Anna Stöber: Hunting Out of Africa

Einleitung

Die Jagd nimmt heutzutage im Leben vieler Menschen lediglich einen geringen oder gar keinen Stellenwert ein, es gibt nur Wenige, die von Berufswegen jagen gehen – und Jagen als Freizeitaktivität gilt als Luxus, den sich nur die Wenigsten leisten. Ganz anders die Voraussetzungen in Kenia[1] zur Kolonialzeit, wo die Großwildjagd noch prinzipiell erlaubt war, es zahlreiche Berufsjäger gab und die Siedler sich hin und wieder auch mit der Waffe gegen Tiere zur Wehr setzten, die zur Bedrohung für Nutztiere oder Menschen wurden. Dieser Kontext bildet den Rahmen in Karen Blixens autobiografischem Roman[2] Out of Africa/ Den afrikanske farm[3], der 1937 gleichzeitig in England und Dänemark veröffentlicht wurde. Darin erzählt Blixen episodenhaft von ihren 13 Jahren als Kaffeefarmerin in Kenia zur Zeit der britischen Kolonialherrschaft, in denen sie nicht zuletzt ihre Leidenschaft für die Großwildjagd entwickelte und diese ein wichtiger Teil ihres Lebens in der Kolonie wurde.

Blixen – damals noch Dinesen – war im Dezember 1913 nach Ostafrika aufgebrochen, um am 13. Januar von Ihrem Verlobten Bror von Blixen-Finecke in Mombasa in Empfang genommen zu werden. Die beiden heirateten am nächsten Tag an Ort und Stelle und brachen dann zu ihrer neuen Farm nahe Nairobi auf.[4] Auf dieser wollten die beiden im Kaffeeanbau erfolgreich werden. Bald jedoch wurde zuerst die Ehe wieder geschieden und einige Zeit später musste Karen Blixen zudem die weitgehend ertraglose Farm verkaufen, die sie ohne Bror weitergeführt hatte. Vor diesem Hintergrund und dem des plötzlichen Todes ihres Weggefährten und Liebhabers Denys Finch-Hatton, sah Blixen sich 1931 gezwungen, nach Dänemark zurückzukehren.[5] Diese privaten Sorgen und Nöte geraten in der Erzählung jedoch in den Hintergrund, der Alltag als Kaffeefarmerin und die finanziellen Schwierigkeiten spielen in der Retrospektive eher eine untergeordnete Rolle. Der Fokus der Erzählung liegt vielmehr auf den Abenteuern, die Blixen auf ihrer Farm – dem selbsternannten Fleckchen Zivilisation inmitten der Wildnis[5] – erlebt. Besonders eindrucksvoll erscheinen dabei die zahlreichen Jagdszenen, wie auch der US-amerikanische Literaturwissenschaftler Simon Lewis feststellt: „While Blixen does very little as a farmer in the memoirs, her hunting experiences provide occasion for some of the most detailed and intense descriptions in the books [Out of Africa und Shadows on the Grass Anm. d. A.].“[6]

Auch wenn die Großwildjagd unter reichen Siedler_innen und Jagdtourist_innen sehr beliebt war, kann man annehmen, dass sie im Alltag selbst auf einer Farm in Kenia eher die Ausnahme denn die Regel war. Dennoch sind die Jagdszenen ein stetig wiederkehrendes Motiv in der Erzählung. Neben den tatsächlichen Jagdszenen finden sich außerdem viele Stellen im Buch, an denen auf das Jagen und dessen Stellenwert verwiesen wird. Die Jagd taucht also in unterschiedlichen Kontexten auf und erfüllt verschiedene Funktionen, die ich in dieser Arbeit herausarbeiten möchte. Ich werde dabei der Fragestellung nachgehen, inwiefern das Jagdmotiv in der Erzählung wie eine Art Prisma wirkt, in dem sich unterschiedliche soziale und kulturelle Strukturen und Machtverhältnisse brechen und betrachten lassen. Während bisher keine Arbeiten vorliegen, die sich explizit mit der Jagdthematik im Buch auseinandersetzen und das Thema lediglich in wenigen Publikationen peripher zur Sprache kommt, hat sich die Forschung doch umfassend mit den im Buch transportierten Herrschaftsansprüchen und -verhältnissen beschäftigt.

Es wurden, so scheint es, über die Jahre mit Bezug auf Out of Africa vor allem zwei Forschungsschwerpunkte ausgebildet. So wurden Buch und Autorin immer wieder darauf untersucht, inwiefern sie rassistische Gedanken oder Gesinnung übermitteln und die Kolonialzeit romantisieren. Diese Fragen entfachten mitunter leidenschaftliche Debatten und man kam zu sehr verschiedenen Bewertungen. Zum anderen waren es Blixens Frauenbild und ihre Darstellung von Geschlecht und Sexualität im Buch, die das Zentrum einiger wissenschaftlicher Publikationen bildeten, wobei sich hierbei mit Bezug auf das Jagdmotiv im Buch wenig Verwertbares finden ließ. Das mag auch daran liegen, dass dieses Thema eher an Blixens anderen, nichtautobiografischen Erzählungen abgehandelt wurde. Weitere geschlechtsspezifische Literatur bezieht sich zudem auf die Position der ‚weißen Frau in Afrika‘. In diesem Zusammenhang erschienen mehrere Bände, die Blixen und ihr Buch als eine von mehreren bekannten, in Afrika reisenden/siedelnden Frauen untersuchten – darunter u. a. Elspeth Huxley, Olive Schreiner und Beryl Markham.[7] Zudem taucht Karen Blixen, vor allem auch in Verbindung mit ihrem Ehemann Bror, in manchen jagdspezifischen Publikationen auf.[8] Diese Arbeiten sind unerlässlich für die Auseinandersetzung mit diesem Thema, da sie die nötigen Hintergrundinformationen bieten.

