Elisabeth Rädler: Die kleine Rebellion.

„Die kleine Rebellion“ ist der Titel meiner Bachelorarbeit in Kommunikationsdesign. Ich entwickelte einen Charakter namens „Die kleine Rebellion“ und eine dazugehörige Animationsserie mit bisher fünf Folgen. Für den schriftlichen Teil der Arbeit untersuchte ich das gesellschaftliche Phänomen der kleinen Rebellion und verfasste eine Dokumentation und Reflexion des praktischen Teils. Die theoretische Untersuchung (A) ist in diesem Heft in voller Länge abgedruckt, die Dokumentation und Reflexion (B) als gekürzte Version. Allgemein entspricht der Text dem wissenschaftlichen Anspruch einer Design-Arbeit, woraus sich der tendenziell essayistische Stil erklärt.

A – Theoretische Untersuchung

Einleitung

In der allgemeinen Wahrnehmung innerhalb der westlichen Welt scheint Rebellion ein Phänomen zu sein, das mit historischen Helden, Bürgerkriegen in fremden Ländern, Blockbustern wie „Tribute von Panem“ oder „Star Wars“ verknüpft wird. Wir denken an Gewalt und Chaos, aber auch an Ideale wie Mut und Freiheit. Wir denken an Aufbegehren, Aufstand und Widerstand. Im Alltag lassen sich jedoch auch Handlungen beobachten, die nicht mit dieser großen Rebellion im geläufigen Sinne zu vergleichen sind, aber dennoch eine kleine rebellische Note tragen. Diese Beobachtung bestätigt sich in den Antworten einer Internet-Umfrage, die im Zuge der Recherche durchgeführt worden ist, auf die offene Frage: „Was war Ihre letzte rebellische Handlung?“[1] Oft wurde die direkte Meinungsäußerung gegenüber Eltern, Chef, Fremden oder Freunden genannt. Es häuften sich aber auch Antworten wie: trotz klingelnden Weckers nicht aufstehen, keine Krawatte tragen, den Fernseher verschenken, eine Deadline nicht einhalten, die Unterhose ein zweites Mal tragen, die Treppe anstatt der Rolltreppe benutzen. Das sind alles Beispiele, die zwar dem ersten Augenschein nach nicht als rebellisch bewertet würden, die die jeweiligen Befragten aber als persönliche Rebellion empfunden haben. Rebellion ist also keineswegs nur ein Phänomen der Historie, entfernter Gebiete oder der Fiktion. Rebellion ist genauso als Handlung des Individuums im Alltag zu finden. Diese Rebellion ist Gegenstand der nachfolgenden Untersuchung und als Rebellion, die von einem kleinen Stück Gesellschaft, dem Individuum in einem kleinen Stück Realität, dem Alltag, geäußert wird, bezeichne ich sie als das eigenständige Phänomen „die kleine Rebellion“.

Die kleine Rebellion richtet sich gegen Vorgesetzte oder Eltern, aber auch gegen schwer greifbare Leitinstanzen, Erwartungshaltungen und Verhaltensmuster im Alltag. Auf die Rebellion letzter Art werde ich genauer eingehen, da diese als das Neue im Phänomen der kleinen Rebellion begriffen werden kann und mit zu untersuchenden Paradoxa und Schwierigkeiten einhergeht.[2]

Ich möchte zeigen, dass die kleine Rebellion der Versuch des Individuums ist, sich in seiner selbstbestimmten Identität zu bestätigen, indem es unabhängig von fremdbestimmenden Faktoren denkt und handelt.

Die Untersuchung gliedert sich in drei Teile: Im ersten Teil (1) kläre ich die nötigen Begriffsbedeutungen, unter denen ich meine These vertrete. Außerdem untersuche ich den historischen und gesellschaftlichen Kontext, in dem sich die Rebellion entwickelt und verändert hat, und stelle fest, dass Rebellion im Allgemeinen und die kleine Rebellion im Speziellen stark von der Individualisierung der westlichen Welt beeinflusst ist. Deshalb untersuche ich im zweiten Teil (2) die Wandlung der Individualisierungskultur von der Moderne bis zur Postmoderne und weiter bis hin zu dem Markt, der daraus entstanden ist. Im dritten Teil (3) leite ich aus den Erkenntnissen eine Krise der Rebellion und das eben skizzierte Phänomen der kleinen Rebellion ab. Im Schluss der Arbeit bewerte ich die kleine Rebellion hinsichtlich möglicher Chancen und Risiken.

1. Historisch-gesellschaftlicher Kontext

 1.1 Rebellion im Sprachgebrauch

Sprachtheoretisch leitet sich Rebellion vom lateinischen „rebellio“ ab, was sich in die Bestandteile des Präfixes „re-“ (wieder-) und des Substantivs „bello“ (Krieg) zerlegen lässt. „Rebellion“ bedeutet demnach wörtlich so viel wie „Erneuerung des Krieges“. Mit dem Krieg als Wortbestandteil scheint die Gewalt der Rebellion inbegriffen und sie wird stark mit dem Begriff assoziiert. Vermutlich deswegen, weil Gewalt und Chaos die plakativsten, aufsehenerregendsten Erscheinungen der Rebellion sind und die ganz aktuellen Formen der Rebellion weltweit unter einer starken Spannung zwischen Kämpfenden und Bekämpften stehen, wie im Nahen Osten oder in Südamerika.

Protest, Guerilla und Revolution sind Schlagwörter, die häufig mit Rebellion in Verbindung gebracht und teilweise synonym verwendet werden. Für die Untersuchung möchte ich den Begriff Rebellion etwas differenzierter betrachten.

