Moritz Müller-Schwefe: Über die >Bus- und Bahnfeuilletons< Gabriele Tergits und Annett Gröschners.

Moritz Müller-Schwefe: »In Berlin lässt es sich nur in öffentlichen Verkehrsmitteln flanieren.« Über die »Bus- und Bahnfeuilletons« Gabriele Tergits und Annett Gröschners.

 

1. Einleitung

Berlin: »Alle fünf Straßen hat diese Stadt ein anderes Gesicht.«[1] So prägnant fasst die Journalistin und Autorin Gabriele Tergit 1930 ihre Eindrücke diverser Bus- und Bahnfahrten durch die Spreemetropole zusammen. Ihr mit »Heimat 75 resp. 78« überschriebenes Feuilleton, dem der obige Satz entstammt, erscheint am 19. Februar des genannten Jahres im Berliner Tageblatt. In diesem beschreibt Tergit Berlin vom Busfenster, vom Fenster der Straßen-, Untergrund- oder Stadtbahn aus. Ihre Beobachtungen zeigen, vermessen und »erschreiben« das pulsierende Berlin der Weimarer Republik in seiner Vielschichtigkeit. Sie zeigen auch die »unsichtbaren Grenzen« der Stadt, ihre verschiedenen Milieus, ihre »soziale Situation« und Segregation. Und sie stellen, so die erste der mit dieser Arbeit zu überprüfenden Thesen, eine Reaktion auf die in jener Zeit heftig diskutierte Frage dar, wie das stetig wachsende, sich stetig wandelnde Berlin überhaupt darzustellen sei. »Stadtbeobachtung«, schreibt Wiebke Porombka in ihrer Arbeit zur »Medialität urbaner Infrastrukturen«, »findet [an der Schwelle zur Moderne] zunehmend aus der Perspektive des Fahrenden statt«.[2] Tergit hat die Methode des »fahrenden Blickes« auf Berlin also längst nicht erfunden. Sie ist nicht die einzige bus- und bahnfahrende Feuilletonistin ihrer Zeit. Doch sie verfolgt in ihren Artikeln ein Programm, das sich in vergleichbaren Bus- bzw. Bahn-Feuilletons nicht bzw. nicht derart ausgeprägt finden lässt: Sie spürt eben jenen unsichtbaren Grenzen ihrer Stadt nach, ihrem fragmentarischen sozialen, kulturellen und topografischen Gefüge. Ihre »soziologischen Expeditionen«[3] unternimmt Tergit dabei eben nicht als einsame Flaneurin, sondern als eine von vielen Bus- und Bahnfahrerinnen[4] – und mit dementsprechend anderem Blick, der mithilfe eines Close Readings von »Heimat 75 resp. 78« näher erläutert werden soll.

Dass dieser »fahrende Blick« auf Berlin auch im heutigen Feuilleton noch präsent ist, wird am Beispiel der Journalistin und Autorin Annett Gröschner deutlich. Deren Berichte aus den Bussen und Bahnen der Hauptstadt erscheinen in diversen Tageszeitungen. Die Annahme, dass Gröschner dabei ein Programm verfolgt, das dem Tergits ähnlich ist, stellt die zweite These dieser Arbeit dar. Für den Vergleich der beiden Autorinnen soll der Analyse von Tergits Artikel die Untersuchung von Gröschners ursprünglich am 20. März 2000 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienenen Feuilleton »Wo Robinson die Seite wechselt« gegenübergestellt werden. Zu überprüfen ist auch bei Gröschner, ob sich ihre Bus- und Bahn-Feuilletons als Reaktion auf eine Diskussion um die Darstellbarkeit Berlins (in diesem Fall des Nachwende-Berlins) begreifen lassen. Dafür, dass sich das Berlin der späten 90er-Jahre sozial bzw. topografisch nicht weniger komplex bzw. fragmentarisch als das der Weimarer Republik darstellt, spricht schon eine Beobachtung Gröschners, die Tergits obiger erstaunlich ähnlich ist: »Überhaupt gibt es unter den Fahrgästen fast niemanden, der länger als fünf Stationen mitfährt. Danach beginnt eine neue Stadt mit neuen Leuten.«[5]

 

2. Gabriele Tergit und Berlin

Die 1984 geborene Berlinerin Elise Hirschmann, die ausschließlich unter dem Pseudonym Gabriele Tergit veröffentlichte, schrieb ab 1920 regelmäßig Feuilletons für diverse Tageszeitungen und Zeitschriften. Als Journalistin wurde sie zunächst für ihre Gerichtsreportagen bekannt, die sie ab 1923 für die Vossische Zeitung und ab 1924 für das Berliner Tageblatt verfasste. Der schriftstellerische Durchbruch gelang Tergit 1931, als ihr Roman Käsebier erobert den Kurfürstendamm im Rowohlt Verlag erschien. Nach ihrer Flucht aus Nazideutschland 1933 lebte die Autorin in London. Im englischen Exil und auch nach Ende des Zweiten Weltkriegs konnte sie nicht mehr an ihre frühen Erfolge anschließen. Ihr zweiter »großer« Roman Effingers erfuhr bei seiner Veröffentlichung 1951 nur wenig Resonanz. Tergit starb 1982 in London.

Die literaturwissenschaftliche Forschung hat sich bislang vor allem auf ihre Person, die beiden genannten Romane sowie die Gerichtsreportagen konzentriert.[6] Wenige Arbeiten haben sich der Berlin-Feuilletons Tergits angenommen.[7] Dabei sind sie durchaus bemerkenswert, nicht nur, aber besonders vor dem Hintergrund der bereits erwähnten, zur Zeit der Weimarer Republik diskutierten Frage nach der Darstellbarkeit jener Stadt, die nach Karl Schefflers berühmtem Diktum von 1910 »verdammt« sei, »immerfort zu werden und niemals zu sein«.[8]

 2.1 Das moderne Berlin: wie darstellen?

»Wie«, fragt der Literaturwissenschaftler Michael Bienert in seiner Arbeit über »Die eingebildete Metropole«, das Berlin des frühen 20. Jahrhunderts,

wird eine Stadt [Berlin] wahrgenommen, deren bauliche Substanz ganz überwiegend aus ›ununterbrochener Modernität‹ besteht? […] Eine Stadt, die, dem Vergleich mit anderen Städten ausgesetzt, meist als häßlich, anorganisch, unübersichtlich, unlesbar charakterisiert wird?[9]

Anorganisch, unübersichtlich, unlesbar: Bei Bienert klingt an, warum die Darstellung Berlins für die JournalistInnen und AutorInnen der Weimarer Republik zum Problem wird. Auch Klaus Scherpe zielt mit seinem Aufsatz »Nonstop nach Nowhere City« auf die literarische Herausforderung der modernen Stadt, die nicht mehr so einfach »erzählt« werden könne.[10]

Auf dem Spiel steht fortan die Darstellbarkeit der Stadt überhaupt, ihre Erzählbarkeit nach den traditionellen Mustern der Repräsentation: nach der bedeutungsträchtigen Symbolisierung, der regulierten Wahrnehmung und nach dem verdeutlichenden ‚Lesen‘ im ›Text der Stadt‹.[11]