Während die Jagdszenen in der Forschung mehrfach als Schlüsselszenen des Buchs bezeichnet werden, wurde dieser Aspekt wie oben bereits erwähnt jedoch bisher nicht gesondert betrachtet. Da sich in ihm, so meine These, die eben genannten Forschungsschwerpunkte wie gender und race, aber auch Klassenzugehörigkeit oder Körperbilder sozusagen synthetisiert betrachten lassen, ist es meines Erachtens lohnenswert, das Jagdmotiv auf seine Funktionen in der Erzählung zu untersuchen. Dabei erscheint es mir sinnvoll, das Konzept der Intersektionalität als theoretischen Bezugsrahmen zugrunde zu legen, da es eine produktive Perspektive auf die verschiedenen Herrschaftsstrukturen auf der Farm und im kolonialen Kenia im Allgemeinen bietet. Ziel intersektioneller Ansätze ist es, Kategorien der Diskriminierung wie beispielsweise race, gender, class oder religion[9] nicht mehr gesondert voneinander oder additiv zu betrachten, sondern als in sich verwobene Parameter aufzufassen, in denen sich Herrschaftsverhältnisse brechen, konstituieren oder verändern können. Die Kategorien sind dabei nicht als starre Entitäten zu betrachten, sondern ebenso veränderbar wie die Verhältnisse, die sie bedingen. Durch die gemeinsame Betrachtung soll verhindert werden, dass einzelne Kategorien der Diskriminierung außer Acht gelassen werden.[10] Im hier betrachteten Kontext des kolonialen Kenias bietet sich die Intersektionalität als Herangehensweise an, weil dieser Handlungsort eine sehr heterogene Masse soziokultureller (Macht-)Geflechte vorweist, die durch eine intersektionelle Betrachtung der Ungleichheitskategorien analysiert werden können. Mir ist bewusst, dass das Konzept Intersektionalität sich weder klar eingrenzen lässt noch eine konkrete Methode beschreibt.[11] Es bietet jedoch eine produktive Perspektive auf die Jagdthematik im Buch mit ihren verschiedenen Funktionen und Ausprägungen und kann helfen, die verschiedenen Kategorien der Ungleichheit als verwoben zu betrachten und Gewichtungen möglichst zu vermeiden. Außerdem bietet die interdependente Betrachtung der Ungleichheitskategorien weiterhin die Möglichkeit, Aspekte herauszuarbeiten, denen in der bisherigen Forschung weniger Beachtung geschenkt wurde.

Dabei halte ich es für vorteilhaft, das Jagdmotiv in meiner Analyse anhand von drei zentralen Funktionen zu untersuchen, an denen ich jeweils herausarbeiten möchte, wie sich soziale und kulturelle Machtgefüge am Thema der Jagd brechen und inwiefern dieses dadurch einen wichtigen Dreh- und Angelpunkt in der Erzählung darstellt. Dabei werde ich zunächst auf die Jagd als Entgrenzungserfahrung eingehen, die es den Protagonistinnen erlaubt, zumindest zeitweise über ihre Grenzen (als Mensch, Frau, Inhaber_in einer bestimmten gesellschaftlichen Position…) erhaben zu sein. Im darauffolgenden Abschnitt möchte ich dann das Jagdmotiv als ordnendes Element in der episodenhaften sich über mehrere Jahre erstreckenden Erzählung betrachten und dabei vor allem seine Funktion als Motiv zeitlicher und gesellschaftlicher Ordnung herausarbeiten. Der letzte Teil soll sich schließlich der Jagd als Mittel der Abgrenzung widmen. Abgrenzung kann, so meine Annahme, durch verschiedene ‚Kategorien‘ der Ungleichheit erzeugt werden und sich in den Jagdszenen im Buch spiegeln.

In der Schlussbetrachtung möchte ich versuchen, diese drei Teiluntersuchungen zusammenführen und zentrale Erkenntnisse herauszustellen. Ebenso werde ich an dieser Stelle versuchen, Lücken und Grenzen meiner Untersuchung aufzuzeigen und daraus mögliche Fragestellungen für eine weitere Auseinandersetzung mit der Thematik zu formulieren.

© Federico Ghidinelli

I. Die grenzüberschreitende Funktion des Jagdmotivs

„Hunters cannot have their own way, they must fall in with the wind, and the colours and smells of the landscape, and they must make the tempo of the ensemble their own“ (OOA, S. 23) schreibt Blixen hinsichtlich der Komplexität der Jagd für ‚zivilisierte Menschen‘, da diese die genannten Fähigkeiten und vor allem auch die Fähigkeit, sich lautlos zu verhalten und keine abrupten Bewegungen zu machen, verloren hätten. Jäger_innen müssen also die durch die Zivilisierung erlernten Grenzen zur Natur überwinden, um zum Erfolg zu kommen.

Im oben zitierten Abschnitt wird beschrieben, welche Faktoren ein_e erfolgreiche_r Jäger_in beachten muss, um die Natur für das Vorhaben berechenbar zu machen. Es gilt eins zu werden mit der Natur und das Mensch-Sein zu überwinden, um letztlich die Natur mit der Waffe kontrollieren zu können. Neben dem erfolgreichen Anpirschen ist es letztlich vor allem die Waffe, die es für Menschen möglich macht, Lebewesen, denen sie sonst körperlich unterlegen wären, derart gefährlich zu werden. Diese Erfindung verleiht sozusagen als Erweiterung des Körpers übermenschliche Kräfte und erlaubt es dem Menschen, über die nicht selten bedrohliche Tierwelt erhaben zu sein. Besonders deutlich wird dieses ‚sich erheben‘ bei der im Buch zentralen Löwenjagd – die gefährlichste und für Blixen zugleich reizvollste Jagdform. Die als majestätisch beschriebenen Löwen werden in der Erzählung mehrfach zur Bedrohung für Mensch und (Nutz-)Tier, sie zu überlisten und zur Strecke zu bringen beschert gleichzeitig aber auch die größte Befriedigung und die begehrtesten Jagdtrophäen – ein Löwenfell schenkt Blixen sogar dem dänischen König Christian X. (Shadows, S. 306-308).

In der Jagd werden also zum einen die Grenzen des ‚normalen‘ menschlichen Verhaltens überwunden, indem man sich Verhaltensweisen von Tieren aneignet, um diese dann zu überlisten, und zum anderen wird der Körper des Menschen durch die Waffe künstlich aufgerüstet. Die Symbiose dieser beiden Aneignungen erlaubt es schließlich, über die Tierwelt erhaben zu sein. Annegret Heitmann hat diese Erhabenheit in ihrem Aufsatz „Landnahme in Karen Blixens Den afrikanske farm“ mit Bezug auf die Flugszenen im Buch und deren Machtästhetik analysiert. Mit Landnahme ist dabei die Eroberung einer Landschaft gemeint, wobei die Überlegenheit durch das optische Erfassen eines Gebiets aus der Luft erzielt wird, welches einen Angriff nicht ausschließt.[12]