Protest kann eine Form der Rebellion sein, die aber meistens politischen Ursprungs ist und einen eindeutigen Gegner hat, was nicht zwingend Voraussetzung für Rebellion im Allgemeinen ist. Er bezeichnet eine öffentliche Kommunikation eines meist politischen Themas auf häufig sehr provokative Art und Weise.[3]

Ähnliches gilt für Guerilla-Bewegungen. Der Guerillakampf ist ebenfalls eine Form der Rebellion, die eine andere Strategie als der Protest verfolgt und vor allem dort entsteht, wo Protest allein entweder nicht wirksam oder gar nicht möglich ist.

In der Revolution ist im Gegensatz zur Rebellion die Umwälzung der Verhältnisse inbegriffen. Eine akute Rebellion kann zwar revolutionäre Züge haben oder auch die Revolution zum Ziel, sie kann aber erst aus historischer Perspektive als Revolution bezeichnet werden.

Hannah Arendt unterscheidet Rebellion von Revolution anhand des Ziels, welches im Falle der Rebellion „nur die Befreiung“ und im Falle der Revolution „die Gründung der Freiheit“[4] ist.

Als Basis für meine theoretische Untersuchung möchte ich den Begriff Rebellion im Sinne des Aufstands gegen eine Autorität, der sich die Rebellierenden untergeordnet bzw. ausgeliefert fühlen, verwenden.

1.2 Veränderung und Erweiterung der Rebellion im historischen Rückblick

Das Spektrum rebellischen Handelns verändert sich mit dem Menschen und seiner Kultur. Drei Aspekte, an denen sich die Entwicklung der Rebellion in der Moderne nachvollziehen lässt, sind das Aufkommen revolutionärer Bewegungen rund um und nach der französischen Revolution, die Pendelbewegung, mit der sich auf kultureller Ebene Stile und Auffassungen ablösten und die Herausbildung der Jugend als eigenständiger Lebensphase.

Die Sprengkraft der Französischen Revolution begründet sich nicht nur in der akuten existenziellen Not der Menschen, sondern auch in einem neuen Selbstbewusstsein des Individuums und dem „konkreten Versprechen von Freiheit und Gleichheit“, sowie in „der Ankündigung einer Politik der Vernunft“[5]. Sie ist eine der wichtigsten Zeitmarken der modernen westlichen Gesellschaft, da sie als Ausbruch eines sich bis dahin angestauten kulturellen Gedankenguts aus dem Humanismus und der Aufklärung verstanden werden kann.

Mit der Industrialisierung im 18. und 19. Jahrhundert veränderte sich das Leben und die Vorstellung des Menschen radikal. Das aufklärerische Gedankengut und die damit einhergehende Besinnung auf den Menschen als „autonomes, souveränes Individuum“[6] waren Katalysatoren für das Aufbegehren gegen Autoritäten, die eine Reihe von Aufständen im In- und Ausland befeuerten.

Mit zunehmender Individualisierung und der Loslösung der Kulturschaffenden vom Auftraggeber beschleunigte sich in der kulturellen Entwicklung die Ablösung der einzelnen Stile. Die Akteure der Kunst, Literatur und Musik reagierten in Abgrenzung zur jeweils vorangegangenen Ausrichtung – vom Verstand zum Gefühl, von der Harmonie zur Depression, von der Ironie zur Biederkeit, vom Realismus zur Abstraktion. Am Beispiel der Inhalte, mit denen sich die Schriftsteller*innen beschäftigt haben, lässt sich auch das neue Menschenbild und die Idee des Individuums nachvollziehen: Außenseitercharaktere wurden die neuen Helden ihrer Geschichten, innere Konflikte von Individuen gegenüber der Gesellschaft gewannen an Bedeutung.[7]

Die Idee des rebellischen Andersseins gelangt vom gesellschaftsunfähigen Außenseiter in das gesellschaftliche Denk-Repertoire.

Ein weiterer Faktor, der die Entwicklung dieses Bewusstseins beflügelte, ist die Herausbildung der Jugend: „Noch bis zur Industrialisierung galt ein junger Mann oder eine junge Frau nach dem Ereignis der Geschlechtsreife (Pubertät) als voll erwachsen, eine Zwischenphase in Gestalt der Lebensphase Jugend gab es nicht.“[8] Freilich ist diese Lebensphase vorerst ein Privileg einer sozialen Herkunft, aber mit der Einführung der Schulpflicht und immer längeren Ausbildungszeiten entwickelte sich langfristig ein Lebensabschnitt, in dem es immer mehr um den eigenen Identitätsentwurf und die individuell gestaltete Zukunft ging. Im Experimentieren und Grenzen Testen „steht [die Jugend] naturgemäß im Spannungsverhältnis zur Gesellschaft und dem jeweiligen Geist oder Ungeist der Zeit“[9].

Peter Schneider erkennt in seinem Buch „Rebellion und Wahn“, dass „[die Revolte] den Unruhigen und Unzufriedenen aller Disziplinen eine Erklärung für die Versagung ihrer Wünsche an[bot], die ihnen die Selbstzweifel erspart[e]“. Er fügt allerdings an, dass die Bewegung ihre revolutionäre Kraft nicht allein daraus gewann, sondern vor allem aus dem Angebot einer „Alternative zu jener Lebensform […], deren Ende sie verkündet“[10].

