Filme gemacht habe.
VIRGINIA: Der Künstlerbegriff ist schwierig für Film. Wer ist noch/schon Künstler*in? Sind die Techniker*innen Künstler*innen? Das Produkt ist etwas Künstlerisches und im Endeffekt ist es das ganze Team das Kunst, Handwerk, Technik und Management vereint.
MAREIKE: In unseren Kreisen ist es meist der Regisseur und Autor, der als Künstler gehandelt wird.
ANNA: Die Schauspieler*innen werden auch als Künstler*innen verstanden.
MAREIKE: Schauspieler*in, Regisseur*in, manchmal noch der/die Kameramann/frau.
VIRGINIA: Kamera aber nur, wenn es was Besonderes ist.
MAREIKE: Das würde dann wieder auf das Sichtbare verweisen, vielleicht orientiert man sich da noch an der bildenden Kunst oder Malerei. Nur was sichtbar ist, kann Kunst sein.
VIRGINIA: Ich frage mich wirklich auch immer, wie es dazu kommt. Denn ich denke mir wirklich oft, dass ohne diese eine Person aus dem Team, z.b. dem Licht, der ganze Film nicht zustande gekommen wäre. Zu den Schauspieler*innen: Klar sind sie super wichtig, sie geben dem Ganzen ein Gesicht, aber wenn man mal bei einer ganzen Produktion dabei ist, sieht man wie kurz die Schauspieler*innen eigentlich am Prozess beteiligt sind.
ANNA: Gerade die Kamera und Montage fällt so oft hintenrunter.
VIRGINIA: Genau. Die beschäftigen sich so lange mit einem Projekt, meist über ein halbes Jahr. Aber es macht auch Sinn mit den Schauspieler*innen, da das ja auch oft an „Startum“ gekoppelt ist, aber meiner Meinung wird ihre Position oft etwas überbewertet. Aber die meisten Zuschauer*innen wissen das meist einfach nicht. Dann ist die Stellung vielleicht auch legitim.
ANNA: Auch der Ton. Ich habe echt kein Ohr, aber wie die Geschichte und alles echt nochmal verändert werden kann durch sowas. Was da noch passiert, das ist so was, da hatte ich als Laie echt keine Ahnung und war sehr beeindruckt, als ich bei GABI in der Mischung dabei war. Wie man wirklich Geschichten allein mit dem Ton erzählt.
MAREIKE: Ja genau, deswegen finde ich den Begriff des Autorenfilms auch so schwierig. Denn ausschließlich zu sagen, das ist der Stil von Regisseur*innen/ Autor*innen stimmt ja nicht, denn da gehört ja so viel noch dazu. Da hängt ja immer ein Team dran.
VIRGINIA: Ich glaube, das ist jetzt nur eine Vermutung, aber das ist dann eben immer das gleiche Team.
MAREIKE: Xavier Dolan zum Beispiel, der macht immer super viel bei seinen Filmen: Regie, Produktion, Musik, Kostüm, Montage, manchmal Schauspiel. Da kann man dann sagen, das ist SEIN Film. Er macht Autorenfilme. Aber ich finde den Begriff dennoch so schwierig, da man das wieder vom Buch abstrahiert und den Regisseur mit einem Schriftsteller, dem allumfassenden Schöpfer, gleichsetzt. Aber ein Buch zu schreiben ist eine unfassbar einsame Tätigkeit und keine Teamarbeit…
VIRGINIA: Beim Film ist das schon wieder anders. Wenn ein Film oder eine Serie im Writer’s Room von vielen Autoren geschrieben wird, ist das sogar schon im Schreibprozess eine Teamarbeit.
MAREIKE: Bei Serien ist es ja auch oft so, dass im Abspann steht „Written by…“ und dann ist es eigentlich nur die Person gewesen, die die leitende Funktion bei der Folge innehatte.
VIRGINIA: Aber bei Serien ist es ja auch wiederum toll, dass es das einzige Format ist, bei dem nicht der ganze Fokus auf der*dem Regisseur*in ist, sondern auch die Producer/Show Runner mehr wertgeschätzt werden.