So wird also auch die Jagd Teil beziehungsweise Ausdruck der Landnahme. Der Mensch benötigt die Hilfe eines Flugzeugs, um sich in die Vogelperspektive zu erheben, ebenso wie er_sie Waffen braucht, um zu jagen und sich in der Hierarchie der kenianischen Fauna über die gefährlichsten Raubtiere zu stellen. Wie Heitmann fortführend beobachtet, ist die Kolonisierung Kenias in Blixens Erzählung schon lange vollzogen, ebenso war das Land auch schon vor ihrer Zeit ein beliebtes Ziel für die ehrgeizigsten Großwildjäger_innen. Und dennoch bleibt die Jagd wie die Landnahme eine „[…] Faszination […], die Überlegenheitsgefühle und Gewaltphantasien nicht ausschließt“[13]. Diese Gefühle manifestieren sich auch in Karen Blixens richtiggehend ekstatischen anfänglichen Bestreben, ein Stück jeder Art vom afrikanischen Wild zu töten (OOA, S. 169) – ein Bekenntnis, das bezeichnenderweise direkt auf eine längere Flugszene mit Denys Finch-Hatton folgt und in eine Beschreibung ihres „private hunting-ground[s]“ (OOA, S. 161), der Ngong-Berge, eingebettet ist. Sie eignet sich dieses ihre Farm beherbergende Gebiet also auf zweierlei Art symbolisch an. Zum einen, indem sie mithilfe von Denys und seinem Flugzeug das Areal und die dort lebenden Tiere durch den Überblick von oben quasi kartographisch festhält und diese mentale Karte zum anderen um ihre wahrhaftige Kollektion erlegter Wildtiere erweitert. Dadurch erhebt sie sich nicht nur physisch in eine übermenschliche Position, sondern auch durch die gewaltsame Aneignung anderer Lebewesen. Aber nicht nur für das Verhältnis zur Flora und Fauna ihrer Wahlheimat ist das Jagdmotiv ein Indikator, sondern auch für die Beziehung zu den dort lebenden Masai und Kikuyu. So erlaubt Blixens Inszenierung der Jagd einen mehrschichtigen Blick auf ihr Verhältnis zur einheimischen Bevölkerung[14] und in diesem Zusammenhang eben auch auf die romantisierte Überhöhung der eigenen Person zur menschenfreundlichen weißen Retterin. Eine problematische und widersprüchliche Beziehung, setzte sie sich doch verhältnismäßig viel für das Wohl und die Rechte ‚ihrer‘ Siedler ein und gehörte dennoch zum an sich gewaltsamen Kolonialsystem.[15] Dem angesprochenen Abschnitt über die von Jäger_innen abverlangten Fähigkeiten, die Überwindung der Grenzen zur Natur, folgt die Aussage, dass „[w]hat I learned from the game of the country was useful to me in my dealings with the native people“ (OOA, S. 24), wodurch die Einheimischen in die Natur eingeschrieben und auf gleiche Ebene mit der Tier- und Pflanzenwelt gestellt werden.[16] Zwar überwinden sie dadurch im Text ebenso die Grenze zur Natur wie die jagende Erzählerin, im Gegensatz zu ihr wird den Einheimischen jedoch im Allgemeinen nicht das Potenzial zugeschrieben, die nötigen Fähigkeiten zu erlernen, die Natur in Schach zu halten und von ihr zu profitieren. Ganz so, als wären ihnen diese Kompetenzen mit der Kolonisierung ebenso abhandengekommen wie das Land, auf dem sie nun von der britischen Administration lediglich noch geduldet werden. Zur Jagd brauchen die Einheimischen oftmals die Hilfe der Farmerin. So wird sie hin und wieder von den in der Nähe lebenden Masai gebeten, Löwen zur Strecke zu bringen, die ihr Vieh reißen und zudem jagt Blixen Zebras als Nahrung für die Arbeiter auf der Farm (OOA, S. 22). Das ist einerseits Ausdruck ihrer Zuneigung für die Menschen auf der Farm und zeigt, dass sie sich um sie sorgt – das war nicht unbedingt die Regel unter den europäischen Farmer_innen – und dennoch beschreibt diese Darstellung die Einheimischen als schwach und nicht in der Lage, für die Sicherheit der Nutztiere und die eigene Nahrung zu sorgen. Die Erzählerin geht als gutmütige, liebende Mutterfigur aus ihren Schilderungen hervor und genau darin sieht Ngũgĩ wa Thiong’o, einer ihrer schärfsten Kritiker, der ihr auch Rassismus anlastet, die Gefahr: „The racism in the book […] is persuasively put forward as love. But it is the love for a horse or for a pet.“[17] Eine Anklage, die sich auf die verschiedenen Tiervergleiche im Buch bezieht und vor allem auch auf die Aussage, Blixen habe vom Umgang mit den Wildtieren auf der Jagd viel über den Umgang mit den einheimischen Menschen gelernt. Lasse Horne Kjældgaard entgegnet mit Bezug auf einen anderen Artikel, der Blixen des Rassismus bezichtigt, dass sie die Tiermetaphorik ebenso für sich selbst benutze und diese zudem stets positiv konnotiert sei. Im Übrigen könne man ihr in diesem Zusammenhang, wenn überhaupt, Primitivismus oder Animalismus, nicht aber Rassismus vorwerfen.[18] Wenngleich Ngũgĩs These reichlich unerbittlich erscheint, so wäre es meines Erachtens zu einfach, diese Passagen mit Berufung auf die gute Intention Blixens als vollkommen harmlos einzustufen. Die einheimische Bevölkerung ist – und das wird schon allein darin deutlich, dass Blixen von den Tieren lernen muss, mit den Menschen umzugehen – in der Erzählung als das exotische ‚Andere‘ rassistisch markiert und steht damit unüberwindbar jenseits der Grenze zu Blixens eigener Realität. Die Güte, durch welche die Erzählerin sich selbst charakterisiert, verschleiert die Alterität, die sie in den eben angesprochenen Passagen festschreibt. Zudem darf nicht unterschätzt werden, in welchem Maße die romantisierten und exotisierten Beschreibungen Blixens das Bild Afrikas in Skandinavien, aber auch anderen Teilen Westeuropas geprägt und verklärt haben.