Zusammenfassend ist festzustellen, dass ein wesentliches Motiv der Rebellion in der Moderne – unabhängig von ihrer Erscheinung und Auswirkung – der Freiheitsanspruch der eigenen Identität ist, der über den Humanismus und die Aufklärung in die Denkmoral des Menschen eingepflegt wurde. Aus diesem Anspruch heraus versucht das Individuum, die eigene Identität in Abgrenzung zu den vorherrschenden Standards neu einzuordnen.

Als spezielle Art der Rebellion ist auch die kleine Rebellion als eine Folge der Individualisierung der westlichen Gesellschaft zu betrachten und ihre Art und Weise in der aktuellen Individualisierungskultur zu begründen. In den nächsten Schritten untersuche ich diese Kultur anhand des Individualisierungsprozesses, der die Gesellschaft zunehmend in eine Postmoderne bewegt, und eines Individualisierungsmarkts, der innerhalb dieses Prozesses entstanden ist.

2. Individualisierung in der Postmoderne

 2.1 Der Individualisierungsprozess

Die Folgen der Individualisierungsprozesse der Moderne, die sich für das Individuum ergeben, werden vielfach diskutiert und leiten den Gedanken einer postmodernen Gesellschaft ein, die mit Unbehagen, Orientierungslosigkeit und Unsicherheit auf die Angebote und Ansprüche des Wandels reagiert.[11] Elisabeth Beck-Gernsheim fasst in einer Arbeit zur Individualisierungstheorie den Begriff Individualisierung als „das Zerbrechen traditioneller Lebensformen und die damit verbundene Herauslösung des Menschen aus normativen Bindungen, sozialen Abhängigkeiten, materiellen Versorgungsbezügen“ und „die damit einhergehenden sozialen Konflikte, Chancen, Reintegrationsprobleme“[12] zusammen. Im Zuge dieses Prozesses hat sich über die letzten Jahrzehnte der ab den 60er und 70er Jahre verstärkt aufkommende Wunsch nach Selbstverwirklichung und dem selbstbestimmten Leben scheinbar erfüllt: Das Individuum kann losgelöst von jeglichen äußeren Vorstellungen seine Identität selbstbestimmend gestalten. In der Folge sind neue Lebensvariationen entstanden, Ausdrucksformen der eigenen Individualität haben sich pluralisiert, das Wertespektrum hat sich verschoben und erweitert.

Insgesamt hat sich herausgebildet, was Heiner Keupp die „fluide Gesellschaft“[13] nennt. Identität wird allgemein als „Ergebnis der Wechselwirkung zwischen Individuum und Gesellschaft“ [14] verstanden. Mit der Entwicklung zur „fluiden Gesellschaft“ bildete sich in der Gesellschaft ein riesiger Pool an Möglichkeiten zur Gestaltung der eigenen Identität, gleichzeitig fehlen greifbare Orientierungshilfen.

Das Individuum steht vor der neuen Herausforderung, dass es seine Identität nicht nur selbst gestalten kann, sondern auch muss. Aus der Möglichkeit zur Selbstverwirklichung ist der Zwang zum Selbstmanagement geworden.

Heiner Keupp stellt fest, dass Identität heute ein „Projekt“ ist, welches in Eigenleistung erarbeitet werden muss. Er beschreibt diese „Identitätsarbeit“ mit der Metapher des „Patchworking“.[15] Demnach bedient sich das Individuum unterschiedlichster Identitätsangebote, um ein Selbstbild zu gestalten, das sich „von Innen an dem Kriterium der Authentizität und von Außen am Kriterium der Anerkennung“ [16] bemessen lässt.

Das führt einerseits zur Etablierung eines natürlichen Anspruchs der Individuen an sich selbst, dieser Verantwortung als einzige Gestaltende und Verantwortungstragende der eigenen Identität gerecht zu werden. Andererseits entsteht zwangsläufig eine Erwartungshaltung an das Individuum von außen, nach der es „sich als biographisch flexi[bel]“ und „veränderungsbereit“ präsentieren muss, „um beruflich oder gesellschaftlich Erfolg haben zu können“[17].

So wird der Zwang zum Selbstmanagement zum Zwang zur Selbstverwirklichung. Dieser Zwang wird von keiner konkreten Autorität in einer direkten Forderung geäußert, das Individuum unterliegt eher einer „indirekten, vielfältig vermittelten, unsichtbar scheinenden Beeinflussung“[18]. Diese geht zum großen Teil von den Massenmedien und den aus der Individualisierung und Pluralisierung heraus entstandenen Märkten aus, auf die ich unter dem Begriff des Individualisierungsmarkts im nächsten Kapitel noch näher eingehe.

Aus dem subtil kommunizierten Zwang nach dem Ideal der Selbstverwirklichung ist eine Sucht nach Aufmerksamkeit und der Bestätigung der eigenen Authentizität geworden. Das zeigt sich zum Beispiel in der Selbstinszenierung und im „Wettbewerb“ um den „cooleren Identitätsentwurf“ [19] junger Menschen im Internet. Dass die Sehnsucht nach dem selbstverwirklichten Leben aber über die Jugend hinaus ein „All-Ager“[20] ist, zeigt unter anderem der Hype, den ein auf YouTube hochgestellter Text der (zu dem Zeitpunkt) 21-jährigen Psychologiestudentin Julia Engelmann auslöste, den sie beim Poetry-Slam der Universität Bielefeld vorgetragen hat.[21] In ihrem Text bezieht sie sich auf den Song „One Day / Reckoning Song“[22] von Asaf Avidan & The Mojos, sie beschuldigt sich selbst der Faulheit und Feigheit und ruft dazu auf, im Leben „Geschichten [zu] schreiben, die wir später gerne erzählen.“ Kaleb Erdmann, 24-jähriger Politik-Student und ebenfalls Poetry Slammer, kontert Anfang 2015 mit einem Text, der provokativ „Leb dein Leben nicht“ heißt und der den „yolo-Mann“ beschuldigt, er lebe sein Leben „als sei es eine Hausaufgabe“[23]. Dieser Text deckt den subtilen Zwang auf, bekam aber nicht annähernd so viel Aufmerksamkeit.[24]

In Engelmanns Formulierung steckt die Verkehrung der Ansprüche an die eigene Identität: Der Erfolg des Projekts der Identität im Sinne von Selbstverwirklichung scheint anhand von „Geschichten“ ein von Außen messbares Ziel zu sein. So wird die Messbarkeit auf das Kriterium der „Anerkennung von Außen“ reduziert und das Kriterium der „Authentizität von Innen“ [25] wird nach Außen gekehrt.