ANNA: Was mir dabei auch auffällt, ist diese Formulierungssache bei GABI. Mir fällt es schwer zu sagen, das ist mein Film…
VIRGINIA: Ich sage immer, das ist unser Film.
ANNA: … der Film, den ich produziert habe, so sage ich das immer.
VIRGINIA: Echt? Ich sag immer unser Film.
ANNA: Das fühlt sich so komisch an.
VIRGINIA: Ich rede irgendwie immer von „unser“ und generell nur davon, was „wir“ gemacht haben.
ANNA: Nein, das meine ich gar nicht. Ich meine das Possessivpronomen. Dieses Besitzding. Das ist eine komische Sache beim Film.
MAREIKE: Ja, genau. Denn im allgemeinen Verständnis würde man sagen, dass der Film dem*der Regisseur*in „gehört“. Das zeigt so ein bisschen eine Hierarchisierung auf und das war bei GABI sicher nicht so der Fall, oder? Das waren mit Sicherheit eher flache Hierachien, oder?
ANNA: Ja. Intern. Aber nach außen eben nicht.
MAREIKE: Jetzt kommt ein bisschen ein Themenwechsel. Mehr so in die Richtung wie Ideen entstehen. Ihr müsst ja im Studium auch schreiben, wie denkt ihr, dass sich Schöpfungsprozesse unterscheiden? Wie steht ihr dabei zur Theorie, denkt ihr, ihr habt einen Vorteil durch euer theoretisches und auch dramaturgisches Vorwissen. Seht ihr das als Vorteil?
VIRGINIA: Manchmal sehe ich durch meinen analytischen Blick meine Kreativität ein bisschen gehemmt. Es ist ja toll, dass man so denken kann, aber ich würde da manchmal gerne ausbrechen, denn es fließt einfach nicht so.
ANNA: Ich glaube, ich habe seit GABI viel öfter den Gedanken, wenn ich an Orten vorbeikomme oder Menschen treffe, dass daraus ein Film gemacht werden müsste.
VIRGINIA: Man kann sich schneller vorstellen, was da für eine Geschichte drinsteckt.
ANNA: Ja, man bekommt ein Gefühl dafür, was machbar ist im Film und was nicht. Aber gleichzeitig kommt dazu, dass ich vor einem Jahr echt noch gedacht habe, dass ich nie praktisch etwas mit Film zu tun haben werde und jetzt fühle ich mich immer noch nicht reif dafür, etwas nach dem Motto ‚ich schreibe jetzt ein Drehbuch und mache das dann auch‘ anzugehen. Aber immerhin schafft man es mal ein Exposé zu schreiben. Inzwischen haben wir schon einige gelesen und man weiß, wie das aussehen soll, was dazugehört und welche Leute man ansprechen muss.
VIRGINIA: Man hat jetzt auch die Prozesse mitbekommen, wie sich sowas entwickelt und wie viele Stufen es gibt. Es dauert einfach sehr lange und man muss dann halt irgendwann anfangen. Was für mich auch wichtig ist, ist dass ich wissen muss, ich will der Welt etwas erzählen. Da hilft dann auch kein theoretisches Wissen. Es muss einfach herauskommen wollen. Es gibt sicher auch Produktionen, bei denen gesagt wird, du musst jetzt dazu was schreiben, aber ich glaube, dass ich das nicht könnte. Auf jeden Fall nicht jetzt. Ich bin eher an dem Punkt, dass ich mich freue, Menschen mit tollen Ideen zu treffen und diese dann bei ihren Ideen zu unterstützen. So wie es gerade bei uns läuft. Im Drehbuchseminar haben wir letztlich gelernt, wie man auf Ideen kommen kann und Methoden gelernt, wie man diese entwickelt. Aber letztendlich haben wir dann die Stoffe aufgeteilt und wir mussten teilweise zu Stoffen schreiben, die nichts mit uns zu tun hatten und dann hat man gemerkt, dass das nicht geht. Da kann man dann auch keine coole Dramaturgie mehr entwickeln.