Gerade mit Bezug darauf, dass sie den einheimischen Siedler_innen eine Art jagdliche Instanz ist, gerät mitunter in den Hintergrund, dass Blixen selbst oft auf ihre männlichen Begleiter angewiesen ist, wenn es um die Jagd geht. Sie hatte, wenngleich es in ihrer Familie viele leidenschaftliche Jäger gab, vor ihrem Aufenthalt in Kenia keinerlei Jagderfahrung gesammelt. Es war ihr Mann Bror, der sie in Kenia schließlich in die Jagd einwies, ihr alles nötige Wissen beibrachte und ihr auch eine eigene Waffe schenkte.[19] Später wurde dann ihr Liebhaber Denys Finch-Hatton ihr Mentor. Mit ihm ging sie auf zahlreiche Safaris und er unterstützte sie dabei, ihr Jagdwissen weiter zu vertiefen.[20] Die beiden verhalfen ihr damit dazu, als eine der ersten weiblichen Großwildjägerinnen in die Geschichte einzugehen. Damit übertritt sie als eine der ersten die Grenze zu der Männerdomäne, die die Jagd damals wie heute darstellt. Sie begibt sich damit in einer Vorreiterinnenrolle und stellt Afrika „[…] as an empowering space for women […]“[21] dar, wie Gillian Whitlock findet. Diesen Eindruck erweckt nicht nur das Jagen, sondern auch Blixens Funktion als Farmbesitzerin und Unternehmerin. Auf den ersten Blick werden dadurch in der Erzählung viele klassische Rollenstereotype infrage gestellt. Die Jagd bietet dabei scheinbar nicht nur die Möglichkeit, in ein bis dato Männern vorbehaltenes Feld einzudringen, sondern auch die Freiheit, selbst Teil dessen zu werden und gender-Grenzen zu überwinden.[22] Das geschieht zum Beispiel in den Szenen mit Erzählungen über ihre frühen Jagderlebnisse in Kenia, als sie sich noch bedingungslos in der Rolle ‚des Jägers‘ wiederfand. In diesen Szenen kommen dann nämlich keine ebenbürtigen Jäger vor, die einzigen Männer die anwesend sind, sind ihre „safari-servants“, die Hilfsarbeiten wie das Tragen des Gewehrs ausführen, jedoch niemals zum Wesen der Großwildjagd vorstoßen: dem tödlichen Schuss (OOA. S. 22f). Umso verwunderlicher erscheint es, dass die Autorin Blixen sich später von der Frauenbewegung distanzierte und jungen Frauen dazu riet, zu ihrer Weiblichkeit zurückzukehren.[23] Aber auch die Erzählerin Blixen kehrt in ihre angestammte Rolle als Frau zurück, etwa immer dann, wenn sie die Jagd mit Denys Finch-Hatton beschreibt. Er stellt den Archetyp des Jägers dar und die Erzählerin wird in seiner Gegenwart buchstäblich schwach.

In einer Szene, eine spontane Löwenjagd, zögert die sonst so schießfreudige Blixen aus Angst vor dem Rückstoß von Finch-Hattons Gewehr und muss erst von ihm dazu ermuntert werden, den zweiten der beiden Löwen dann doch selbst zu erlegen (OOA, S. 162). In der nächsten Szene treiben zwei Löwen ihr Unwesen auf der Farm und Blixen und Finch-Hatton gehen in der Nacht hinaus, um die Tiere zu erschießen. Dabei geht Denys Finch-Hatton mit der Waffe voran und Karen Blixen läuft hinter ihm und hält die Taschenlampe, wodurch sie einerseits die untergeordnete Rolle eines ‚sarafi-servants‘ einnimmt und andererseits in klassischer Rollenmanier hinter dem Mann zurücktritt (OOA, S. 165f). In diesen Szenen wird erkennbar, dass Blixens Selbstinszenierung als Großwildjägerin eine Strategie mit Lücken ist und dass Whitlocks oben genannter These von Afrika als befähigendem Ort für Frauen mit Bezug auf die Jagd nicht ausnahmslos zugestimmt werden kann. Vielmehr scheint es so, dass der Ort zwar insofern befähigend ist, als die Jagd für Blixen möglich wird, diese Befähigung wird jedoch dadurch eingeschränkt, dass sie dabei oft auf Männer angewiesen bleibt. Die Grenzüberschreitung, die die Jagd bedeutet, bleibt selbst begrenzt.

Neben der Kategorie Geschlecht im Sinne von gender kommt in der zweiten Jagdszene mit Finch-Hatton auch die Komponente der Körperlichkeit zum tragen. So schreibt Blixen nach der erfolgreichen Jagd: „In our hunt we had been a unity and we had nothing to say to one another.“ (OOA, S. 167) Diese Stelle legt nahe, dass in der Jagd der Liebenden die Grenze zwischen ihren beiden Körpern aufgehoben wurde und sie zu einer Einheit verschmolzen. Damit überschreibt Blixen die vorangegangene Trennung zwischen erfolgreichem Jäger und untergeordneter Begleiterin und macht sich selbst zum Teil des Jägers. In dieser stilisierten körperlich/sexuellen Vereinigung werden die Geschlechtergrenzen scheinbar wieder aufgehoben. Also fungiert das Jagdmotiv im Buch in unterschiedlicher Hinsicht als Mittel der Grenzüberschreitung, mit dem sich wechselwirkende Barrieren in der Erzählung aufweichen lassen. So wird es dem_der erfolgreichen Jäger_in in der Jagd möglich, durch die erlernten Fähigkeiten Teil der Natur zu werden und sich in einem weiteren Schritt über sie zu erheben. Auch die Einheimischen werden in die Natur eingeschrieben, sind aber im Gegensatz zum_zur Jäger_in nicht in der Lage, sich über diese zu erheben, sondern brauchen dazu die Hilfe der Erzählerin. Damit werden hier nicht nur die Grenzen des Menschen zur Natur aufgehoben, sondern gleichzeitig zwischen den europäischen und den einheimischen Siedlern festgeschrieben. Darüber hinaus erlaubt die Großwildjagd der Erzählerin, in eine Männerdomäne einzudringen und die Geschlechtergrenzen zeitweise zu unterwandern. Diese Überschreitung wird jedoch in Anwesenheit eines männlichen Jägers wieder aufgehoben.

II. Die Jagd als Element zeitlicher und gesellschaftlicher Ordnung

Die Jagd fungiert im Buch zudem als Element zeitlicher und gesellschaftlicher Ordnung. An der Art und Weise der Jagd lässt sich in der Erzählung die Zeit ablesen und werden gesellschaftliche Veränderungen sichtbar. So wird der Tod ihres Freundes Berkeley Cole von Blixen als Wendepunkt oder gar Epochengrenze in der kolonialen Aristokratie und damit auch der Jagd inszeniert. „When Berkeley lived“ und „Since Berkeley died“ (OOA, S. 158) werden zu Zeitausdrücken, Coles Tod zum historischen Ereignis und zum feststehenden Begriff. An die Zeit „[w]hen Berkeley lived“ ist auch eine andere ‚Epoche‘ der Großwildjagd gekoppelt, denn „Up to his death the country had been the Happy Hunting Grounds, now it was slowly changing and turning into a business proposition.“ (OOA, S. 158) Berkeley Cole, „the noble Pioneer“ (OOA, S. 150), gehörte der frühen Generation von Siedlern in der Kolonie an (OOA, S. 154), die eine bis dahin von europäischen Siedlern überwiegend verschont gebliebene Landschaft vorfanden. Dazu gehörten auch die Tiere, die in ihrem natürlichen Habitat zunächst die „Happy Hunting Grounds“ der ersten Siedler darstellten. Dass das sich seit Berkeley Coles Tod geändert hat zeigt, wie sich an dem Motiv der Großwildjagd im Buch die Umbrüche in der Kolonie ablesen lassen. Waren es in der frühen Phase der Kolonisierung Kenias vor allem hocharistokratische Europäer (vornehmlich Briten), die als Siedler oder lediglich zum ‚Jagdsport‘ in die noch junge Kolonie kamen und so viel Wild wie nur möglich erlegten, änderte sich dies unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs. Der Adel hatte in Europa an Bedeutung verloren und diese Entwicklung drang auch in die Kolonien durch, in die vermehrt ‚Geldadel‘ strömte – nicht zuletzt, um auch am lukrativen Safarigeschäft teilzuhaben. In dieser Zeit etablierten sich dann auch die ersten professionellen Großwildjäger, die – wie auch Denys Finch-Hatton und Bror Blixen – zahlende Jagdtouristen auf luxuriös geplante Safaris begleiteten oder für Auftraggeber auf die Jagd gingen. Und auch der Ethos der Jagd begann sich zu wandeln – der schiere ‚Blutrausch‘ der frühen Tage wich einer verhältnismäßig bewahrenden Einstellung zur Jagd. Strukturell verstärkt wurde diese Entwicklung durch die ersten Wildhüter in der 20er Jahren, die sich erstmals der Jagdregulierung widmen sollte. Diese Fortschritte führten jedoch nicht unbedingt dazu, dass weniger Tiere erlegt wurden oder sich die Populationen gar regenerierten.[24]