2.2 Der Individualisierungsmarkt

 Durch die patchworkartige und auf Authentizität ausgerichtete Lebensgestaltung ist ein riesiger, vielschichtiger Markt entstanden. In erster Linie erlangen kulturelle Elemente und Konsumartikel eine immer größere Wichtigkeit für das Individuum, da sie einen neuen Anhaltspunkt bieten, an dem es seine Identität ausrichten kann.[26] Axel Honneth stellt jedoch fest, dass durch den daraus resultierenden Markt für identitätsbildende Produkte eine „Instrumentalisierung von Selbstverwirklichungsansprüchen“ stattfindet und eine „sich beschleunigende Spirale von stilistischen Innovationen und Verwertungsreaktionen“ [27] entstanden ist. Unter der verhängnisvollen Überschrift „Tote Hipster“ im Campus-Magazin der ZEIT bestätigt Wlada Kolosowa diese Entwicklung anhand des Beispiels der einstigen Subkultur der Hipster, indem sie konstatiert: „Was auch immer sich die urbanen Individualisten ausdenken (Eulen-Ohrringe, Einhorn-T-Shirts, Musikkassetten-Ketten), ist ein paar Monate später in jeder Fußgängerzone erhältlich.“[28]

Honneth geht noch einen Schritt weiter, er leitet aus seinen Untersuchungen ab, dass sich das „Abhängigkeitsverhältnis“ von Angebot und Nachfrage bereits „umgekehrt“ hat: „Der Versuch, sich im Zuge des eigenen Lebens selber zu verwirklichen, wird unterschwellig gleichsam von den kulturellen Angeboten organisiert, die mit einem kalkulierten Gespür für alters-, schicht- und geschlechtsspezifische Differenzen von der Werbeindustrie an den Einzelnen ergehen.“[29] Coca Cola erzieht das Individuum zum „verrückt“ sein[30], Beck‘s ermutigt, dem „inneren Kompass“ zu folgen[31].

Der Hilflosigkeit ob der Ansprüche nach dem aussagekräftigen Lebenslauf aus der Ausbildungs- und Arbeitswelt begegnen eine Ratgeber-Kultur und ein neuer Hang zur Esoterik. Die Inhalte bedienen sich aber der gleichen Rhetorik wie das, was sie vermeintlich zu bekämpfen versuchen. Den komparativen Forderungen nach zielorientierter Selbstoptimierung (mehr, schneller, stärker) werden gleichfalls komparative Empfehlungen (weniger, langsamer, schwächer) entgegengesetzt. Innerhalb dieser breiten Palette scheint es eher schwieriger als einfacher, richtig von falsch zu unterscheiden.

Eine Wertung dieser Verschränkung persönlichster Bedürfnisse und moralischer Zeigefingern mit profitorientierten Angeboten erweist sich als extrem komplex. Es ist erfreulich, dass Coca Cola mit seinen Kampagnen nicht nur für sein Produkt, sondern auch für Nächstenliebe und Harmonie wirbt, aber es ist unwahrscheinlich, dass für das Fahren dieser Schiene nicht zuletzt der immense Profit das ausschlaggebende Argument ist. Basierend auf der Erkenntnis, dass daraus ein unübersichtliches System mit wenigen Haupt-Profiteuren auf Kosten einer verunsicherten Mehrheit und noch viel mehr auf Kosten von den Menschen in anderen, nicht westlichen Regionen, die uns unter menschenverachtenden Bedingungen den Wohlstand garantieren, geworden ist, entwickelt sich schließlich der Markt für Systemkritik. In diesem inneren Widerspruch lässt sich die krisenhafte Tendenz der Entwicklung erkennen. Das reflektierte Individuum erkennt, dass es nur vermeintlich Freiheit genießt, findet sich aber in der Bequemlichkeit des Systems gefangen und sieht keinen Ausweg außer der Kritik jener Beifall zu klatschen, die sich mit den Chancen und Risiken grundlegender auseinandergesetzt haben. Es entsteht das Paradoxon des Mainstreams, der den Mainstream kritisiert.[32] Einer der Profiteure der Systemkritik, der Liedermacher und Autor Marc-Uwe Kling, lässt pointiert seinen imaginären Mitbewohner und Lebensbegleiter, das kommunistische Känguru, erkennen: „[Der Kapitalismus] geht nicht unter, weil er seinen eigenen Forderungen gemäß flexibler, belastbarer, innovativer, kreativer, teamfähiger, begeisterungsfähiger und kreativer ist als alle vorangegangenen Unterdrückungssysteme.“[33]

Der Individualisierungsmarkt legitimiert jedes individuelle Bedürfnis und passt sich individuellen Ausrichtungen an, um die Angebotspalette um ein entsprechendes Produkt erweitern zu können. Die narrative Art des Systems eignet sich zwar, um die eigene Identität schlüssig nach außen zu präsentieren, aber sie verunsichert umso mehr durch das Anzweifeln der Authentizität vor sich selbst. Der Markt ist somit sein eigener Motor, indem er das Ideal der Selbstverwirklichung propagiert und die Zweifel schürt und gleichzeitig suggeriert, dieses Ideal dem Individuum durch seine Angebote näher zu bringen.