Wie also soll man eine Stadt beschreiben bzw. »erzählen«, die von dauerhafter Industrialisierung und Technisierung, von Tempo, Geschäftigkeit, Fragmentierung und ständigem, unkontrolliertem Wandel dominiert wird?[12] – Wie eine Stadt, die weniger durch einzelne (symbolische) Sehenswürdigkeiten, als durch ihr unübersichtliches Ganzes erfahrbar ist? »Berlin«, schreibt Alfred Döblin 1928 im Geleitwort zu Mario von Bucovichs Fotoband über die Hauptstadt, »ist größtenteils unsichtbar«.[13] Mit seinem bündigen Statement bringt der Autor auf den Punkt, was er zuvor beschrieben hat. Sehenswürdigkeiten gebe es anderswo schönere. Städte sowieso, Paris zum Beispiel. »Man kann von Berlin nicht sprechen in dem Stil und dem Tonfall, mit dem etwa einer Paris beschreibt […]«, findet Döblin und spielt damit auf das Geleitwort Paul Morands in von Bucovichs Band zu Paris an, in dem die Stadt an der Seine als poetische, farbenfrohe, und somit vor allem auch fotografisch vorzeigbare beschrieben wird.[14] Berlin hingegen, schreibt Döblin, »ist eine unpoetische, sehr wenig bunte, aber sehr wahre Stadt«.[15] Ihr Reiz bestehe nicht in einzelnen Sehenswürdigkeiten, nicht in ihrem Charme, nicht in ihrer Schönheit. Sie sei unsichtbar, weil es sich schlicht nicht lohne, sie zu fotografieren. »Es ist ein Haus wie das andere, die riesigen Straßenzüge entlang ein Nutzbau, eine Mietskaserne ohne Gesicht neben der anderen ohne Gesicht.«[16] Der Reiz Berlins bestehe nicht im Einzelnen, sondern, eben, im Ganzen, in der Gesamtheit der Stadt: »Nur das Ganze hat ein Gesicht und einen Sinn: den einer starken nüchternen modernen Stadt, einer produzierenden Massensiedlung.«[17] Zu diesem Ganzen gehöre auch, »was die heutigen Leute tun«, gehörten die BewohnerInnen der Stadt.[18]

Wie aber dieses unsystematische Ganze, fotografisch für Döblin kaum abbildbar, darstellen? Das Tempo, den Wandel, die Geschäftigkeit, die BewohnerInnen, das »Gesicht« der Stadt? Fordert Morand in seinem Pariser Geleitwort noch explizit die fotografische Darstellung der Stadt,[19] scheint Döblin sie in Bezug auf Berlin durchaus skeptisch zu sehen. Er selbst versucht sich an der literarischen Darstellung der Stadt an der Spree in seinem nur ein Jahr später (1929) veröffentlichten Roman Berlin Alexanderplatz. Die von Döblin darin verwendete Montagetechnik ermöglichte ihm, die Simultaneität, das Tempo, die Geschäftigkeit der Stadt einzufangen und darzustellen. Schon die anfängliche Schilderung der Trambahnfahrt Franz Biberkopfs vom Tegeler Gefängnis zum Rosenthaler Platz mag ein geeignetes Beispiel abgeben[20], und sie führt zurück zu den Bus- und Bahnfahrten Tergits.

»Tergit and her contemporaries agreed«, schreibt Christina Ujma in ihrem Aufsatz »Gabriele Tergit and Berlin: Women, City and Modernity«, »that it is in fact impossible to describe Berlin by traditional narrative means«.[21] Döblins Alexanderplatz mag die berühmteste Reaktion auf diesen Befund darstellen, doch das Verbinden, das Parallelschalten der zahlreichen Eindrücke Berlins und seiner fragmentierten sozialen wie topografischen Realität unternimmt auch Tergit in den angesprochenen Feuilletons. »Her style imitates the urban kaleidoscope, the high speed and breathlesness of the city. She uses montage, juxtaposes different social quarters and mixes the voices of Berliners […]«.[22] Dass sie dafür vor allem, aber nicht nur (vgl. Käsebier) die kurze Form des Feuilletons wählt, ist bemerkenswert und hier noch einmal hervorzuheben. Denn möglicherweise ist gerade die kaleidoskopische Form des Bus- und Bahnfeuilletons viel eher geeignet, die fragmentierte, vielschichtige moderne Großstadt greifbar zu machen als der Roman, möglicherweise ist sie die in dieser Zeit gesuchte Form der literarischen Stadtdarstellung:

Wie man im Alltag auf Straßenbahn und Bus auf- und wieder abspringen kann, sich ein kurzes Stück fahren lässt, dann in ein anderes Transportmittel steigt, um die Richtung zu ändern, so wird der Schriftteller sich im urbanen Zentrum ständiger Erregungen und Sensationen nun auch des geistigen Mediums bedienen: Er springt auf einen Gedanken auf, verfolgt ihn eine kurze Zeit, wechselt vielleicht abrupt die Richtung, betrachtet den Gedanken von einer anderen Seite und lässt ihn schließlich ruhen. Für diese ganze, spielerische Reflexion braucht der moderne Autor nicht mehr als ein paar Druckseiten, um am besten sogleich eine zweite Gedankenfahrt anschließen zu können.[23] 

2.2 Close Reading »Heimat 75 resp. 78«

»Nicht der Brunnen«, eröffnet Tergit ihr Feuilleton in Anlehnung an Wilhelm Müllers bekanntes Volkslied, »ist meine Heimat, nicht die Linde, nicht der Gang vors Tor […], Heimat ist meine 75.«[24] Doch nicht nur zu ihrer »Stammlinie«, das macht der Artikel deutlich, pflegt Tergit ein besonderes Verhältnis. In ihrem Text erwähnt sie gleich mehrere Bus- und Bahnlinien Berlins und beschreibt sie mitunter metaphorisch als »Tiere«, als »treue Hunde«, die sie und die anderen Fahrgäste durch die Stadt tragen.[25] Entsprechend und auch entsprechend verallgemeinernd, weil den Blick scheinbar auf alle Berliner lenkend, liest sich das Ende des Artikels, das neben den Verkehrsmitteln bzw. -linien erneut Müllers Volkslied aufgreift und somit den thematischen Rahmen (Heimat und öffentliche Verkehrsmittel) des Textes noch einmal betont:

Nicht der Brunnen ist unsere Heimat, nicht die Linde, nicht der Gang vors Tor, nicht der Weg um den Wall […]. Heimat ist unsere Bahn, Heimat ist unser Einser, unsre Fünfundzwanzig, unsere Siebenundvierzig, treppauf und treppab springen, von der Untergrundbahn bis zum Bahnhof Friedrichstraße, 97 Stufen.[26]

Die bemerkte Tendenz zur »Ausdehnung« des Blicks[27] lässt sich im Übrigen über den Verlauf des gesamten Artikels hinweg feststellen. Denn der Auftaktbeschreibung der Heimat der Erzählerin, die in der Linie 75 besteht, folgen die persönlichen Assoziationen, die sie mit dieser Linie verbindet, also gewissermaßen die Begründung ihrer Feststellung:

Früher hieß sie S. oder O. Als wir junge Mädchen waren und die Klassiker bei Reinhardt ansahen […]. Später fuhr ich mit der S. und O. zur Universität. War es nicht schön, durch den Tiergarten zu fahren? Ewig die gleichen Geschäfte in der Dorotheenstraße, Geflügelhandlung, Schropps Landkarten, die Akademischen Bierhallen.[28]

Der Gedanke an die Linie 75 löst bei der Erzählerin Jugenderinnerungen aus. Vor dem geistigen Auge des Lesers taucht ein früheres Berlin auf. Doch löst sich dieses mit dem nächsten Absatz gleich wieder auf. Die Erzählerin springt in die Jetztzeit – und löst sich von den persönlichen Schwelgereien. »Jetzt wohne ich wieder an dieser Strecke Tiergarten–Dorotheenstraße«, heißt es noch aus der Ich-Perspektive, um daraufhin sogleich umzuschwenken, »[w]enn man in eine neue Wohnung zieht, überlegt man, was nun unsere neue Heimat wäre, nicht der Gang durch die neue Straße, nicht der Name des nächsten Schlächters […], sondern wie das Tier heißt, das uns über die täglichen Berufswege führt. «[29] Dem Sprung in die Gegenwart folgt der Sprung in die dritte Person Singular und der in die erste Person Plural. Die Erzählerin löst sich aus ihrer eigenen Wahrnehmung, aus ihren eigenen Erinnerungen und wählt einen allgemeineren Standpunkt. Wenige Zeilen später löst sie sich auch von der »eigenen«, phasenweise direkt apostrophierten Bahnlinie 75, die inzwischen, im Jetzt, in die 78 umbenannt worden ist:

Die 75. Gute 75, edelwerte, wohlgefällige 75. Wiedergefundene Heimat meiner Jugend. Das Grün der Hoffnung ist dir vergangen, gelb bist du geworden, 75, resp. 78. Aber nichts seid ihr, ich muß es zugeben, gegen die 76 resp. 176. Fängt dort draußen an mitten im Grunewald. Geht über den Kurfürstendamm […].[30]

Die hier zitierte Passage könnte als Wendepunkt des Textes begriffen werden. Denn von diesem Moment an richtet sich der Blick der Erzählerin nicht mehr nur auf die Linie 75 resp. 78, sondern auch auf die anderen Bus- und Bahnlinien der Stadt – und damit auch auf andere Regionen und Fahrgäste. Schon die kurze Beschreibung des Streckenverlaufs der Linie 176 macht dabei deutlich, wie unterschiedlich sich Berlin topografisch und sozial darstellt. Denn die Linie kreuzt nicht nur den Kurfürstendamm und damit »die Welt der neuen Läden, der feinen Jumper, der Rauchverzehrer und Bridgekultur«, sondern u. a. auch »Molkenmarkt, Stralauer Straße, Lange Straße, Ostbahnhof« und ist damit plötzlich »[m]ittendrin im Leben der Seifengeschäfte und Grünkramläden und kleinen Kneipen, und im Hinterhaus sind die Tischler und Schlosser. Weit hinaus fährst du [176] müde Menschen bis […] nach Lichtenberg noch hinterm Rummelsburger See«.[31] Tergits Blick fällt bei diesen langen Fahrten nicht nur auf die Mitfahrenden und die Menschen auf den Straßen; mit ihrem stakkatohaften Stil, den u. a. auch Frances Mossop in ihrer Arbeit zu Tergit bemerkt,[32] beschreibt sie zwischendurch auch die angefahrenen Stationen, die Straßenzüge und ihre jeweiligen Assoziationen.[33] In diesen Passagen, die sich durch eine Art Stream of Consciousness auszeichnen, lässt sich die Montagetechnik, wie sie im Zusammenhang mit Döblin bereits erwähnt wurde, auch bei Tergit wiederfinden. Immer wieder montiert sie Zitate, Dialoge, Erinnerungen, Assoziationen in ihre Beschreibungen der jeweiligen Linie und der entsprechenden Berliner Regionen in ihren Text: »Und der alte Westen? Der große Luxuswagen 1 und 2? […] Gefährt der autolosen Gattinnen von Autoherren. Als sie vom Einser und Zweier wegzog, ‚was wirst du machen?‘ fragte ich sie. ‚Ich bekomme den 25iger‘, sagte sie. ‚Meinen 25iger‘, sagt sie heute.«[34]

Danach, ungefähr ab der Mitte des Artikels, rückt in den Fokus, was Bienert und auch Mossop die »unsichtbaren Grenzen« nennen: die Beschreibung der kaum wahrnehmbaren innerstädtischen Grenzen Berlins.[35] Es folgt die Beschreibung der sozialen Situation der Stadt bzw. ihrer jeweiligen Viertel. »Tergit«, schreibt Mossop in ihrer Studie, »in addition to depicting Berlin’s segregation along geographical lines, highlights socio-economic division, with the respective districts characterized accordingly«.[36] Gerade der Blick in den und aus dem Bus bzw. der Bahn scheint sich für diese »Sozialstudie« Tergits zu eignen. Ständig steigen Fahrgäste aus und zu, ständig verändert sich die Szenerie, die sie durchfährt.

Der 12er um 11, ½ 12 Uhr, voll mit Presseleuten, bis zum Zeitungsviertel. Oh Zehner, um ½ 9 voll mit Moabitern. Mit Rechtsanwälten, mit Körperverletzern, mit Konkürsiers, mit Geohrfeigten und Betrogenen, mit der hysterischen Dame aus dem Beleidigungsprozeß von 272, mit Richtern und Staatsanwälten. O Neuner, Universitätsbus, T.-H.-Bus, Handelshochschulbus, blondes Mädchen, blasser Jüngling […].[37]

Dass die Viertel der Hauptstadt dabei bisweilen als eigene Welten beschrieben werden können, die von ihren BewohnerInnen nur selten – und wenn, dann meist über die entsprechenden Verkehrsmittel – verlassen werden, wird in der Folge deutlich. Und damit die erwähnte Segregation der Stadt, die – positiv gewendet – auch bereits im zitierten Geleitwort Alfred Döblins anklingt.[38] Tergits etwas »realistischere« Beschreibungen lesen sich wie folgt:

Arme Geschöpfe leben in der Kantstraße, haben nichts als ihre 93 und 72 […]. Und die Kinder wachsen auf am Kurfürstendamm, die von nichts als ihrem Einser wissen, nicht ahnen, daß es Tiere gibt, die 23 heißen, nicht wissen, daß da treue Hunde sind, 47 benamt, die nach Britz fahren, nicht wissen, daß die einzige Möglichkeit, nach Tegel zu gelangen, die 25 ist.[39]

Die Grenzen meiner Welt sind die Grenzen meiner Linie, so lapidar könnten sich die Eindrücke Tergits hier zusammenfassen lassen. Die Verschiedenheit der nicht durch sichtbare, sondern vielmehr unsichtbare sozio-ökonomische Grenzen getrennten Gegenden Berlins stellt sich ihr, die auf wenigen Fahrten so viele von ihnen durchstreift, eindrücklich dar. Steigen wir noch einmal zurück zu ihr in den 25iger:

Was für ein lieber Gefährte [der 25iger]! Herkommend vom tiefsten Süden, vom Teltowkanal, aus einem Gewirr von Lauben, alten Gärten, neuen Häusern, Fabriken und dem Kanal. Tempelhof, wie gut, neues Land für junge Heime, für kleine Kinder, Belle-Alliance-Straße, alte Straßen, vornehmes, altes preußisches Geheimrats-Berlin, Bahnhöfe, im Lärm des neuen Fremden. Königgrätzer-, Friedrich-Ebert-Straße, und dann ist Norden. A.E.G. Studentengegend, Kliniken, medizinische Buchhandlungen, Theater, Kaserne, Karlstraße, Friedrichstraße, Landwirtschaftliche Hochschule, Invalidenstraße, Welt des Lernens, Welt des Forschens, Welt des Lehrens. Wedding. Fabriken, Höfe und Elend, um dort oben zu enden, am Park der Humboldts, am Tegeler Forst.[40]

»Solche Bahnen gibt es, die viele Bezirke durchschneiden«, schreibt Tergit zum Ende des Absatzes, um schließlich zusammenfassend-programmatisch festzuhalten: »Alle fünf Straßen hat diese Stadt ein anderes Gesicht. Andere Menschen im Einser, mittags um 12 Uhr, andere 7 Uhr morgens, in der 25.« Auf diesen dramaturgischen Höhepunkt des Artikels folgt die Beschreibung der Stadtbahn und »ihrer« Gegend rund um den »geschäftigen« Alexanderplatz. Eine kleine Anekdote[41] und das erwähnte rahmende Ende beschließen den Text: »Heimat ist unser Einser, unsere Fünfundzwanzig, unsere Siebenundvierzig, treppauf und treppab springen, von der Untergrundbahn bis zum Bahnhof Friedrichstraße […].«[42]

Den »Netzplan der Bahn« beschreibt Porombka als »Raster, durch das dem Stadtraum Übersicht – und damit auch Erzählbarkeit – verliehen wird«.[43] Ihre Annahme findet man in Tergits Feuilleton durchaus bestätigt. Mithilfe der Bahnen und Busse, »die viele Bezirke durchschneiden«, gewinnen Erzählerin und LeserIn einen immerhin ungefähren Überblick über die Stadt, über die verschiedenen Gegenden und die zu ihnen gehörigen BewohnerInnen. Mithilfe der Verkehrsmittel ist es Tergit möglich, auf wenigen Zeilen die Größe, aber auch die Fragmentierung, die unsichtbaren Bruchlinien der Stadt zu erforschen und zu zeigen. Ihre Vorgehensweise unterscheidet sie deutlich von flanierenden Zeitgenossen wie Benjamin, Hessel, Kracauer oder Roth:

Her [Tergits] visualization of the city – and her representational form – does not, correspond to conventional concepts of the flaneur and his (usually his) analytical, aesthetic interpretation of his environment. She observes and relays daily life in Berlin casually in the role of an informed insider, someone who is part of the crowd, not an anonymous aimless wanderer who seeks to ›read‹ and decode the urban realm.[44]

Mit ihrem »schnelleren« Blick aus dem Bus oder der Bahn nimmt Tergit anders und Anderes wahr als die Flaneure.[45] Ihr fallen die Unterschiedlichkeiten dieser unübersichtlichen Stadt auf, die Diversität und gewissermaßen »Parallelexistenz« der Gegenden Berlins, die unsichtbaren Grenzen, die die Stadt deutlicher teilen als die Bezirksgrenzen, die unterschiedlichen Fahrgäste, Menschen, Schicksale, mit denen sie sich teilweise auch in ihren Gerichtsreportagen konfrontiert sah.[46] Indem sie das neue »Raster« der Stadt abfährt und, montierend-protokollierend, be-schreibt, bringt sie Berlin neu zur Darstellung. Die große Stadt in der kleinen Form: Indem sie Bus und Bahn fährt, kann sie zumindest die ungefähren (kulturellen, topografischen, sozialen) Konturen des »flächigen« Gesichts Berlins nachzeichnen, die unsichtbaren Falten und Unebenheiten – die unsichtbaren Grenzen der »unsichtbaren Stadt«.

3 Annett Gröschner und Berlin

»Ich wollte nie eine Autorin sein, die am Schreibtisch sitzt und über eine Frau schreibt, die am Schreibtisch sitzt und darüber schreibt, wie eine Frau am Schreibtisch sitzt.« So formuliert es die Autorin und Schriftstellerin Annett Gröschner in ihrem Essay über »Stadtlandschaft. Bruchstücke. Straßenbahnfahrten«, um gleich darauf fortzufahren: »Ich brauche die Stadt. Ich muss von einer Sekunde auf die andere den Schreibtisch verlassen und durch die Menge streichen können.«[47] Es ist ein Satz, der Gröschners Schreiben treffend beschreibt. Seit Anfang der 1980er-Jahre lebt die gebürtige Magdeburgerin in Berlin, anfangs Ost-Berlin. Seit Ende der 90er-Jahre tritt sie als Schriftstellerin und Journalistin in Erscheinung. In ihrem Kolumnen, Artikeln und Feuilletons für diverse Zeitungen und Zeitschriften, und mitunter auch in ihren Romanen (u. a. Moskauer Eis, Walpurgistag), widmet sie sich ihrer Wahlheimat Berlin. Immer wieder streicht sie durch die Stadt – vornehmlich an Bord von Bussen und Bahnen, »in Berlin«, schreibt sie in ihrem oben genannten Essay, »lässt es sich nur in öffentlichen Verkehrsmitteln flanieren«.[48]

3.1 Das Nachwende-Berlin: wie darstellen?

Wie in der Einleitung bereits vermutet, lässt sich möglicherweise auch Gröschners Schreiben als Reaktion auf die, in den Neunzigern wieder sehr aktuelle Frage nach der Darstellbarkeit Berlins verstehen. »Nach der Wende«, schreibt sie im erwähnten Essay, »strich ich durch die Hinterlassenschaften eines verschwundenen Staates. Es war fast eine Sucht, noch einmal alles festzuhalten, was morgen unweigerlich verschwinden würde«.[49] Hier klingt an, worin die literarische Herausforderung des Nachwende-Berlins bestanden haben muss – und möglicherweise noch immer besteht. Wie eine Stadt beschreiben, die, wie das Land, beinahe drei Jahrzehnte geteilt war und nun wieder zusammenwächst bzw. zusammenwachsen soll? Wie eine Stadt beschreiben, die von zwei so verschiedenen politischen Systemen und zuvor von einem Weltkrieg gezeichnet wurde? Wie beschreiben, was sich noch immer ununterbrochen und nach dem Mauerfall sogar vielleicht noch schneller als zuvor wandelt? »Die Stadt«, schreibt Bienert schon 1992 in seinem Nachwort zur »eingebildeten Metropole« Berlin,

hat ein ganz anderes ›Tempo‹, und zwar in jeglicher Hinsicht, wie früher mit diesem Wort assoziiert wurde. Nicht nur der Verkehr ist mächtig angewachsen, auch Straßen, Fassaden, Plätze verändern ihr Gesicht, vor allem im Ostteil der Stadt. Eingesessene Gewerbetreibende werden durch die explodierenden Mieten verdrängt, Künstler müssen ihre unbezahlbar gewordenen Ateliers räumen […]. Überall wird gebaut. Die neue Metropole hat eine Eigendynamik, die von Politik und Verwaltung kaum mehr kontrolliert werden kann. Es müssen viel mehr Entscheidungen in kurzer Zeit gefällt werden – für ein Areal, das in seiner Gesamtheit niemand zu überblicken in der Lage ist.[50]

Nicht nur der letzte Satz Bienerts schließt an Döblin und Co. und an die Frage der Zwanzigerjahre an, wie das sich ständig verändernde, aber eben auch unsystematisch bzw. unreguliert vergrößernde, unübersichtliche Berlin darzustellen und festzuhalten sei. Die KünstlerInnen, SchriftstellerInnen und JournalistInnen der 90er sehen sich möglicherweise einer ganz ähnlichen Aufgabe gegenüber wie die der 20er. Der Wandel, das lässt sich ebenfalls in Bienerts Statement wiederfinden, hat in der Zeit nach dem Mauerfall erhebliche Auswirkungen auf die soziale und gesellschaftliche Zusammensetzung der Stadt. Seit der Öffnung Berlins, der Zusammenführung, strömen Massen in die Stadt. Und das nicht nur, um zu fotografieren, sondern auch, um zu bleiben. Zahlreiche JournalistInnen und AutorInnen arbeiten sich seit Jahren an der sogenannten »Gentrifizierung« ab, an dem Zuzug von Neuem, der Verdrängung von Altem. Unsichtbare sozio-ökonomische Grenzen sind heute natürlich weiterhin präsent in Berlin. Ihnen spürt auch Annett Gröschner nach. Dass sie dies so oft und konsequent mit Hilfe der öffentlichen Verkehrsmittel unternimmt, macht sie nicht einzigartig, doch hebt es sie von einer beträchtlichen Zahl ihrer Zeitgenossen ab. »In diesem Buch«, schreibt Gröschner in der Einleitung zu ihren 2002 gesammelt veröffentlichten Bus- und Bahnfeuilletons,

sind Fahrten mit vier Straßenbahnlinien, dreizehn Buslinien, einer Fähre und einem Nachtbus versammelt. Ein Kriterium meiner Auswahl war, ob die Linie unsichtbare soziale, kulturelle und auch politische Grenzen überschreitet. Es gibt seit über hundert Jahren und jenseits der politischen Teilung in Berlin soziale und kulturelle Segregationen, die zwar nicht so scharf sind wie in New York, Paris oder London, aber bei einer Fahrt durch die Stadt deutlich zu spüren sind.[51]

In ihrer »programmatischen« Herangehensweise, in ihrem Blick auf die Stadt, in ihrem »Bus- und Bahn-Flanieren« ist Annett Gröschner also durchaus mit Gabriele Tergit zu vergleichen. Ganz wie der Blick Tergits legt auch der Gröschners dabei nicht nur soziale, kulturelle und topografische Unterschiede innerhalb der Spreemetropole frei, sondern immer wieder auch die Geschichte der Stadt.[52] Ein wichtiger Aspekt, bemerkt doch u. a. Bienert, dass bei all dem Wandel die »Sensibilität für die historische Substanz der Stadt« immer mehr schwinde.[53]