Blixen schreibt also mit Bezug auf Berkeley Coles Tod, dass das Land vorher ein fröhlicher Jagdgrund gewesen sei und sich dieser Zustand nach seinem Tod langsam verändert und sie schreibt weiter: „some standards were lowered when he went: a standard of wit, as it was soon felt – and such thing is sad in a colony; a standard of gallantry – soon after his death people began to talk of their troubles; a standard of humanity.“ (OOA, S. 158) An dieser Stelle lässt sich ablesen, wie sich die Klassenverhältnisse in der Kolonie änderten und die Erzählerin über diesen Umstand eine Priorisierung des vermeintlich hochmütigen, alteingesessen Adels vornimmt, zu dem sie sich auch selbst zu zählen scheint. So ließ sie sich auch noch nach der Trennung von allen (außer ihrem nächsten Umfeld) mit ‚Baroness‘ ansprechen, obwohl sie diesen Titel erst durch die Ehe mit Bror Blixen erhalten hatte.[25] Wenn man davon ausgeht, dass mit diesem Standesbewusstsein auch ein gewisser Anspruch auf Land und Tier einhergeht – sie sogar, wie Peter O. Stummer anmerkt, in feudaler Manier das Gebiet rund um ihre Farm, zu dem auch die Ngong Berge gehören, indirekt zu ihrem „private hunting ground“ erklärt[26] – wird deutlich, dass ihr die gesellschaftliche Öffnung nicht ganz einerlei gewesen sein dürfte. Denn die ‚neue Ordnung‘ wird für Blixen auch an ehemals vermeintlich privaten Jagdgründen ablesbar:

When the colony prospers and the capital, Nairobi, grows into a big city, the Ngong Hills might have made a matchless game park for it. But during my last years in Africa many young Nairobi shop-people ran out into the hills on Sundays, on their motorcycles, and shot anything they saw, and I believe that the big game will have wandered away from the hills […] (OOA, S. 17)

Diese leicht abfällige Aussage über die neue Generation Geschäftsleute verschleiert, dass auch Blixen selbst zu Beginn ihrer Zeit in Kenia einem regelrechten ‚Blutrausch‘ verfiel und „[…] could not live till [she] had killed a specimen of each kind of African game […]“ (OOA, S. 169). Den jungen shop-people, also Gechäftsleuten aus der Stadt, spricht sie dieses Recht jedoch ab und verurteilt ihr Jagdverhalten implizit. Damit stuft sie die neureichen Siedler_innen der Kolonie herab und markiert sie als Störenfriede auf Motorrädern, die in die von Blixen reichlich romantisierte ‚alte Ordnung‘ der Kolonie eindringen. Dass sie als Besitzerin einer Kaffeefarm letztlich auch ein Teil der Geschäftswelt ist, gerät dabei in den Hintergrund. Während inflationäres Jagen von Großwild in der ‚guten alten Zeit‘ eine Idealisierung erfährt, wird diese Aktivität, so sie vom neureichen ‚Geldadel‘ ausgeführt wird, abgewertet. Für diese Zuordnung spielen mehrere Kategorien eine zentrale Rolle. Zum einen ‚Klasse‘, wobei diese in zwei Unterkategorien geteilt werden muss, da Klasse in diesem Fall zum einen durch ökonomisches Kapital und zum anderen durch den Stand, also das Tragen von Titeln beeinflusst wird. Als dritte Unterkategorie von ‚Klasse‘ ließe sich eine Art symbolisches Kapital einführen, welches sich u. a. in Umgangsformen, also gesellschaftlichen Codes niederschlägt. So zum Beispiel der eben zitierte und von Karen Blixen beklagte Verfall von Standards. In der Erzählung stehen in diesem Geflecht Titel und Umgangsformen über ökonomischem Kapital. Eine andere Kategorie ist die des Alters, eng verbunden mit der Ebene der Zeit, wobei Berkeley Cole für das Alte steht, obwohl er verhältnismäßig jung starb. Die shop-people hingegen werden als jung charakterisiert und stehen für eine Unheil bringende neue Epoche. Da ein Hauptinteresse der Jagd für Blixen laut Simon Lewis „[…] is one that is bound up with class snobbery and self-aggrandizement“[27], verliert diese durch die gesellschaftlichen Umbrüche für Blixen ihren Reiz. Sie gibt an, in den späteren Tagen ihres Aufenthalts weniger Verlangen danach gehabt zu haben, Tiere zu schießen, sie habe ihr Interesse vielmehr der Beobachtung von Tieren zugewandt (OOA, S. 169). Diesen Sinneswandel begründet sie in ihrem anderen, später erschienenen autobiografischen Roman Shadows on the Grass mit ethischen Bedenken. Während sie in den letzten Jahren ausschließlich zur Nahrungsbeschaffung auf die Jagd gegangen sei, blieb die Löwenjagd für sie bis zuletzt unwiderstehlich (Shadows, S. 306). Wenngleich die Erzählerin die ethische Komponente betont, ist davon auszugehen, dass die Jagd nicht zuletzt dadurch ihren Reiz verlor, dass sie mit der Ausübung durch nicht ‚standesgemäße Neuankömmlinge‘ letztlich den Charakter einer großbürgerlichen Traditionsaktivität einbüßte. Die Löwen hingegen sind es als Könige der Tiere weiterhin wert, von der ‚Baroness‘ gejagt zu werden. In der Löwenjagd wird sozusagen die alte Ordnung temporär wiederhergestellt.