3. Die kleine Rebellion

3.1 Die Krise der Rebellion

Aus dem historischen Rückblick wurde abgeleitet, dass als ein wesentliches Motiv der Rebellion der Freiheitsanspruch gesehen werden kann, aus dem der Versuch einer Befreiung von der fremdbestimmten Identität in Abgrenzung zu den vorherrschenden Standards resultiert. Angesichts der Möglichkeit zur Selbstverwirklichung erscheint dieses Motiv überholt, Identität kann selbstbestimmt gestaltet werden. Im Kapitel 2.1 wurde jedoch die Entwicklung der Möglichkeit zur Selbstverwirklichung zum Zwang zur Selbstverwirklichung dargelegt. Der daraus entstandene, im Punkt 2.2 skizzierte Individualisierungsmarkt schlägt aus der subtilen Ausübung des Zwangs Profit und schafft ein System aus Vorgaben und Mustern, in das sich jede Identität einfügen lässt.

Der Philosoph Byung-Chul Han schlussfolgert in einem Interview mit ZEIT Wissen: „Die Krise der Freiheit besteht darin, dass wir den Zwang als Freiheit wahrnehmen.“[34] Was Han als Krise der Freiheit bezeichnet, ist folgerichtig auch eine Krise der Rebellion, da der vermeintliche Befreiungsakt keine Rechtfertigungsgrundlage hat.

Jeder noch so bewusst individuelle Akt zur Abgrenzung der eigenen Identität von einem Standard kann in einen anderen Standard innerhalb eines feinmaschigen Rasters bereits vorhandener Identitätsmuster und Vorlagen eingegliedert und in ihm begründet werden.

Weder erregt der vermeintliche Befreiungsakt der Identität Aufsehen, noch kann er von außen als Befreiungsakt beurteilt werden. Die zerrissene Jeans oder das Che-Guevara-Shirt können genauso Ausdruck einer rebellischen Grundhaltung sein wie Ausdruck einer rein ästhetischen Absicht. Rebellion hat keine Narrative mehr, ihre „Codes [wurden vom Kapitalismus] [ge]kidnappt“ [35]. In einem Essay zum Thema Selbstverwirklichung stellt Nils Markwardt die „Mach dein Ding“-Rhetorik unserer Lebenswelt bloß, aus der nur „vermeintlich Widerständiges“[36] entspringen kann. Die narrative Art des Systems reduziert die rebellische Handlung auf die Form, die Performance, wodurch der Inhalt außen vor bleibt, übrig bleibt lediglich eine Schein-Rebellion.

3.2 Die kleine Rebellion

Die ganz zu Anfang erwähnte Umfrage hat bestätigt, dass Rebellion hauptsächlich nicht mit der eigenen Lebenswelt verknüpft wird. Es besteht keine offensichtliche, direkt existentielle Notwendigkeit zur Rebellion,[37] aber das Bedürfnis nach Rebellion mit dem genannten Motiv der Identitätsabgrenzung ist als in der Moderne etablierte Denkmoral nach wie vor aktuell.[38]

In dieser krisenhaften Unübersichtlichkeit bleiben dem Individuum nicht viele Möglichkeiten, um Rebellion zu äußern. Rebellion ist als Alltagsphänomen kaum wahrnehmbar, sie wird gleichmäßig von einer kollektiven Schein-Rebellion überstrahlt.

Das Individuum bedient sich zur Rebellion noch vorhandener Konventionen und Verhaltensrichtlinien, gegen die sie sich im Kleinen richten kann: Das Liegenbleiben trotz Weckers – eine Rebellion gegen die Disziplin, das Nicht-Tragen einer Krawatte bei entsprechendem Anlass – eine Rebellion gegen Kleidungskonventionen, das erneute Tragen der Unterhose – eine Rebellion gegen das allgemeine Verständnis von Hygiene.

Doch auch Handlungen, die von außen betrachtet mit keiner Konvention brechen, können Rebellionen sein, obwohl bzw. gerade weil sie als Mainstream oder sogar als spießig beurteilt würden. Das spontane Einkaufen von Zimtsternen im September – eine Rebellion gegen die eigene konsumkritische Ansicht, das Anschnallen im Reisebus als Jugendlicher – eine Rebellion gegen eine Coolness-über-Sicherheit-Kultur. In diesem Fall grenzt sich das Individuum nicht von vorherrschenden Standards, sondern von sich selbst ab.

Diese Möglichkeiten der Rebellion fasse ich unter der Bezeichnung der „kleinen Rebellion“ zusammen.

Der Versuch, sich vom Mainstream abzuheben oder dem System ein Schnippchen zu schlagen, kann immer beides sein, eine kleine Rebellion wie eine Schein-Rebellion, die Einordnung ist vom Bewusstsein des Rebellierenden abhängig. Die Absicht der kleinen Rebellion sollte sein, bewusst frei von jedem Muster und unabhängig von identitätsbildenden Faktoren zu denken und zu handeln. Das heißt, dass diese Rebellion nur von dem Individuum selbst als Rebellion erkannt wird, da sie von außen gesehen in eines der beliebig vielen Identitätsmuster eingeordnet werden kann.