Bus und Bahn zu fahren heißt, die Oberfläche der Stadt zu betrachten. Man fährt an den Orten vorbei, ohne in die Tiefe sehen zu können. […] Andererseits lassen sich in Berlin selbst an den Oberflächen die Verwerfungen der Geschichte noch deutlich erkennen. Man muß nur zweimal hingucken.[54]

Die Geschichte, die Topografie, die soziale Zusammensetzung, die Segregation der Stadt erschließen sich Gröschner, wie Tergit, über das Berliner Liniennetz. Wie genau, das zeigt das folgende Close Reading ihres ursprünglich am 20. März 2000 in der F.A.Z. veröffentlichten Feuilletons »Wo Robinson die Seite wechselt«.[55]

3.2 Close Reading »Wo Robinson die Seite wechselt«

»Die 20 ist die Straßenbahnlinie meiner Träume.« Auch Annett Gröschner beginnt ihren Artikel mit einer persönlichen Bemerkung, einer Schilderung aus der im Feuilleton durchaus üblichen Ich-Perspektive. Sie beginnt mit der Beschreibung des alltäglichen bzw. allnächtlichen Verkehrs der Straßenbahnlinie 20, auf die sie von ihrer Wohnung aus schauen kann, und mit der Beschreibung seiner Gefahren. Auffällig ist neben der Vertrautheit der Erzählerin mit den verschiedenen Verbindungen des Berliner Streckennetzes (sie nennt meist lediglich die Zahlen der Bahnen und Busse), der humorvoll-ironische Ton, den Gröschner sogleich anschlägt.[56] Gleich zu Beginn ihres Feuilletons erzählt sie von den vorwiegend nächtlichen Kollisionen von Mensch und Maschine, den schmerzhaften Konsequenzen, die auch ihre Nachbarn bereits zu spüren bekommen haben. Anspielungen auf die Mauer und andere historische Fakten werden gleich im ersten Absatz spielerisch in die Erzählung eingeflochten.[57] Doch schon mit dem zweiten werden sie ausführlicher und allgemeiner dargestellt: »Die Geschichte der elektrischen Straßenbahnlinie auf dem ehemaligen ‚Communicationsweg‘ zwischen Bernauer Straße und Frankfurter Allee beginnt im Jahre 1900 […].«[58] – Dennoch ist eine Ausdehnung des Blicks im Verlauf des Artikels wie bei Tergit bei Gröschner nicht in der gleichen Konsequenz festzustellen. Aus dem »ich« wird kein (finales) »uns«. Die Ich-Erzählerin ist über den gesamten Text hinweg durchaus präsent. Ihre Schilderungen eigener Wahrnehmungen wechseln sich ab mit Rekapitulationen von bspw. historischen Fakten über Berlin und die öffentlichen Verkehrsmittel, mit Zitaten aus anderen literarischen Werken[59], der Wiedergabe von Schilderslogans usw. Insofern kann auch bei Gröschner von einer, die Simultaneität der Eindrücke fassbar machenden, Montagetechnik gesprochen werden. Sie ist in zahlreichen Artikeln der Journalistin zu beobachten.[60]

Auf die Zusammenfassung der historischen Anfänge »ihrer« Straßenbahnlinie 20 folgt im dritten und vierten Absatz des Textes die Beschreibung der Linie – und anderer Verbindungen, die auf der gleichen Strecke verkehrten – während der Nachkriegszeit und der Teilung Berlins:

Nach der Währungsreform, 1948, wurde an der Sektorengrenze zwischen Eberswalder und Bernauer Straße ein Schaffnerwechsel eingeführt. […] 1953 wurde der sektorenübergreifende Linienverkehr eingestellt und an der Eberswalder Straße eine Wendeschleife eingerichtet. Von 1961 bis 1989 begann gleich dahinter die Mauer. Für die Linie 20 besteht sie bis heute. Pläne, die Linie bis zum Nordbahnhof zu verlängern, dümpeln vor sich hin.[61]

In dieser Passage wird Gröschners Aufspüren der (Mauer-)Vergangenheit Berlins bereits deutlich. Doch deutlich wird auch das Freilegen der, im Fall der Mauer, inzwischen unsichtbaren Grenzen bzw. ganz allgemein der Topografie der hier immer noch spürbar geteilten Stadt.[62] »From […] the back of a tram, she [Gröschner] charts the changes to the physical city and to its inhabitants, observing that the invisible borders remained present in Berlin more than a decade after the Wende and German reunification«[63], stellt Mossop in ihrer kurzen zusammenfassenden Untersuchung der Berlinfeuilletons Gröschners fest.

»Bis auf weiteres«, heißt es im anschließenden Absatz des Artikels, der mit wenigen Sätzen die Strecke der 20 vermisst,

verkehrt die Linie [20] von der Eberswalder Straße und endet an der Warschauer Straße, an der Grenze zu Kreuzberg. Die Bahn pendelt von Westen nach Westen. Dazwischen liegen Prenzlauer Berg und Friedrichshain. Zwanzig Minuten dauert eine Fahrt von Endstelle zu Endstelle […].[64]

Mit Beginn des Absatzes springt Gröschner also ins Jetzt und hinein in einen der Straßenbahnwagen. Abwechselnd richtet sich ihr Blick fortan auf die vorbeiziehenden Straßenzüge und auf das Innere des Waggons: auf die Fahrgäste. Dabei fällt ihr auch die soziale Segregation Berlins ins Auge. Denn für einige hat sich scheinbar auch nach der Wende und der Zusammenführung Berlins, gerade unter sozio-ökonomischen Gesichtspunkten, nicht viel verändert:

Die Werbung auf der Außenhaut der Straßenbahn fragt: ›Ist das alles, was Sie von Europa kennen?‹ Für einige der Fahrgäste könnte man die Frage zweifelsohne bejahen. Es hat den Anschein, als pendelten sie schon ihr ganzes Leben zwischen Friedrichshain und Prenzlauer Berg hin und her und kämen nie nach Hause.[65]

So wie hier verpackt Gröschner ihre kurzen »Sozialstudien« oft in kleine humorvolle Beschreibungen von Sitznachbarn, anderen Passagieren und deren Unterhaltungen, in kurze Anekdoten aus dem »Alltag« der Straßenbahnlinie.[66] Gröschner registriert die je nach Uhrzeit und Gegend wechselnde »Besetzung« der Bahn:

In der Linie 20 wird viel gelesen. Vielleicht liegt es daran, daß in der Gegend viele Studenten wohnen. […] Wäre ich blind, würde ich trotzdem wissen, daß ich in der 20 bin. Denn anders als die anderen Linien ist sie auch an den Gerüchen erkennbar. Am frühen Freitagabend riecht es nach billigem Parfüm und Haarspray, da sind die Mädchen in kichernden Gruppen unterwegs in die Tanzkeller und Cafés. Ein paar Stunden später riecht es wie in der Kneipe nach der letzten Runde, im Gegensatz zu früher mehr nach Bier und Wein als nach Schnaps, und bei Betriebsschluß etwas strenger nach Urin und Erbrochenem.[67]

Ähnliche und teilweise noch ausführlichere »Sozialstudien« lassen sich auch in zahlreichen anderen Bus- und Bahn-Feuilletons Gröschners finden, so zum Beispiel in ihrem Artikel »Einmal quer durch die Kulturen«, der eine Fahrt mit der Buslinie 129 von der Neuköllner Sonnenallee bis zum Roseneck in Wilmersdorf beschreibt.[68] Doch bleiben wir bei »Robinson«. Auf die Beschreibung der wechselnden Fahrgäste der 20 folgt zum Ende des Artikels hin noch einmal der Blick aus dem Bahnfenster: »Die Straßenbahn umrundet den Bersarinplatz«, schreibt Gröschner, um sogleich die Geschichte desselben anzuschließen,

[e]r durfte seinen Namen behalten, weil sich die Friedrichshainer 1995 erfolgreich gegen die Umbenennung in Baltenplatz gewehrt haben. Bersarin war der erste sowjetische Stadtkommandant nach dem Krieg. Er starb, als er mit seiner Harley-Davidson am Morgen des 16. Juni 1945 gegen einen Militärkonvoi raste, was ihm Jahrzehnte später den Beinamen Sowjet-Rocker einbrachte.[69]