MAREIKE: Das hört man ja auch öfter: Man kann nur über das schreiben, was man kennt.
VIRGINIA: Ja.
ANNA: Ich habe für mich gerade noch so ein Problem bei diesem Schreiben und meinem Selbstvertrauen. Es ist ja das Tolle beim Film, dass man immer im Team arbeitet, aber das bedeutet für das Schreiben, dass der erste Schritt immer ist, dass man seine Sachen jemanden zeigt und sich nackig macht. Der nächste Schritt ist dann, dass es abgeändert wird und da wird es schon schwieriger. Man muss bereit sein, viele Sachen wieder aufzugeben und umzuändern.
MAREIKE: Teamarbeit bedeutet Kommunikation. Welchen Stellenwert hat also das Gespräch im Filmschaffungsprozess?
VIRGINIA: Genau dieses „darüber reden“ braucht man auch.
MAREIKE: Ja, aber das passiert bei jeglichen Produktionsprozessen nicht immer so häufig. Es ist nicht immer so grundlegend. Wenn ihr nur mal an akademische Arbeitsprozesse denkt.
VIRGINIA: Ja genau, man will dafür auch sehr viel Zeit haben. Es ist eben so wichtig, dass alle im Team wissen, was dabei rauskommen soll und sich im besten Falle auch noch einbringen können und dann ein „wir“ entsteht.
ANNA: Aber wir reden jetzt ja auch die ganze Zeit über Spielfilm. Bei anderen Gattungen gestaltet sich das schon wieder anders.
MAREIKE: Wenn ihr jetzt mal über verschiedene Arten der Diskussionen nachdenkt, redet ihr anders über Film an sich, während ihr im Team arbeitet oder wenn ihr in einem akademisch-wissenschaftlichen Umfeld seid? Oder geht ihr vom gleichen Begriff aus?
VIRGINIA: Wir haben, glaube ich, bei GABI gleich darüber geredet, aber so spezifisch redet man dann ja auch wiederum während des Entstehens gar nicht unbedingt darüber.
MAREIKE: Und wie sieht das aus, wenn ihr über die Ebene nachdenkt, wenn Filme über Filme reden? VICTORIA zum Beispiel ist ein Film, der das Medium Film thematisiert.
ANNA: Das ist bei GABI auch so, da wird ja quasi das Schauspiel auf der Metaebene thematisiert. Aber der Begriff Film war bei uns bei GABI und im wissenschaftlichen Kontext immer derselbe, wir haben das alles nie als etwas Anderes wahrgenommen.
VIRGINIA: Genau deswegen tue ich mich glaube ich auch schwer mit der Frage, weil ich keinen Unterschied mache. Man identifiziert sich nur dann immer mit dem spezifischen Film und steht dem sehr positiv gegenüber.
MAREIKE: Aber denkt ihr, man kann mit einem Film Aussagen über Film im Allgemeinen machen?
VIRGINIA: Ja!
ANNA: Ja! Ja!
MAREIKE: Und inwieweit? Welche Bezüge können in diesem Medium ausgedrückt werden?
ANNA: Ich plädiere ja sowieso dafür, dass man sich mehr in Filmen ausdrücken sollte und es wundert oder ärgert mich auch fast, dass wir das hier nicht mehr machen. Gerade als Medienwissenschaftler*innen. Aber auch generell, es sollte weniger über Film geschrieben und gesprochen werden. Man sollte sich mehr filmisch über Film ausdrücken. Und was ist jetzt der Unterschied… man will ja jetzt auch Text nicht abwerten, aber man kann einfach andere Aussagen über Filme treffen, wenn man das filmisch macht.
MAREIKE: Ok. Letzte Frage: Sollten “Filmstudent*innen“, praktische und wissenschaftliche Bereiche, noch versuchen, so viele alte Filme aus der Filmgeschichte zu schauen oder nicht?