Die kleine Rebellion ist also die Selbstbestätigung der eigenen Unabhängigkeit von identitätsbildenden Faktoren. Sie hat nicht den Anspruch einer breiten Aufmerksamkeit, ihr Ziel ist die Authentizität nach Innen. Sie hat den Mut, einer auf schlüssige und emotionale Narration ausgelegten Außenwelt mit dem eigenen Bauchgefühl zu begegnen.

Schluss

In erster Hinsicht scheint die kleine Rebellion keinerlei Auswirkung abgesehen von dem persönlichen Mehrwert für das jeweilige Individuum zu haben. Das System, aus welchem keine andere Art der Rebellion zu entstehen vermag außer der Schein-Rebellion, beruht aber auf dem Antrieb, der hinter der kleinen Rebellion steckt: dem Anspruch auf Freiheit. In einem kurzen Kapitel über die Zukunft des Begriffs ‚Freiheit‘ schlussfolgert Carl Hegemann: „Der Kapitalismus braucht also, wenn er seine eigenen Grundlagen nicht gefährden will, Verhaltensweisen, die seiner Logik widersprechen.“[39] Allerdings schränkt er diese Position ein, indem er behauptet, dass „Zwei Drittel bis Vier Fünftel aller Menschen […] aus diesem emanzipierten Kapitalismus [herausfallen]“. [40]

Die Chance in der kleinen Rebellion liegt also nicht in der positiven Modifizierung eines ausbeuterischen Systems und genauso wenig in dessen revolutionärer Umkrempelung, dafür fehlt ihr die nötige Sprengkraft.

In einem „emanzipierten Kapitalismus“ kann sie vielmehr zur Emanzipation des Individuums beitragen, die „immer vom Scheitern bedroht [ist], was in der Philosophie und in der Literatur als ‚Entfremdung’ oder ‚Wahnsinn’ thematisiert wird.“[41]

Im Mut, sich der eigenen Intuition zu bedienen, beruht die kleine Rebellion auf dem aufklärerischen Erbe und kann ein Mittel sein, das eigene kritische Bewusstsein und, in „Erarbeitung einer eigenen reflexiven Position“[42], die Fähigkeit „eigene Grenzen ziehen zu können“[43] zu stärken.[44] Diese Kompetenzen sieht Heiner Keupp als wesentlich für eine zukünftige, gelungene Identitätsarbeit an. Entgegen der pessimistischen Sicht von Honneth gibt es mit der kleinen Rebellion eine alternative Reaktion auf die gesellschaftlichen Entwicklungen neben „inszenierter Originalität“ und „krankhafter Verstummung“[45].

Mit der Stärkung des individuellen kritischen Bewusstseins geht auch die Stärkung eines gesellschaftlichen kritischen Bewusstseins einher, wodurch die Gesellschaft nicht statisch in einem Automatismus versumpft, sondern das Potential hat, sich stetig selbst zu erneuern. Ob die kleine Rebellion langfristig auf politischer Ebene zu einer positiven Entwicklung beiträgt, könnte in einer eigenständigen Arbeit untersucht werden.

Ein Risiko, das mit so gut wie jeder Entwicklung einhergeht, ist ihre Radikalisierung. So wie auch große Rebellionen in totalitären Regimes endeten, besteht in der kleinen Rebellion das Risiko des totalitären Narzissmus sich selbst gegenüber. Darin würde das Individuum wiederum einem selbst kreierten Zwang unterliegen, die kleine Rebellion ununterbrochen leben zu müssen. Das würde in einer auf Wechselwirkung und Kommunikation beruhenden Gesellschaft zur Gesellschaftsunfähigkeit führen.

Schließlich beruht das Phänomen der kleinen Rebellion auf einem Paradoxon innerhalb des Freiheitsbegriffs, es stellt sich die philosophische Frage: Wie frei (von Gesetzen, Normen, Regeln) darf der Mensch sein, um frei (in der eigenständigen Gestaltung des eigenen Lebens) zu sein?

B – Charakter und Serie

Einleitung

„Der Aphorismus ist die große Chance der Prosa, denn er darf winzige Dramen bilden, aber nie jene Grenze des Geschmacklosen überschreiten, hinter der die Literatur der tödlichen Gefahr ausgesetzt wäre, verfilmt zu werden.“[46], sagt Hans-Dieter Schütt in einem Vorwort zu den Abenteuern des Herrn Mosekund von Wolfgang Hübner. Diese wunderbar gewählten Worte berühren nicht nur Hübners Geschichten im Kern. Es lassen sich viele weitere Beispiele finden, die der von Schütt formulierten Beschreibung des Aphorismus insofern gerecht werden, als dass sich in ihnen „winzige Dramen“ erzählt werden: die Geschichten des Herrn Keuner von Brecht, die Brosamen von Enzensberger, Morgensterns Gedichte über Palmström – aber auch im abbildenden Genre trifft diese Beschreibung zu: die Comics Calvin&Hobbes von Bill Watterson und The Walking Gag von Baptiste Virot oder auch die neue Animations-Serie Myself von Andreas Hykade. Alle Beispiele vereint die unaufgeregte Schlichtheit ihres Ausdrucks. Die Tiefe des jeweiligen Hauptcharakters ergibt sich nicht aus einer einmaligen Vorstellung und einer detaillierten Beschreibung, sondern aus dem Universum, das über die einzelnen Folgen hinweg aufgespannt wird.