© Federico Ghidinelli

III. Jagd als Mittel der Abgrenzung

Während ich in den vorangegangenen Abschnitten das Jagdmotiv in Out of Africa auf seine grenzüberschreitende und ordnende Funktion untersucht habe, möchte ich es nun noch im Hinblick auf seine abgrenzende Bedeutung betrachten. Da sich diese drei Funktionen nicht immer klar voneinander trennen lassen und die Jagd an mancher Stelle im Text abgrenzend, aber eben auch grenzüberschreitend oder ordnend auftritt, wird es zu Überschneidungen mit den ersten beiden Abschnitten kommen. Denn was ‚ordnend‘ ist, wirkt in bestimmten Maße immer auch abgrenzend. Dieser Umstand lässt sich auch als Indiz dafür werten, wie sich an den jagdlichen Motiven des Buchs die in sich verwobenen und mitunter widersprüchlichen Machtverhältnisse brechen. Es wird zudem deutlich, wie ambivalent und uneindeutig die Aussagen und Erzählstrategien Blixens mitunter sind und wie weit dadurch das Feld für mögliche Interpretationen gespannt wird.

Ich bin schon im ersten Abschnitt darauf eingegangen, inwiefern sich das Verhältnis zwischen Erzählerin und Einheimischen in der Jagd spiegelt. Beide überschreiten die Grenze zur Natur. Die Erzählerin zeigt sich dabei als aktiv, indem sie sich bei der Jagd die Regeln der Landschaft und der Tiere anzueignen versucht, um Teil von ihnen zu werden und sie schließlich täuschen zu können. Indem sie dieses erlernte Verhalten im Umgang mit der einheimischen Bevölkerung anwendet, wird diese von ihr in die Natur eingeschrieben. Schon die Aktivität der Erzählenden versus betonte Passivität der Einheimischen zeigt, mit welcher Strategie Blixen die Ungleichheit zwischen sich und ‚den Anderen‘ in dieser Passage erschreibt und sich damit von der vor Ort lebenden Bevölkerung abgrenzt. Im überwiegenden Teil der Jagdszenen ist nur von den europäischen Jägern die Rede. Blixen stellt sich damit bewusst oder unbewusst über die Einheimischen, verschleiert dies jedoch, indem sie auch zwischen Jäger und Safarihelfer „[…] det harmoniska samförståndet mellan herre och slav […]“[28] inszeniert. Dieses Machtgefälle manifestiert sich auch in der Beschreibung des somalischen Gewehrträger Ismail, „[who] had been brought up by the great old big-game hunters of the beginning of the century, when all Africa was a real deer-park. His acquaintance with civilisation was entirely of the hunting fields […]“. (OOA, S. 58) Ismail wird also einerseits von den Großwildjägern aufgezogen, wodurch eine Eltern-Kind- Beziehung entsteht, und andererseits bedeutet diese Erziehung seine einzige Berührung mit der ‚Zivilisation‘. Dadurch wird in diesem Zitat deutlich die Grenze zwischen den Kolonisatoren und dem Kolonisierten, den es zu zivilisieren gilt, gezogen.

Blixen spricht auch in dieser Szene voller Anerkennung von der Gruppe der ‚great old big-game hunters‘. Es erscheint dann in einem etwas anderen Licht, dass die erst in Afrika durch ihre Heirat geadelte Blixen erst dort zur Jagd findet. Sie, die in Dänemark nicht jagen wollte, findet in Kenia eine zeitweise Erfüllung darin. Eine Entwicklung, die sich auch als Abgrenzung zu ihrer bürgerlichen Herkunft lesen lässt. Blixen lebt auf der Farm in der Kolonie ihren aristokratischen Traum[29] und täuscht damit in der Erzählung lange darüber hinweg, dass die berühmte ‚Farm in Afrika‘ im Grunde eine bittere Verlustgeschichte war. Diese Abgrenzung von der eigenen Realität geschieht vor allem auch durch die von Peter O. Stummer so genannte „Safari-Perspektive“[30], die das Buch über weite Strecken zu einem Abenteuer- und Sehnsuchtsroman macht. Gerade in der ersten Hälfte des Buchs streut Blixen immer wieder kurze oder längere Jagdbeschreibungen ein, die dann etwa in der Mitte des Buches in der Löwenjagd mit Denys Finch-Hatton ihren Höhepunkt finden (OOA, S. 160-167). Kurz darauf folgt das Kapitel „From an Immigrant’s Notebook“, welches gut dreißig, teils nur eine oder wenige Seiten lange Kurzgeschichten enthält. In diesem Abschnitt finden sich fast keine Jagdszenen mehr und auch die vorherige Struktur des Buches, die sich durch jeweils längere, ausführliche Szenen auszeichnet, wird in dieser schlaglichtartigen Kollektion kurzer Anekdoten ausgesetzt. Dieses vierte Kapitel wird nur noch gefolgt vom abschließenden fünften Kapitel: „Farewell to the Farm“. Damit gelingt es Blixen bis zum Höhepunkt im dritten Abschnitt immer wieder, sich durch das Jagdmotiv und die damit verbundenen Abgrenzungsmechanismen von der drohenden Katastrophe fern zu halten. Diese Strategie funktioniert so lange, bis sie mit der Schilderung der gefährlichen Löwenjagd ihr erzählerisch eindrucksvollstes Mittel ‚verschießt‘ und sich gleichzeitig Ungereimtheiten in die Fabel von Blixen als der selbstständigen und erhabenen mutigen Jägerin mischen. Damit scheint das Jagdmotiv als Symbol von Überlegenheit und Klasse ausgeschöpft und danach folgt, verzögert durch die kurzen Geschichten in „From an Immigrant’s Notebook“, das dramatische Finale mit dem Abschied von der Farm im fünften Kapitel. Dabei wirken die zahlreichen ‚Miniszenen‘ im vierten Kapitel wie eine Sammlung von Erinnerungen, mit denen die Erzählerin die Jahre auf der Farm vor dem ernüchternden Schlussakt noch einmal Revue passieren lässt. Da vorher die Administration der Farm in der Erzählung eine untergeordnete Rolle gespielt hat, wird erst im fünften und letzten Abschnitt in vollem Ausmaß deutlich, wie schlecht es um das Unternehmen steht. Die Entscheidung, nach Dänemark zurückzukehren und die Farm aufzugeben, fällt dann etwa in die gleiche Zeit mit Denys’ Tod durch einen Flugzeugabsturz. Mit Denys Finch-Hatton stirbt gewissermaßen auch die Verkörperung der Safari und damit endet auch Karen Blixens Safari-Abenteuer in Kenia.