ANNA: Als Medienwissenschaftler*in auf jeden Fall, was soll man sonst machen? Als Filmemacher*in muss es nicht sein, man kann sicher auch ohne viele Filme gesehen zu haben, tolle Filme machen. Aber als Medienwissenschaftler*in auf jeden Fall, denn wenn man über Filme redet, macht man das durch und mit Referenzen auf andere Filme. Dafür braucht einen gewissen Wissensstand.
VIRGINIA: Sonst kann man keine Brücken schlagen. Man muss verschiedene Stile etc. erkennen. Jetzt aber mal aus der ganz harten Produktionsperspektive muss man auch sehr viele Filme kennen, sonst kann man den Stoff ja gar nicht einschätzen, ob der was Neues ist oder ob er gerade ankommen würde bei einem Publikum/Festival.
ANNA: Aber das ist eher die Geldgeberperspektive bzw. Produktionsebene. Das ist dann eher Branchenwissen und das ist auf jeden Fall notwendig.
VIRGINIA: Ja, es ist aber generell für jeden der mit Film arbeitet einfach sehr wichtig die Filmgeschichte irgendwie gut zu kennen.
ANNA: Man kann sich aber auch treiben lassen und sich natürlich in Epochen oder ähnliches einarbeiten, weil es einen schlicht interessiert und gefällt.
VIRGINIA: Genau, man muss natürlich nicht alles kennen, sondern muss auch einfach Interesse haben.
Gespräch mit YANNICK Spiess
Yannick Spiess und unser Redakteur Tim König trafen sich nach einem Screening von Streetscapes [Dialogue]. Der Dialogfilm von Heinz Emigholz zeigt ein 130minütiges inszeniertes Gespräch und gilt als Schlüsselfilm für das Schaffen von Heinz Emigholz, das sich zu großen Teilen der Architektur widmet. Das filmische Gespräch baut auf Gesprächen von Heinz Emigholz mit dem Traumaforscher Zohar Rubinstein auf, die Rollen ‚Emigholz‘ und ‚Rubinstein‘ werden im Film von Schauspieler*innen übernommen.
TIM: Wie fandst du eigentlich den Film gerade?
YANNICK: Mir hat der sehr gut gefallen. Aber ich weiß nicht, ob ich den nur deshalb gut fand, weil es ein Film eines Filmemachers über das Filmemachen war; vielleicht war er für dich unglaublich langweilig. Für mich nicht, weil ich alles in diesem Film mit eigenen Erfahrungen in Verbindung bringen konnte. Oder vielmehr mit Gedankengängen, die man hat, wenn man Bilder und Töne macht, das irgendwem zeigt und versucht, das in Gesprächen zu strukturieren. Es gibt da gewisse Grenzen, an die man stößt und an denen Irritationsmomente auftreten.
TIM: Ich fand den Film super. Ich weiß aber nicht genau, warum.
YANNICK: Das Interessante an Streetscapes [Dialogue] war, dass das Konzept so simpel und trotzdem revolutionär war, irgendwie frisch.
TIM: Anfangs empfand ich den recht jungen Darsteller des Psychoanalytikers als schlechten Schauspieler.
YANNICK: Das habe ich auch so empfunden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie den Film, wie Emigholz das auch im Q&A beschrieben hat, konsequent chronologisch gedreht haben. Die erste Szene, mit genau diesen Einstellungen waren auch die ersten, die wir gesehen haben. Die letzten Szenen, die wir gesehen haben, waren auch die letzten, die gedreht wurden. Bei dem älteren Schauspieler [dem Darsteller des Regisseurs], hat man das nicht so stark gemerkt, aber der jüngere war anfangs noch sehr unsicher. Und dann hat er sich immer mehr als Schauspieler hereingefunden, hat sich transformiert.