Nach diesem Vorbild habe ich den Charakter der kleinen Rebellion entwickelt, der anhand eines Animationskonzepts über theoretisch unendlich produzierbare Folgen hinweg zum Leben erweckt werden soll. Mein Anspruch war es, eine bildliche Sprache zu finden, in der sich ebenfalls „winzige Dramen“ bilden lassen. Das Ziel ging dabei über die Bachelorabgabe hinaus: Die Serie soll sich auch in Zukunft problemlos weiterführen lassen. Die in sich schlüssige Konzeptarbeit und das Anlegen eines strukturierten Baukastensystems hatte dadurch von Anfang an einen höheren Stellenwert als das fertige Produkt in Form von umgesetzten Folgen. Die kleine Rebellion soll authentisch und witzig sein, eine Vertreterin, aber keine Stellvertreterin des gesellschaftlichen Phänomens, welches in Teil A untersucht wurde. Keinesfalls sollen sich aus den Handlungen der kleinen Rebellion pauschale Aussagen über die Gesellschaft oder eine bestimmte soziale Gruppe ableiten lassen.

2. Recherche

Anfangs recherchierte ich allgemein und unabhängig von meinem Entschluss der Trennung des wissenschaftlichen vom gestalterischen Teil. Letztendlich basiert das Charakter-Design aber kaum auf der theoretisch-wissenschaftlichen Recherche, sondern vor allem auf visuellen und erzählerischen Anmutungsbeispielen und meinem persönlichen Bauchgefühl.

Um die Idee für Charakter und Format einzukreisen, erstellte ich ein Moodboard.[47] Zum einen sammelte ich fiktive und reale Charaktere, deren Charaktereigenschaften mit der kleinen Rebellion assoziiert werden könnten. Vom lässigen Lucky Luke und dem klugen Rudi Dutschke über den narzisstischen Artemis Fowl und den starrköpfigen Che Guevara bis zur naiven Pippi Langstrumpf und zum liebenswerten Pauli dem Maulwurf.

Zum anderen sammelte ich Serien- bzw. Umsetzungsformate, die entweder rein technisch nach einem Prinzip funktionieren, das in Frage kommen könnte, oder eine Tonalität treffen, die ebenfalls erzeugt werden sollte.

In dieses Stimmungsbild ordnete ich den Charakter ein und entschied mich, ihn in einer Serie mit sehr kurzen (10 bis 60 Sekunden), nonverbalen Folgen zum Leben zu erwecken.

3. Charakter und Serie

Der Charakter der kleinen Rebellion ist nicht auf ein Geschlecht festgelegt. Das „sie“, was ich in den Ausführungen verwende, entspricht lediglich dem grammatikalischen Geschlecht ihres Namens, das „er“ dem grammatikalischen Geschlecht von „der Charakter“.

In kleinen, unaufgeregten Rebellionen des Alltags versucht sich die kleine Rebellion vom Mainstream abzuheben und dem „System“ ein Schnippchen zu schlagen. Der Schauplatz ist unsere heutige, westliche Lebenswelt. Das Aufbegehren der kleinen Rebellion entsteht nicht aus der Not heraus und hat keinen direkten, greifbaren Gegner. Vielmehr versucht sie sich durch ihr Denken und Handeln in ihrer Unabhängigkeit von fremdbestimmenden Faktoren zu bestätigen, was in unserer individualisierten, pluralistischen, flexiblen Lebenswelt gar nicht so einfach ist.[48]

In der Einleitung habe ich den Vergleich der einzelnen Folge zum Aphorismus aufgestellt. Die Serie als Sammlung „winzige[r] Dramen“ erschien mir die richtige Lösung, um der kleinen Rebellion den nötigen Spielraum zu geben, ihren Charakter zu leben und zu kommunizieren ohne aufdringlich oder langweilig zu werden. Die kleine Rebellion ist keine Drama-Queen und kann keine außergewöhnliche Schicksalswendung im Leben vorweisen, im zusammenhängendem Film hätten die unaufgeregten Geschichten ihres Alltags eines größeren Spannungsbogen bedurft, um den Zuschauer zu binden, dieser hätte sie aber zum Helden oder Anti-Helden stigmatisiert. Im Standbild oder Mini-Loop wäre die Bedeutungsebene der Handlung verloren gegangen.

Die Folgen der Serie sollen nicht aufeinander aufbauen, sondern in sich abgeschlossen sein. Die Serie, die daraus entsteht, ist somit prinzipiell unendlich produzierbar.[49]

Damit die Serie unabhängig von der Thematik den Zuschauer für sich gewinnen und an sich binden kann, muss sie vor allem zwei Kriterien erfüllen:
Einmal muss jede einzelne Folge einen gewissen Charme haben, um das Interesse an mehr zu wecken. Außerdem müssen die Folgen untereinander einen Wiedererkennungswert haben, der ihre Zusammengehörigkeit klar kommuniziert und die Folgen zum großen Ganzen der Serie bündelt. Das stellt die größte Herausforderung an die Gestaltung der Serie dar. Die Sympathie und emotionale Bindung an den Charakter entsteht dann über das Gesamtbild, das sich aus der Serie ergibt.

Die Serie „Die kleine Rebellion“ soll lustig und griffig zum Lachen und Denken anstiften.

4. Gestaltung

4.1 Form

Das Charakterdesign der kleinen Rebellion ist der ausschlaggebende Punkt der Gestaltung, aus dem sich alles andere ableiten lässt. Die wichtigsten formalen Kriterien, an denen sich das Design messen lassen muss, sind Wiedererkennbarkeit bzw. Unverwechselbarkeit. Die wichtigsten inhaltlichen Kriterien sind die sympathische Wirkung und der rebellische Grundausdruck. Außerdem soll die kleine Rebellion zu vielen Ausdrucksmöglichkeiten fähig sein und sich für ein Animations-Baukastensystem eignen, um auch in bewegter Form leicht reproduzierbar zu sein.