Wie bereits angedeutet, richtet sich der Blick Gröschners abwechselnd auf das Innere der Bahn und das Äußere, auf die vorbeiziehenden Gegenden, die Fassaden, die Plätze, Straßen und Kreuzungen. Abwechselnd nimmt die fahrende Feuilletonistin Topografie bzw. Geschichte und Soziales bzw. Gesellschaftliches in den Blick. Dieses Hin und Her bestimmt die Struktur des Artikels und – mit Blick auf die anderen Bus- und Bahnfeuilletons – weite Teile ihres feuilletonistischen Schreibens über Berlin. Auch für Gröschner könnte dabei Porombkas These vom »Raster« der Bus- und Straßenbahnlinien zutreffen, das die unübersichtliche Großstadt »erzählbar« macht.[70] Ähnlich wie Tergit fährt Gröschner weite Teile dieses neuen, nach der Teilung so viel größeren, Rasters ab, um sich und ihren Lesern das schwer vorstellbare Nachwende-Berlin näher zu bringen. Gröschner beschreibt das Raster und damit Berlin. Sie beschreibt, was sie sieht, drinnen wie draußen. Und damit nicht nur die Geschichte und neue (Nachwende-)Erscheinung der Stadt, sondern auch ihre soziale Befindlichkeit, die neuen und alten (unsichtbaren) Grenzen, die neuen Wege, neuen Gesichter – und die alten. Christina Ujma beschreibt das Berlin der Gabriele Tergit in ihrem oben erwähnten Aufsatz als »city of contradictions, of non-simultaneity […] because past, present and future shape its cultural life«.[71] Dieses Urteil könnte, schaut man auf ihre Bus- und Bahnfeuilletons und die Beschreibungen Bienerts, auch für das Berlin Gröschners zutreffen. Entlang einer einzigen Straßenbahnlinie wird, auch mithilfe der Montage, bei der Wahlberlinerin diese Gleichzeitigkeit deutlich. Hier die altbekannten Straßenzüge, die persönliche und allgemeine geschichtliche Ereignisse wachrufen, im Bahninneren das Jetzt der so verschiedenen Fahrgäste, wiederum draußen auch das Morgen von Bauvorhaben, geplanten Linienerweiterungen, der ständige Wandel: »Die Henselmann-Türme«, heißt es in einem der letzten Absätze des Feuilletons über die in den 1950ern errichteten Zwillingstürme am Frankfurter Tor, »wirken in ihrer Renoviertheit fast ein bißchen deplatziert. Aber es wird nicht lange dauern, und sie werden wieder so grau sein wie vorher.«[72]

Der ständige Wandel Berlins – auch zum Ende des Feuilletons hin ist er greifbar.[73] Mit den letzten Zeilen ihres Artikels erinnert sich Gröschner, den Text rahmend, erneut an ihre Träume von der 20er-Linie. Und an einen wahr gewordenen Alptraum, an den tödlichen Sturz eines Dachdeckers. Schon am nächsten Tag, so Gröschner, sei vom Blutfleck nichts mehr zu sehen gewesen, die erinnernde Kerze habe der erste umherstreunende Hund umgeworfen. Auf den ersten Blick hat Berlin also nicht einmal einen Tag gebraucht, um den Vorfall, ja selbst die Erinnerung an diesen, zu tilgen. Umso mehr lohnt sich der zweite Blick, der, wie das Close Reading von Gröschners Feuilleton zeigt, einiges (Unsichtbares) zu Tage fördern kann – gerade wenn er aus Bus und Bahn geworfen wird. »Vielleicht«, lautet der letzte Satz des Texts, »hatte er [der Dachdecker] nur einen kurzen unaufmerksamen Moment der Straßenbahn hinterhergesehen.«[74] Jener Bahn, die den Berlinern in ihrer, erst recht nach dem Fall der Mauer, unübersichtlichen, schnelllebigen Stadt immerhin etwas Orientierung verschafft.

 

4. Fazit

Zumindest auf den Berliner Franz Biberkopf mag diese Behauptung schon Ende der 1920er-Jahre zutreffen. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis und der schwierigen Konfrontation mit seiner inzwischen so veränderten Heimatstadt findet er u. a. Halt in den Streckennetzen der Bahnen und Busse Berlins, die er sich im Verlauf des Romans immer wieder wie zur Beruhigung vor Augen führt.

Übersicht, Information und »Halt«: Diese Funktionen könnte man auch den vielen zum Teil mehrfach am Tag erscheinenden Zeitungen der Weimarer Republik zuschreiben – und, in Bezug auf die Darstellung der Stadt, vor allem dem Feuilleton. In seiner Arbeit über Robert Walsers »Jetztzeitstil« formuliert der Literaturwissenschaftler Peter Utz die These, dass sich das Bild Berlins gerade in den 1920er- und 30er-Jahren aus einer »Feuilletontopographie« zusammensetzt. Die Beschreibungen von FlaneurInnen und FeuilletonistInnen wie Walser und auch Tergit, die mit ihren kurzen literarisch-journalistischen Texten flexibel auf Veränderungen eingehen und »momentane Bilder [der Stadt] haltbar«[75] machen konnten, hätten die Darstellung der Hauptstadt maßgeblich geprägt.[76] Anfangs, so Wiebke Porombka, habe sich die literarische Beschreibung Berlins dabei vor allem auf Zentren wie den »Tiergarten, das Charlottenburger Schloss oder die Friedrichstraße« konzentriert. »[M]it der Etablierung des Nahverkehrs« aber seien »die Routen, mehr und mehr aber auch die Verkehrsmittel selbst zu denjenigen lokalen Topographien, die das Image der Stadt ausmachen und in die Identitätsvorstellungen eingeschrieben werden«, geworden.[77] Mit der fortschreitenden Verkehrsvernetzung der ständig wachsenden Stadt rücken nach und nach die alten Zentren aus dem Fokus der Aufmerksamkeit. So beschreibt es auch Döblin in seinem Geleitwort zu von Bucovichs Band. Auch für ihn sind es nicht die Sehenswürdigkeiten, die Berlin ausmachen, es ist das »Ganze« der Stadt, das ihr ein »Gesicht« verleiht. Und schon Döblin rät, wie oben gesehen, zur Bahnfahrt durch Berlin, um dieses »Ganze« in seiner Geschwindigkeit und Simultaneität zu erfahren.

Die »Vollblutfeuilletonistin«[78] Gabriele Tergit war in Bahnen und Bussen in Berlin unterwegs. Sie hat das »Raster« der Stadt bis in die Peripherie hinein befahren und beschrieben. Mit den auf der »Berlin-Seite« des Berliner Tageblatts erscheinenden Beschreibungen ihrer Fahrten, ihrer Eindrücke und Beobachtungen hat sie versucht, die Metropole in ihrer sozialen, kulturellen, historischen Vielschichtigkeit bzw. Segregation greifbar zu machen.[79] Ihre »Bus- und Bahn-Feuilletons« können in dieser Hinsicht durchaus als Reaktion auf die Frage der Darstellbarkeit Berlins verstanden werden. Das Close Reading ihres Artikels »Heimat 75 resp. 78« hat gezeigt, wie viele Facetten Berlins Tergit in ihrem Text u.a. mithilfe ihres atemlosen, stakkatohaften Stils, ihrer Montagetechnik, darzustellen vermag. Nicht nur die Größe der Stadt wird so in ihrem Artikel deutlich, nicht nur die andauernde Veränderung, das Tempo und die Betriebsamkeit, sondern auch die jeweilige Konsequenz.