TIM: Wir sind jetzt schon im Thema drin, aber zur Idee des Interviews: Das ist erstmal nur ein Vorwand, um mit dir diese Art von Gespräch zu führen. Die Idee ist allerdings etwas merkwürdig: In der anwesenheitsnotiz wird Kunst oft als (Untersuchungs-)Objekt betrachtet, doch jetzt lassen wir mal die Künstler*innen sagen, was sie für Wissenschaft halten. Das haben wir auch beim letzten Redaktionstreffen besprochen, dass diese Differenz von Kunst und Wissenschaft sich vermutlich nicht so aufrechterhalten lässt.
YANNICK: Was meinst du mit dieser Differenz? Meinst du damit den akademischen Kontext?
TIM: Damit meine ich zum Beispiel die Ansicht, Literaturwissenschaft wäre etwas, das von der Literatur grundsätzlich verschieden ist – und dass man die Leute, die im Literaturbetrieb arbeiten, fragen kann, ob sie sich von der Wissenschaft leiten lassen. Aber das Problem, glaube ich, ist noch fundamentaler: Reine Kunst- versus Wissenschaftskontexte gibt es nicht; und das ist beim Filmemachen noch viel offensichtlicher als beim Schreiben, wo es oft noch einen Rückzugsort gibt. Wobei ich dir damit schon unterstelle, du seist Filmemacher.
YANNICK: Aus meiner Sicht sind es vielleicht nicht die hardcore Filmanalytiker, die Filme machen, aber es ist doch so, dass das Filmemachen von Intellektuellen reserviert ist. In Deutschland oder seit den 70ern auf der ganzen Welt gibt es Menschen, die an Filmschulen studieren, also aus dem akademischen Kontext kommen und dann auch Filme machen. Daher stechen Filmemacher*innen, wie zum Beispiel Kim-Ki Duk, bei denen das nicht so ist, besonders hervor. Aber natürlich ist es etwas Anderes zum Beispiel ein Kritiker zu sein.
TIM: Und was bedeutet das für dich?
YANNICK: Was meinst du genau?
TIM: Du studierst ja Film. Im weitesten Sinne, selbst das kann man ja hinterfragen, weil sich dein Studiengang „visuelle Kommunikation“ nennt.
YANNICK: Genau, die meisten Leute, mit denen ich umgeben bin und denjenigen in meiner Klasse, die studieren „Kunst & Medien“, das ist ein künstlerischer Studiengang, da wird dir eigentlich keine Filmtheorie aufgedrückt. In der Klasse nicht, das ist alles sehr anti-autoritär, sehr laissez-faire. Das ist eine Atmosphäre, wo dir niemand jemals sagen würde: „So musst du das machen!“ Das wäre ein Faux-pas, das wird dir nicht vermittelt. Aber wir sind ja nicht die Deutschen Filmemacher, die kommen ja aus wirklichen Filmhochschulen, also München, Potsdam, … Da bewirbst du dich auf einen spezifischen Studiengang, und wenn du genommen wirst, wird gesagt, ok, du führst jetzt Regie, du schreibst keine Drehbücher, du kriegst keine Kamera in die Hand. Das ist interessant, weil wir jetzt gerade einen Film von Heinz Emigholz gesehen haben, der nicht auf diese Art und Weise Filme macht und das auch mitbegründet hat beziehungsweise hatten er und andere viel Gestaltungsraum bekommen, um an der Universität der Künste eine Filmschule zu entwerfen, aus der das Institut für Kunst und Medien entstanden ist. Dort gibt es diese Regeln nicht, was aber natürlich auch zu anderen Problemen führt. Du brauchst einfach jemanden, der das Drehbuch schreibt, einen Kameramann und so weiter. Aber diese Rollenbilder werden eben nicht vermittelt. Du musst dir dein Framework sozusagen selber bauen. Aber dabei entstehen natürlich auch ganz interessante Filme. Akademisch ist es auf eine Art trotzdem. Du musst an diesen Gesprächsrunden teilnehmen, eine Position vertreten.
TIM: Also in den Gesprächen in der Klasse.
YANNICK: Genau.
