Rezension

Die Crux mit den Buchtiteln

1„Theatervermittlung als Problem.“ So (unter-) titelgebend war das Thema Theatervermittlung bisher noch nicht gewesen. Dabei handelt es sich hierbei eigentlich um eine virulente Thematik, vor allem wenn es darum geht, neue Publika an das Theater als Institution und seine jeweils gegenwärtige Ästhetik heranzuführen. Sicher, bisher fand man zumeist in theaterpädagogischen Sammelbänden den einen oder anderen Aufsatz, der das Thema Vermittlung anschnitt. Aber Kunstpädagogik bedeutet lernen mit und durch Kunst und eben nicht Vermittlung, wie schon Eva Sturm, eine der Pionierinnen der deutschsprachigen Literatur zur Vermittlungsthematik, unterstreicht. Ende der 90er leistete sie hierzulande unter anderen für den Bereich der Bildenden Kunstvermittlung eine kritische Praxis und Begriffsarbeit. Im angloamerikanischen Diskurs hingegen gibt es rund um das „critical curating“ schon seit den 80ern ein Begriffsinstrumentarium. Das scheint aber in der Theaterwissenschaft keine großen (theoretischen) Wellen geschlagen zu haben. Dabei stellten sich den Theatern eigentlich dieselben Fragen der Rechtfertigung, Selektionskriterien der Kunst(werke), Zielgruppen und Herangehensweise an die Vermittlung ästhetischer Phänomene wie den Museen und Galerien.

„Theater und Öffentlichkeit“: scheinbar zwei, die durch ein ‚und‘ getrennt worden sind und nur noch durch einen Mediator miteinander kommunizieren können. Bei dem Sammelband der links von mir ruht, ist jedoch aus dem Inhaltsverzeichnis nicht ganz klar, was hier eigentlich vermittelt werden soll: Geht es nun beim Titel um die (Theater)Aufführung, die in ihrer manchmal durchaus vorhanden Spezifik einer oder eben der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden soll, oder geht es um die Institution Theater, in die sich die/eine Öffentlichkeit erst mal einfinden soll? Eine gleich zu Anfang vorgenommene theoretische Begriffsdefinition von Vermittlung leistet daher Alexander Henschel. Bezeichnenderweise ist Henschels Beitrag ursprünglich im Rahmen eines Symposiums für Kunstvermittlung im Bereich der Bildenden Künste verfasst worden. Er bezieht den Begriff der Vermittlung klar auf das Verhältnis von Betrachterin und Kunstwerk und bedient sich zur Differenzierung gängiger ästhetischer Theorien der letzten 200 Jahre. Die aus den Theorien abgeleiteten Unterscheidungen des Vermittlungsbegriffs verbindet Henschel mit Carmen Mörschs 2009 im Rahmen eines documenta-Sammelbandes aufgestelltem Begriffsinstrumentarium zur Untersuchung der praktischen Museums- und Galerienarbeit.

Mit dieser theoretischen Schwerpunktsetzung klafft jedoch eine große Lücke zwischen den im Folgenden beschriebenen Fallbeispielen und grauer Theorie. Was der sehr pointierten Ausführung Henschels folgt, sind vor allem Projekte, die in den Bereich der Theaterpädagogik fallen: Arbeiten mit Kindern, Gehandicapten, Schulklassen oder partizipatives Theater. Damit verfehlt der Band an vielen Stellen den sich selbst gegebenen Untertitel und die durch Henschel geleistete Begriffseinführung wird größtenteils obsolet. Weder von Publikumsgesprächen im Vor- und Nachfeld, Programmheften oder mir leider nun auch immer noch unbekannten anderen Möglichkeiten ist die Rede. Dabei wäre eben auch für so banale Formen der Aufführungsvermittlung ein kritischer Diskurs notwendig gewesen. Hierbei könnte, genau wie Henschel es tat, auf Autorinnen wie Eva Sturm oder Carmen Mörsch aus dem Bereich der kritischen Museologie zurückgegriffen werden.

Im Bereich der Vermittlung der Institution ist die Vorarbeit ausdifferenzierter. Nur benötigt es hierfür keinen an der Ästhetik geschulten Vermittlungsbegriff, denn das Werk steht erst mal nicht Vordergrund. Mit site specific theatre, Zielgruppenthematik, Festivals oder Eventveranstaltungen wie Konzerten, Lesungen etc. in Theatern erarbeiten sich dieselben neue Zielgruppen. In Theater und Öffentlichkeit haben viele Autorinnen diese Theaterformen zum Thema. Es bleibt einem als Lesender hierbei aber selbst überlassen, die Brücke zu schlagen zwischen Schweizer Freilichttheater, an dem sich ganze Dorf- oder Stadtgemeinschaften beteiligen, und der Idee, dass so etwas bei den Beteiligten die Hemmschwelle für einen Theaterbesuch in Basel oder Zürich senken würde. (Aufsatz Yvonne Schmidt)

Sehr aufschlussreichen für jene, die eben vom Vermittlungsbegriff getriggert wurden, ist der Aufsatz von Myrna-Alice Prinz-Kiesbüye. Sie beschreibt sehr ausführlich und dokumentierend den fehlgeschlagenen Versuch der Comédie de Genève, ihr (Stamm)Publikum als Netzwerkende zu nutzen. Jenes sollte sein soziales, aber nicht theateraffines Umfeld als Attachés fürs Theater mobilisieren. Durch Gespräche im Nach- oder Vorfeld mit den Mobilisierten sollte für den Erfolg des Theaterabends gesorgt werden, indem die Attchèes eventuell Unverständliches oder Verstörendes aus der Welt schaffen. (Martin Lhotzky)

Myrna-Alice Prinz-Kiesbüye/ Yvonne Schmidt/ Pia Strickler (Hg.): Theater und Öffentlichkeit. Theatervermittlung als Problem. Zürich: Chronos 2012. 256 S. 39,50 €.

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