Lassen sich Tergits Beobachtungen aus den Fenstern der öffentlichen Verkehrsmittel Berlins als eine Reaktion auf eine stadtbildliche »Ausnahmesituation« beschreiben, so trifft dies auch auf Annett Gröschners Feuilletons aus den Bussen und Bahnen der Metropole zu. Denn das »Nachwende-Berlin«, das die Journalistin seit vielen Jahren in ihren Artikeln beschreibt, stellt sich ähnlich unübersichtlich, ähnlich komplex und auf den ersten Blick »unbeschreiblich« dar wie die Stadt zur Zeit der Weimarer Republik. Gerade Berlin hat die drei Jahrzehnte andauernde Teilung Deutschlands zu spüren bekommen. Und gerade Berlin muss nach dem 9. November 1989 wieder zusammenfinden. Erneut befindet sich die Stadt im Wandel. Die sozialen, politischen, topografischen, aber auch logistischen Folgen dieses schwierigen Prozesses dokumentiert Gröschner literarisch oder besser: feuilletonistisch. »[W]riters in the 1990s«, schreibt Mossop,

have played a vital role in informing the public about the disparate aspects of life in the ›New Berlin‹ that was emerging during the post-Wende period. The rapid restructuring of the city, in particular, created a need for distinct impressions of the new German capital. Once again, the feuilletons’ central quality was their ability to tap into collective psyche and make a transitional era more transparent, and thus comprehensible to the reader.[80]

Um diese »Übergangszeit« und ihre Folgen greifbar zu machen, fährt Gröschner, wie schon Tergit zur Zeit der Weimarer Republik, die Verkehrsnetze Berlins ab, erkundet die neuen und alten Wege durch die wiedervereinte Stadt, die ähnlich wie in den 20er- und 30er-Jahren kein Zentrum bzw. gleich mehrere zu haben scheint. Doch macht sie dadurch nicht nur das »Neue Berlin« in seiner Gesamtheit etwas greifbarer, auf den »zweiten Blick« entdeckt sie, wie Tergit, auch die »unsichtbaren Grenzen« der Stadt und offenbart nicht nur, wie am Beispiel ihres hier analysierten Artikels klar wurde, die topografische, sondern auch die soziale Segregation Berlins. Nicht nur in ihrem »Programm«, nicht nur in diesem »zweiten Blick« bzw. dem »fahrenden Blick« lässt sich Annett Gröschner also mit Gabriele Tergit vergleichen. Auch in ihrer (Montage)-Technik, in ihrem Stil scheinen sich die beiden Autorinnen zu ähneln. Die feuilletonistische »Traditionslinie« zwischen den 20er- bzw. 30er- und den 90er-Jahren wurde schon mehrfach gezogen, vor allem in Hinsicht auf die inzwischen vielzitierten Flaneure wie Hessel und Co.[81] Umso interessanter ist die Beschäftigung mit dem anderen Blick auf Berlin, mit den Bus- und Bahnfeuilletons der Gabriele Tergit, deren Form der Stadtbetrachtung auch noch im heutigen Feuilleton, so bei Annett Gröschner, präsent ist.

 

[1] Gabriele Tergit: Heimat 75 resp. 78. In: Gabriele Tergit: Atem einer anderen Welt. Berliner Reportagen. Hrsg. von Jens Brüning. Frankfurt: Suhrkamp 1994, S. 26.

[2] Wiebke Porombka: Medialität urbaner Infrastrukturen. Der öffentliche Nahverkehr, 1870-1933. Bielefeld: transcript 2013, S. 121.

[3] Vgl. Michael Bienert: Die eingebildete Metropole. Berlin im Feuilleton der Weimarer Republik. Stuttgart: J. B. Metzler 1992, S. 4f. und S. 141f.

[4] Vgl. Frances Mossop: Mapping Berlin. Representations of Space in the Weimar Feuilleton. Bern: Peter Lang 2015, S. 133.

[5] Annett Gröschner: Hier beginnt die Zukunft, hier steigen wir aus. Unterwegs in der Berliner Verkehrsgesellschaft. Berlin: Berlin Verlag 2002, S. 87.

[6] So beispielsweise die Arbeiten von Eva-Maria Mockel, Juliane Sucker und Hans Wagener. Eva-Maria Mockel: Aspekte von Macht und Ohnmacht im literarischen Werk Gabriele Tergits. Aachen: Shaker 1996. – Juliane Sucker: »Sehnsucht nach dem Kurfürstendamm«. Literatur und Journalismus in der Weimarer Republik und im Exil. Würzburg: Königshausen und Neumann 2015. – Hans Wagener: Gabriele Tergit. Gestohlene Jahre. Göttingen: V&R Unipress 2013.

[7] Vgl. Christina Ujma: Gabriele Tergit und Berlin: Women, City and Modernity. In: Practicing modernity.  Hrsg. von Christiane Schönfeld Würzburg: Königshausen und Neumann 2006, S. 262-277. – Vgl. ebenfalls Frances Mossop: Berlin, S. 117-151.

[8] Karl Scheffler: Berlin – ein Stadtschicksal. Berlin: Erich Reiss Verlag 1910, S. 267.

[9] Bienert: Metropole, S. 3.

[10] Hier nimmt Scherpe explizit Bezug auf Volker Klotz’ Studie zur »erzählten Stadt«. Klaus R. Scherpe: Nonstop nach Nowhere City. Wandlungen der Symbolisierung, Wahrnehmung und Semiotik der Stadt in der Literatur der Moderne. In: Die Unwirklichkeit der Städte. Großstadtdarstellungen zwischen Moderne und Postmoderne. Hrsg. von dems. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1988, S. 129-152. – Hinzuzufügen ist, dass v.a. Klotz und auch Scherpe in ihren Arbeiten Romane bzw. längere Prosatexte untersuchen und nicht explizit die Feuilletons der Zeit. Scherpe wirft dabei u.a. einen durchaus kritischen Blick auf die Darstellung der Großstadt in Döblins Alexanderplatz.

[11] Scherpe: Nonstop, S. 130.

[12] Ebd., S. 69ff.

[13] Alfred Döblin: Geleitwort. In: Mario von Bucovich: Berlin. Berlin: Albertus Verlag 1928, S.8.

[14] Paul Morand: Geleitwort. In: Mario von Bucovich: Paris. Berlin: Albertus Verlag 1928, S. 10f.

[15] Ebd., S. 7.

[16] Ebd., S. 9.

[17] Ebd., S. 10.

[18] Ebd., S. 8.

[19] Von Bucovich: Paris, S. 10f.

[20] Alfred Döblin: Berlin Alexanderplatz. München: dtv 2009, S. 15-18. Die Trambahnfahrt greift auch Porombka in ihrer Arbeit über die Medialität urbaner Infrastrukturen auf: »Dominiert im ersten Abschnitt eine traditionelle Erzählweise, so setzt mit der Straßenbahnfahrt Döblins Montagetechnik ein, die als film-ähnlich arbeitendes Verfahren Wirklichkeitssegmente aneinanderfügt und auf diese Weise der schnellen Abfolge der Eindrücke, wie sie dem Subjekt in der durch Technisierung beschleunigten Wirklichkeit begegnen, mit einem adäquaten ästhetischen Prinzip begegnet.« Porombka: Medialität, S. 235.

[21] Ujma: Tergit, S. 265.

[22] Ebd.

[23] Porombka: Medialität, S. 379.

[24] Tergit: Heimat, S. 24.

[25] Überhaupt unterscheidet sich Tergit in ihrer beinahe rundum positiven Beschreibung der Berliner Verkehrsmittel (ausgenommen die »Biester« von Bussen) von manchen Zeitgenossen wie bspw. Joseph Roth. Interessant in dieser Hinsicht ist möglicherweise auch, dass Tergit hier aus Sicht der Berlinerin und nicht aus der der bzw. des Fremden schreibt. Mossop: Berlin, S. 122 und 129.

[26] Ebd., S. 27.

[27] Diese Ausdehnung wird gerade beim Betrachten der erwähnten Rahmenstruktur deutlich. Spricht die Erzählerin zunächst noch von »meiner Heimat«, ist zum Ende des Artikels die Rede von »unsere[r] Heimat«.

[28] Tergit: Heimat, S. 24.