TIM: Das ist dann dieser Diskursraum. Welche Filme hast du denn bisher gemacht, ich kenne nur Drehorgel 3D. Obwohl das nicht ganz stimmt, ich kenne noch den Kurzfilm No Other Girl, den du mit Ella Funk gemacht hast. Der hat mir auch gut gefallen.
YANNICK: Ja, es hat unglaublich viel Spaß gemacht, den zu machen.
TIM: Wieso?
YANNICK: Den habe ich gemacht, nachdem ich mit Ich werde da sein, auch im Dunkeln ein großes Projekt erstellt hatte, wo ich alles ausgekotzt hatte, was ich gedacht habe, was Filmemachen ist. Mit einem unglaublichen Idealismus habe ich gedacht, dass es schon immer so gemacht worden ist, nachdem ich jahrelang nur darüber gelesen, ganz viel darüber gelesen habe, Literatur zu und über den Film. Dann habe ich das gechannelt, um etwas daraus zu machen. Und nach diesem Film, das war unglaublich intensiv, aber auch fast zum Scheitern gezwungen, ist No Other Girl entstanden. Vor dem ersten Film Ich werde da sein, auch im Dunkeln hatte ich mir selbst gewisse Regeln auferlegt, wie dieser Film zu machen sei. Und nach diesen Regeln habe ich diesen Film ausgeführt. Und als der dann zu Ende war, habe ich gemerkt: Ja, so funktioniert ein Film, aber das ist unglaublich scheiße. Der Prozess, das war nicht ich. Das hat mich auch gar nicht weitergeführt. Und dann habe ich mit diesem Wissen das nächste Projekt begonnen. Die Ecken und Enden des Films passen da anders aufeinander. Die Schauspieler*innen und die Kameraarbeit haben dort eigenständiger gearbeitet. Wir haben die Prioritäten anders gelegt.
TIM: Das war dein zweites großes Filmprojekt. Wie war es beim ersten?
YANNICK: Vor dem Projekt hatte ich sehr lange an einem Drehbuch geschrieben. Allerdings ist mir mein Laptop, auf dem das Drehbuch war, gestohlen worden. Dann habe ich alles nochmal neu gechannelt und nur noch in der Cloud geschrieben. Das war ein neunzigseitiges Skript, so wie das aussieht, im Format, wie Filmskripte halt geschrieben werden. Weil das produktionstechnisch aber nicht möglich war, habe ich dieses nicht ganz schlüssige Skript auf eine Version zusammengekürzt, die verfilmbar war. Einfach nur von den Möglichkeiten her, die da waren. Wie viele Leute ich einbinden kann, wie viele Orte ich filmen kann – im Rahmen einer durchdachten Produktion. Das wurde auch produziert. Je nachdem, wem wir das dann vorgestellt hatten, ist es zu etwas ganz anderem geworden. Aber der ist dann versunken, ich schick dir mal einen Link, aber der Film ist nur bei einem Festival in Salt Lake City, in Utah, gezeigt worden.
TIM: Schön! Aber das gibt es alles online.
YANNICK: Ja jetzt, ich kann dir den quasi privat schicken, aber ich will den nicht ins Internet stellen. Der ist jetzt verschlüsselt. Ich weiß nicht, ich habe den Film schon lange nicht mehr gesehen, das kann sein, dass der voll dumm ist.
TIM: Das ist auch das, was bei dem Redaktionstreffen aufkam. Wenn man so eine Frage stellt – ist das Kunst, was du machst, und wie kommst du dazu, das so zu machen, wie du das machst – du studierst halt auch, so wie ich, und da könnte schnell eine Selbst-Auratisierung entstehen, wo du sagen könntest ‚ich mache jetzt hier die riesengroße Kunst‘ und dies sei das Ideal, das ich aus jenen Werken gezogen habe, damit wir uns als Individuen vor anderen präsentieren, auratisieren. Aber wir stehen noch am Anfang und machen Dinge, von denen wir vielleicht gar nicht wollen, dass sie gesehen werden. Obwohl man diesen krassen planerischen Aufwand hat. Was hat dich eigentlich dazu gebracht, das umzusetzen, was du dir vorher nur gedacht hattest?