Das Jagdmotiv zeigt also auf, wie Blixen sich von ihrer eigenen Realität abzugrenzen versucht. So nutzt sie es etwa, um ihrem Klassenbewusstsein Ausdruck zu verleihen, indem sie sich in die Tradition der hocharistokratischen frühen Großwildjäger einschreibt und damit eine Grenze zu ihrer bürgerlichen Herkunft zieht. Mit dieser Inszenierung geht zudem die als einträchtig getarnte subtile Grenzziehung zu den letztlich rassistisch markierten Einheimischen einher, die an der Jagd lediglich in einer dienenden Funktion teilhaben können, oft aber gar nicht vorkommen. Letztlich lenkt diese ‚Safari-Perspektive‘ und die Überhöhung der eigenen Person von der desolaten Situation der Farm und ihrer Besitzerin ab. Als das Schicksal dann schließlich besiegelt ist, wird auch das Jagdmotiv abgelöst. Blixen wird, nicht zuletzt durch Denys Finch-Hattons Tod, von der bitteren eigenen Realität eingeholt.

Schlussbetrachtung

Zusammenfassung der Ergebnisse

Am Anfang meiner Arbeit stand die Frage, inwiefern sich am Jagdmotiv in Karen Blixens autobiografischen Roman Out of Africa soziale und kulturelle Machtgefüge brechen und in einem weiteren Schritt auch beschreiben lassen. Ich bin in der Analyse dann von drei Funktionen der Jagd ausgegangen, anhand derer ich die Bedeutung dieses Motivs für die Erzählung herausgearbeitet habe.

Im ersten Teil habe ich die Jagd als Instrument der Grenzüberschreitung betrachtet, bei der der_die Jäger_in durch erlerntes Verhalten und mithilfe der Waffe Teil der Natur wird und die Grenze der eigenen körperlichen Kräfte überwindet. Dadurch wird es dann möglich, sich über Landschaft und Tiere zu erheben und diese in der Jagd unter Kontrolle zu bringen. Diesen Vorgang habe ich mit Bezug auf Annegret Heitmanns These der Landnahme als eine ebensolche symbolische Aneignung eines Territoriums interpretiert. Zu diesem Territorium gehören in gewissem Ausmaß auch die einheimischen Siedler, die Blixen in die Natur einschreibt und die dadurch gleichsam zu Eroberten werden. Blixen erhebt sich in der Inszenierung der Jagd jedoch nicht nur über ‚Land und Leute‘, sondern auch über geltende Geschlechterkonventionen, da die Jagd ein vorwiegend männlich dominiertes Feld darstellt. Dies steht gleichzeitig aber im Gegensatz zu der Hilfe, die auch sie immer wieder von ihren männlichen Begleitern bei der Jagd benötigt. Im Zusammenspiel mit ihnen kehrt sie in die weibliche Rolle zurück. Die ‚Vereinigung‘ mit Denys Finch-Hatton bei der Löwenjagd lässt sich als Überwindung der eigenen Körpergrenzen oder als Metapher sexuellen Begehrens und damit wieder als Überwindung gesellschaftlicher Konventionen lesen.

Der nächste Abschnitt galt der Jagd in ihrer Funktion als Element zeitlicher und gesellschaftlicher Ordnung. Dabei habe ich dargelegt, inwieweit sich Blixens Klassenbewusstsein mit Bezug auf verschiedene zeitliche Abschnitte an ihrer Jagdaktivität brechen. Mit den gesellschaftlichen Umbrüchen der Zeit geht außerdem die Einteilung von Blixens Aufenthalt in ein überhöhtes „Damals“ und die von Veränderung gekennzeichnete Jetztzeit einher.

Im letzten Teil habe ich dargelegt, inwiefern in den Jagdszenen wiederum gezeigt wird, wie die Ungleichheit zwischen den (Großwild-)Jäger_innen und den einheimischen Safari-Helfer_innen generiert und eine ‚natürliche‘ Grenze manifestiert wird. Des Weiteren habe ich versucht herauszuarbeiten, wie die sogenannte ‚SafariPerspektive‘ von Blixen genutzt wird, um sich einerseits von ihrer bürgerlichen Herkunft und andererseits ihrer insgesamt schwierigen persönlichen Situation erzählerisch abzugrenzen.

Ich komme also mit dieser Analyse zu dem Schluss, dass das Jagdmotiv in Karen Blixens Out of Africa sich durchaus eignet, um daran die ambivalenten sozialen und kulturellen Machtverhältnisse in der Erzählung abzulesen und darüber hinaus aufzuschlüsseln, mit welchen Strategien die Erzählerin versucht, sich selbst und anderen in ihrer Geschichte bestimmte Positionen zuzuweisen.

Ausblick

Wie schon in der Einleitung angemerkt, existieren bis dato keine Arbeiten, die sich spezifisch mit dem Jagdmotiv in Out of Africa auseinandersetzen. Ebenso ist die Literatur, die auf die Jagdszenen im Buch peripher eingeht, relativ spärlich gesät. Daraus ergibt sich eine Fülle von Themen mit Bezug auf die Jagd, die für eine zukünftige Auseinandersetzung mit dem Motiv von Interesse sein könnten.

Ich habe in dieser Arbeit einen weitgehend allgemeinen Ansatz gewählt, der es erlaubt hat, auf viele unterschiedliche Aspekte der Jagd in der Erzählung einzugehen. Ebenso wäre es jedoch denkbar, die Einzelaspekte gesondert und somit auch erschöpfender zu untersuchen.

So bin ich im ersten Abschnitt auf die Projektionen von Geschlecht und Körperbildern eingegangen, die sich für mich vor allem in den Jagdszenen mit Denys FinchHatton ablesen ließen. Ich denke, dass diese Felder aber auch alleine betrachtet Stoff für eine weitere, ergiebige Auseinandersetzung mit der ambivalenten Inszenierung von Körper und Geschlecht in der Jagd bieten. Ebenso bieten die Jagdszenen einen Ansatzpunkt für eine noch weitaus differenziertere Diskussion des Verhältnisses zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten. Dabei könnte sich in der Analyse das Heranziehen von Texten aus der Postkolonialen Theorie eignen, um bestimmte Strategien, Sprecher_innenpositionen etc. herauszuarbeiten. Dadurch ließen sich vielleicht auch Rückschlüsse auf die teils recht unkritische Rezeption von Out of Africa ziehen, die sicherlich nicht zuletzt mit der romantisierenden ‚Safari-Perspektive‘ zusammenhängt. Eine Herangehensweise, die für meine in Teilen fast schon kulturwissenschaftliche Arbeit eher eine untergeordnete Rolle gespielt hat, ist auch die sprachliche und erzählperspektivische Analyse der Jagdszenen im Buch. Ich kann mir jedoch vorstellen, dass eine auf sprachliche Muster und Perspektiven bezogene Untersuchung ebenso spannende Ergebnisse zutage fördern könnte.