[29] Ebd., S. 25.

[30] Ebd.

[31] Ebd.

[32] Mossop: Berlin, S. 139.

[33] »Oder Heimat Untergrundbahn. Von Oktober bis April jeden Morgen im Halbdunkel, von April bis Oktober Helle, vertrautes Gefährt, mittlerer gelber Nichtraucherwagen. Heitere grüne Kacheln am Potsdamer Platz, oben Primeln, Tulpen, Rosen, Nelken, Dahlien, Astern, ›Sommer, Winter, Herbst und Lenz, ist das eine Existenz?‹. Schwarze Kacheln am Kaiserhof, feine preußische Station. Rote am Bahnhof Friedrichstadt, rote Kacheln der Liebe. Gelbe, Gelbstern, Hausvogteiplatz. Kluger Erbauer der Untergrundbahn, verehrter Symbolist von 1910.« Tergit: Heimat, S. 25

[34] Ebd.

[35] Mossop: Berlin, S. 142. – Vgl. auch Bienert: Metropole, S. 140ff.

[36] Ebd. Hier ist zu erwähnen, dass sich Mossop an dieser Stelle auf Tergits Feuilleton »Liebeserklärung an diese Stadt« bezieht. Diese Beobachtung behält dennoch ihre Gültigkeit in Bezug zu dem hier behandelten Artikel.

[37] Tergit: Heimat, S. 25-26.

[38] Döblin: Geleitwort, S. 12. Döblin empfiehlt im Übrigen, mit dem Zug durch die Stadt zu fahren, um ihre Größe und Vielschichtigkeit zu erfahren. S. 9-10.

[39] Tergit: Heimat, S. 26.

[40] Ebd.

[41] Es handelt sich hierbei um eine, ebenfalls einmontierte, Anekdote aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, die noch einmal die Verbindung der Berliner mit »ihren« Verkehrsmittel unterstreichen soll.

[42] Ebd., S. 27.

[43] Porombka: Medialität, S. 239.

[44] Mossop: Berlin, S. 133.

[45] Vgl. auch Bienert: Metropole, S. 78ff.

[46] Noch deutlicher wird diese »soziologische Untersuchung« Tergits in ihrem Feuilleton »Eingewöhnen in Berlin«. Gabriele Tergit: Eingewöhnen in Berlin. In: Gabriele Tergit: Atem einer anderen Welt. Berliner Reportagen. Hrsg. von Jens Brüning. Frankfurt: Suhrkamp 1994, S. 13-17.

[47] Annett Gröschner: Stadtlandschaft. Bruchstücke. Straßenbahnfahrten. In: Dies.: Parzelle Paradies. Berliner Geschichten. Hamburg: Edition Nautilus 2008, S. 5-12.

[48] Ebd., S. 8.

[49] Ebd., S. 11.

[50] Bienert: Metropole, S. 212.

[51] Annett Gröschner: Bitte betreten Sie die Fahrbahn erst, wenn die Bahn in den Haltestellenbereich eingefahren ist. Ein Geleitwort durch das Liniennetz. In: Dies.: Zukunft, S. 14.

[52] So könnte auf Gröschner ebenfalls zutreffen, was Mossop über die von dem Historiker Karl Schlögel so benannte »topographisch zentrierte Geschichtsschreibung« Tergits bemerkt. Mossop: Berlin, S. 150f.

[53] Bienert: Metropole, S. 214.

[54] Gröschner: Geleitwort, S. 13.

[55] Das ausgewählte Feuilleton kann dabei beispielhaft für Annett Gröschners »Bus- und Bahnfeuilletons« stehen, für den hier vorgenommenen Vergleich mit Tergits Feuilleton spricht außerdem die ähnliche Länge der beiden Texte.

[56] Mossop macht diesen Ton bei einigen weiteren Feuilletonisten der 90er-Jahre aus, u.a. bei Alexander Osang. Mossop: Berlin, S. 194-195.

[57] »Vor allem nachts, wenn ›Latschenpaule‹ gegenüber zumacht, fängt ein reger Grenzwechsel [Wechsel der Straßenseite, über die Straßenbahngleise] an. Man wird zwar nicht erschossen, aber gefährlich ist es trotzdem.« Annett Gröschner: Wo Robinson die Seite wechselt. Von Westen nach Westen: Die Straßenbahnlinie 20 erkennt man auch mit geschlossenen Augen. In: Dies.: Zukunft, S. 64.

[58] Ebd.

[59] Hier ist besonders auf die titelgebende Anspielung auf Robinson Crusoe, aber auch auf das am Ende des Artikels eingefügte Zitat aus dem Gedicht »Weltende« von Jakob van Hoddis hinzuweisen. In anderen Feuilletons zitiert Gröschner Berlin-Flaneure wie Franz Hessel, Walter Benjamin oder Joseph Roth.

[60] Besonders bspw. in »Spazierfahrt eines Augenmenschen«, in: Gröschner: Parzelle Paradies, S. 44-47.

[61] Gröschner: Robinson, S. 65.

[62] Inzwischen ist die Strecke Nordbahnhof-Warschauer Straße realisiert worden. Allerdings verkehrt auf dieser Strecke heute die M10 und nicht mehr die 20.

[63] Mossop: Berlin, S. 195.

[64] Gröschner: Robinson, S. 65.

[65] Ebd.

[66] Diese kurzen unterhaltsamen Porträts ihrer Mitfahrer lassen sich im Übrigen mit den meist humorvoll-ironischen Artikeln der Tergit über diverse »Berliner Existenzen« vergleichen.

[67] Ebd., S. 67.

[68] So heißt es in dem genannten Artikel bspw.: »Die Linie 129 verkehrt von der Sonnenallee zum Roseneck. Das klingt fast, als wäre Berlin ein botanischer Garten im Nordosten Deutschlands. Wenn da nicht die Realität wäre. Die Sonne in der Sonnenallee ist nur ein Versprechen. In den Hinterhöfen des Gründerzeitviertels um den Hermannplatz scheint sie im Winter nicht einmal bis zu den Mülltonnen. Dafür verspricht die Kneipe ›Zur Sonne‹ Erholung beim Kegeln nach der Arbeit. Dabei wäre ein Solarium dem Namen angemessener. Aber Solarien sind eher etwas für Bezirke, deren Bevölkerung ein Drittel mehr verdient als der Durchschnitt Neuköllns. Die vornehmeren Bezirke befinden sich am Ende der Strecke, für die der Bus 129 im Berufsverkehr mehr als eine Stunde benötigt.« Gröschner: Kulturen. In: Zukunft, S. 160.

[69] Ebd.

[70] Porombka: Medialität, S. 239f.

[71] Ujma: Tergit, S. 265.

[72] Gröschner: Robinson, S. 67.

[73] Vgl. Mossop: Berlin, S. 194.

[74] Ebd., S. 68.

[75] Erhard Schütz: Gut, viel, billig, dazu noch schnell. Berlin und das Feuilleton – eine alte Liebe seit den zwanziger Jahren. Wie sich die Stadt in ihren Zeiten wiedererkennt. Eine Frühlingsbeobachtung. In: Erhard Schütz: Echte falsche Pracht. Kleine Schriften zur Literatur. Hrsg. von Jörg Döring und David Oels. Berlin: Verbrecher Verlag 2011, S. 260.

[76] Peter Utz: Tanz auf den Rändern. Robert Walsers »Jetztzeitstil«. Frankfurt: Suhrkamp 1998, S. 313.

[77] Porombka: Medialität, S. 392-393.

[78] Erhard Schütz: Bei der Zeitungshure. Joseph Roth in Berlin: eine Erinnerung an seine turbulenten Feuilletons – und die Zeitungswelt der zwanziger Jahre. In: Schütz: Pracht, Hrsg. von Döring und Oels, S. 287.

[79] Zu erinnern ist noch einmal an ihre Artikel »Eingewöhnen in Berlin« und »Liebeserklärung an diese Stadt«.

[80] Mossop: Berlin, S. 193.

[81] Ebd., S. 194f.

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