YANNICK: Das kann unglaublich peinlich sein. Aber das ist eine psychologische Spirale, in die man reinspringen kann, als Studentenfilmer: Ist es das überhaupt wert, so viele Leute für die eigene Idee zu benutzen? Das ist eine Frage, die mich immer noch beschäftigt. Aber das beste Gegengift ist eigentlich, wenn man mit Leuten arbeitet, die irgendwo auf einer Wellenlänge sind und auch auf demselben Niveau. Natürlich war ich bei dem ersten Film auch irgendwie … unbeschwert. Und bin dann mit dem Kopf durch die Wand gerannt. So wie man sich einen Producer vorstellt. Ich wurde unglaublich gut darin, zu pitchen, mein Projekt an andere Leute zu verkaufen. Das kommt so schnell und kann auch gefährlich sein.
TIM: Aber das ist bei dir ausgeglichener geworden?
YANNICK: Das liegt alles schon irgendwie sehr in der Vergangenheit. Mir hat Ich werde da sein, auch im Dunkeln jedenfalls ein bisschen die Augen geöffnet. Weil mir dann klar wurde, dass man die Dinge auch anders machen kann. Ich habe das Gefühl, besser herausgefunden zu haben, wie ich Filme machen kann. Das habe ich gemerkt, mit all meinen Fehlern. Und das ist doch wichtig, nicht? Man muss halt irgendwie das machen, was man machen kann.
TIM: Was hast du eigentlich gelesen, bevor du dein erstes Filmprojekt gemacht hast?
YANNICK: Das ist eine sehr große Frage. Ich habe immer sehr gerne sehr viel gelesen. Als ich Schiss in der Hose hatte vorm Filmemachen, da habe ich spezifische Bücher gelesen, die mir den Mut oder das Wissen geben sollten, Filme machen zu können. Quasi eine angelesene Autorität. Das waren ein paar theoretische Filmbücher, wo Leute, die nicht erfolgreich oder gar nicht Filme machen theoretisch über Filme schreiben.
TIM: Wer?
YANNICK: Unter anderem James Monaco.
TIM: Film verstehen.
YANNICK: Ja, genau. Das war ganz hilfreich. Es gibt noch ein paar andere Theoriebücher, die aus dem englischen Sprachraum kommen. Was ich ganz viel gelesen habe ist eine Reihe von Faber & Faber, die „Directors on Directors“ heißt und in der gesammelte Interviews abgedruckt sind.
TIM: Und von der Merve-Kultur?
YANNICK: Davon habe ich nichts gelesen, was direkt mit dem Filmemachen zu tun hätte. Eher in Richtung Bildender Kunst. Die Merve-Bändchen lese ich nicht sehr viel. Aber ich hatte eine Phase, wo ich die kompliziertesten Bücher lesen wollte. Total idiotisch. Ich wollte unbedingt Kant lesen, Schopenhauer und das hat auch irgendwie Spaß gemacht, das sind ja keine schlechten Lektüren. Das hat bei mir so mit siebzehn begonnen und mit zwanzig geendet. Einen Autor, den ich dann in Berlin begonnen habe zu lesen und der mir sehr viel gegeben hat ist David Foster Wallace. Das ist jetzt natürlich keine Theorie.
TIM: Bei David Foster Wallace könnte man das auch hinterfragen.
YANNICK: Der hat auch theoretische Essays.
TIM: Auf dem Deckblatt steht manchmal Roman, manchmal Essay.
YANNICK: Seine Essays übers Tennisspielen oder Kreuzfahrten sind grandios, auch seinen letzten Roman „The Pale King“ habe ich dreimal gelesen. Über Wallace und Pynchon bin ich dann auch auf Arno Schmidt gestoßen, war auch ganz hin und weg. Was willst du denn konkret wissen, mein Lieber?
TIM: Wie hat dich das in deinem ersten Film beeinflusst?