Ob die Blixen-Forschung in der Zukunft das Jagdmotiv zum Ausgangspunkt weiterer Untersuchungen machen wird, bleibt abzuwarten. Das Jahr 2013 und damit das hundertjährige Jubiläum von Karens Blixens Aufbruch zu ihrem ‚Safari-Abenteuer‘ würde jedenfalls Anlass dafür bieten.

Humboldt-Unversität zu Berlin, Sommersemester 2012

[1] Im Folgenden nutze ich der Einfachheit halber die heutige Landesbezeichnung ‚Kenia’ und nicht die damals geltende Fremdbezeichnung ‚Britisch-Ostafrika‘.

[2] Zwar wird Out of Africa mehrheitlich der autobiografischen Literatur zugeordnet, dennoch bleibt die Genrefrage in der Forschung weiterhin ungeklärt, wobei vor allem der Wahrheitsgehalt des Buchs immer diskutiert wurde (Vgl. Moa Matthis: Feminister och pionjärer. Om fyra kvinnliga författare och äventyrare. Stockholm: Norstedts 2006. S. 268). Ich wähle daher bewusst den Ausdruck „autobiografischer Roman”, um deutlich zu machen, dass das Genre des Buchs nicht eindeutig ist.

[3] Karen Blixen: Out of Africa and Shadows on the Grass. New York u. a.: Penguin 1986. Ich benutze eine gesammelte Ausgabe von Out of Africa und Shadows on the Grass und werde in meiner Arbeit mit den Abkürzungen ‚OOA‘ und ‚Shadows‘ auf diese Ausgabe Bezug nehmen.

[4] Vgl. Judith Thurman: Isak Dinesen. The life of a storyteller. New York: St. Martin’s Press 1982. S. 118f. 5 Vgl. Björn Fontander: Blixen & Blixen. Bror Blixen, kvinnorna och förlusterna. Stockholm: Carlssons 2004. S. 80f.

[5] Vgl. Simon Lewis: White Women Writers and Their African Invention. Gainesville: University Press of Florida 2003. S. 113.

[6] Ebd. S. 121f.

[7] Vgl. Simon Lewis: White Women Writers and Their African Invention; Moa Matthis: Feminister och pionjärer; Peter O. Stummer: „Frauen und Landschaft. Karen Blixen und Olive Schreiner.“ In: Skansinavistik. Jg. XVI (1986). S. 36-47; Gillian Whitlock: „‚The Animals Are Innocent‘. Latter-Day Women Travellers in Africa.“ In: Five Emus to the King of Siam. Environment and Empire. Hrsg. von Helen Tiffin.

Amsterdam/ New York: Rodopi 2007. S. 235-246.

[8] Vgl. Bernhard Eibisberger: Große Namen – berühmte Jäger. Graz u.a.: L. Stocker 1994; Edward I. Steinhart: Black Poachers, White Hunters: A Social History of Hunting in Colonial Kenya. Oxford u. a.: James Currey u. a. 2006; ders.: „Hunters, Poachers and Gamekeepers: Towards a Social History of Hunting in Colonial Kenya.“ In: Journal of African History. Jg. 30 (1989). S. 247-264.

[9] Eine solche Aufzählung der Kategorien birgt immer die Gefahr der Auslassung, des ‚etc‘. Ich möchte Auswahl daher bewausst offen lassen und die oben genannten lediglich als Beispiel auffassen.

[10] Vgl. Nina Degele/ Gabriele Winker: Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten. Bielefeld: Transcript 2009. S. 11f.

[11] Vgl. ebd. S. 13.

[12] Vgl. Annegret Heitmann: „Landnahme in Karen Blixens Den afrikanske farm.“ In: Karen Blixen/Isak Dinesen/Tania Blixen: Eine internationale Erzählerin der Moderne. Hrsg. von Heike Peetz/Stefanie von

Schnurbein/ Kirsten Wechsel. Berlin: Nordeuropa-Institut der Humboldt-Universität 2008. S. S. 171192. Hier 178f.

[13] Vgl. Ebd. S. 189.

[14] Ich werde zur besseren Lesbarkeit überwiegend die Bezeichnung ‚einheimisch’ für die heterogenen Gruppen der vor Ort lebenden Masai, Kikuyu und Somali benutzen.

[15] Vgl. Jean-Noël Liaut: Karen Blixen. Une odyssée africaine. Paris: Payot 2004. S. 116.

[16] Vgl. Kirsten Thisted: „Dead man talking. Om tale og tavshed og repræsentationens ambivalens hos Karen Blixen og Thorkild Hansen.“ In: Spring. Jg. 22 (2004). S. 103.

[17] Ngũgĩ wa Thiong’o: Moving the Centre. The Struggle for Cultural Freedoms. London/ Nairobi: J. Currey 1993. S. 133.

[18] Vgl. Lasse Horne Kjældgaard: „En af de farligste bøger, der hogen sinde er skrevet om Afrika? Karen Blixen og kolonialismen“ In: Tijdschrift voor Skandinavistiek. Jg. 30. Nr. 2 (2009). S. 111-135. Hier S. 112.

[19] Vgl. Bernhard Eibisberger: Große Namen – berühmte Jäger. S. 195f.

[20] Vgl. ebd. S. 200f.

[21] Gillian Whitlock: „Latter-Day Women Travellers in Africa.“ S. 238.

[22] Vgl. Edward I. Steinhart: Black Poachers, White Hunters. S. 105.

[23] Vgl. Moa Matthis: Feminister och pionjärer. S. 272.

[24] Vgl. Edward I. Steinhart: „Hunters, Poachers and Gamekeepers.“ S. 253-255.

[25] Vgl. Moa Matthis: Feminister och pionjärer. S. 271.

[26] Vgl. Peter O. Stummer: „Frauen und Landschaft.“ S. 43.

[27] Simon Lewis: White Women Writers and Their African Invention. S. 122.

[28] „[…] das harmonische Einvernehmen zwischen Gebieter und Diener […]“ (Überseztung d. A.), Moa Matthis: Feminister och pionjärer. S. 270.

[29] John Milfull: „‚A Girl to Shoot Lions With‘: Female machismo in Hannah Arendt and Karen Blixen.“ In: Kultur Sprache Macht, Festschrift für Peter Horn. Hrsg. von John K. Noyes/ Gunther Pakendorf/ Wolfgang Pasche. Frankfurt am Main: P. Lang 2000. S. 317-322. Hier S. 319.

[30] Peter O. Stummer: „Frauen und Landschaft.“ S. 43.

Bild © Federico Ghidinelli

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