YANNICK: Diese ganze Filmliteratur, die ich gelesen hatte hat mich ermutigt, die „guts“, die Eingeweide zu haben, alles auf den Tisch zu legen, mich zum Filmemachen zu autorisieren. Überhaupt mit allen Beteiligten sprechen zu können, Anweisungen zu geben, die Sinn machen. Daraus resultierte vielleicht auch diese Art, wie ich den ersten Film narrativ aufgebaut habe. Ich hatte viele Autoren gelesen, die eine Art narrative Zerstückelung betrieben haben. Die zeitlich aufgelöst sind, Erzählperspektiven häufig wechseln und alles verquirlen.
TIM: Und das hast du versucht, in dem Film auch zu tun.
YANNICK: Das ist einfach irgendwie passiert, weil ich in diesen Strukturen drin war.
TIM: Und das hatte dich eher zurückgehalten?
YANNICK: Ich glaube nicht, die Theorie hatte mich ermutigt. Für mich war das ein natürlicher Ablauf.
TIM: So eine Art Feuertaufe.
YANNICK: Ja.
TIM: Und was hat sich verändert?
YANNICK: Danach konnte ich es differenzieren. Oder konnte es besser übersetzen. Ich hatte so viel gelesen, bevor ich überhaupt erst an das Bild gegangen war. Von diesem Prozess, wie man zu den Bildern kommt, und sie nachher im Schneideprozess wieder zusammensetzt habe ich einfach nicht so viel verstanden, weil ich es davor nicht in diesem Umfang gemacht habe.
TIM: Und liest du jetzt noch viel oder ist es der Produktion gewichen?
YANNICK: Ich lese jetzt viel weniger, als ich 17, 18, 19, 20 war. Ich lese gerichteter, suche mir die Bücher besser aus und brauche mehr Zeit, um sie zu lesen. Ich würde mich selbst jetzt nicht Filmemacher nennen. Aber viele Autorenfilmer haben dieses Ideal, einen Film wie ein Roman zu machen. Und wenn sie es könnten, würden sie Romane schreiben. Sagen ganz viele. Es ist natürlich eine Selbstinszenierung, aber es ist doch auch nachvollziehbar. Ich habe da auch ein romantisches Bild vom Roman.
TIM: Das ist merkwürdig.
YANNICK: Weshalb?
TIM: Weil ich überhaupt nicht an den Roman glaube. Ich schaue lieber Filme, als Romane zu lesen, vielleicht macht das gar keinen Sinn, dass ich Deutsch und du Filme studierst.
YANNICK: Das glaube ich gar nicht. Ich glaube, dass man sein Gebiet absteckt und dann über den Zaun schaut. Ich glaube wirklich daran, dass so ein guter David Foster Wallace mir als Individuum Dinge mitgibt, die ein Film mir nie geben könnte. Da ist schon ein intimer Vertrag mit dem Autor, so ein Gespräch, da komme ich ins Romantisieren. Ich glaube an den Roman. Das ist fast schon so eine esoterische Sache für mich.
TIM: Aber alleine Filme zu schauen weniger? Das war irgendwann, so mit fünfzehn, da habe ich im Fernsehen zufällig Lost Highway geschaut, das hat mich umgehauen.
YANNICK: David Foster Wallace ist ein großer, großer Fan von Lynch, ein großer Bewunderer. In einem Interview mit Charlie Rose erzählt Wallace, wie Lynch ihn dazu geführt hat, in solchen narrativen Strukturen zu denken.
TIM: Hier löst sich die Differenz wieder auf: Wenn ich dich jetzt weiter ausfrage, fangen wir an, uns zu wiederholen.
YANNICK: Ich finde interessant, dass du dieses Format ‚Interview‘ gewählt hast, diese Frageliste auf den Tisch gelegt hast und dann keine dieser Frage gestellt hast.
TIM: Ja, so ist das halt.
YANNICK: War das ein Irritationsmoment?
— Abbruch der Aufzeichnung.