Um all diesen Ansprüchen gerecht werden zu können, benötigt der Charakter der kleinen Rebellion mindestens eine markante formale Eigenschaft. Ich orientierte mich vor allem an der sehr reduzierten Formensprache meiner Inspirationsquellen.

Im Entwurfsprozess wurde der Charakter der kleinen Rebellion immer schlichter und reduzierter, aber auch stärker in ihrer Aussage. Ihr Kopf-Körper beruht auf der Idee des Halbkreises, er stützt sich über gedachte Beinen auf zwei schmale Bobbel[50] als Füße, in ihrer Grundhaltung hat sie keine Hände. Im Gesicht sind die Augen auf zwei kurze Striche reduziert, ein Mund fehlt. Das verleiht ihr in der vermeintlichen Ausdruckslosigkeit eine stoische Gelassenheit. Ihre runde harmonische Grundform wird einzig von den Haaren durchbrochen. Diese wachsen in Leserichtung[51] vom Kopf weg, und stehen nach den Gestaltungsgrundlagen der Komposition einer gedachten Zukunft entgegen. In der Widerspenstigkeit der Haare wird der rebellische Grundzug kommuniziert. Dieses äußere Merkmal teilt sie mit mehreren bekannten rebellischen Kinderhelden. Harry Potters Haar „wucherte vor sich hin – wie ein wilder Garten“[52], das „brandrote Haar lohte wie Feuer“ über der roten Zora[53], die Haare des Sams standen „wie Stacheln eines Igels nach oben“[54], und nicht zu vergessen Pippi Langstrumpfs Zöpfe, die störrisch seitwärts von ihrem Kopf wegstehen.

Die Augen entwickelten sich im Entwurfsprozess von kugeligen Comic-Augen mit Augapfel und Pupille zu einfachen Knopfaugen. Augenbrauen oder Wimpern hat die kleine Rebellion dann, wenn sie für den unmissverständlichen Ausdruck notwendig sind. Die Knopfaugen weisen gegenüber detaillierteren Augenformen keine Nachteile im Ausdruck auf, sind aber als reduzierteste Form der Augen die konsequente Weiterführung des auf das Minimum reduzierten Körpers. Ebenso verhält es sich mit den Füßen. Von Strichbeinen mit Stiefelchen blieben am Ende die auf flache Bobbel reduzierten Füße, die über gedachte Beine mit dem Körper verbunden sind.

Eine Herausforderung stellte das Design der Hände dar. Sie sollten nur dann sichtbar sein, wenn die kleine Rebellion sie benötigt, um zu gestikulieren oder etwas zu greifen. Über viele Zwischenschritte, von der Handschuh-Hand mit vier Fingern über den Fäustling bis zum schlichten Bobbel – nur mit Outline oder schwarz ausgefüllt – wurden die Funktionalität der Hände und ihre Wirkung im Gesamteindruck getestet. Die befingerte Hand erwies sich als zu detailliert im Vergleich zum Rest des Charakters, der Bobbel als zu reduziert im Verlust der Funktion der Finger. Also wurden die Hände flexible Bobbel mit Finger-Potential und folgen ihrem eigenen Prinzip: Eine Hand hat dann Finger, wenn sie für den Ausdruck benötigt werden.[55]

Ein weiteres wichtiges Element, welches die Fähigkeit zur Kommunikation der kleinen Rebellion garantiert, ist der Mund. In der Grundhaltung fehlt er, ist aber sichtbar, wenn er aufgemacht wird oder sich zum Lächeln verzieht.

Als grafische Linienzeichnung hat die Rebellion eine einheitliche Strichstärke und weist keine Variation in der Linie z.B. aufgrund der Druckempfindlichkeit des Stiftes vor.

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4.2 Ausdruck und Bewegung

„When you animate a character, you are expressing its thoughts and emotions through the illusion of movement and theatrical action. The movement can be slight as the tightening of a gaze […] or a Mona Lisa smile, but there must be movement if the character’s thoughts are to mean anything to the audience.“ Mit diesen Zeilen bringt Ed Hooks die Idee der Animation auf den Punkt.

Die Animation der kleinen Rebellion sollte so unaufgeregt sein wie ihr Charakter. Allgemein orientiert sich die Bewegung an den klassischen zwölf Animationsprinzipien, sollte aber durch die Einhaltung der Prinzipien keinen überzeichneten comichaften Eindruck machen, sondern dezent den jeweiligen Ausdruck unterstützen.[57]

Mit dem Walk Cycle wurde die Tonalität der Animation festgelegt. Er beeinflusste auch maßgeblich das Charakterdesign. In ihm wurde offensichtlich, dass Strichbeine stelzig und sperrig und die Kugelaugen zu comichaft wirkten.[58] Die kleine Rebellion ist nie im Profil zu sehen, sondern steht faktisch schräg zu ihrem Gegenüber. Im Walk Cycle ist ihr Gesicht demnach immer dem Betrachter zugewandt, wodurch der Geh-Stil eine Mischung aus Geradeausgehen und Krebsgang ist. Rein optisch fällt das aber nicht ins Auge, sondern wirkt natürlich.[59]

In weiteren Bewegungsstudien wurde die Körperbewegung und das Ausdrucksspektrum des Charakters geprobt. Daraus leiteten sich Richtlinien ab, nach denen die kleine Rebellion sich bewegt und deformiert. Die Augen können sich in langgezogenen Striche weiten, sie können blinzeln, indem sie vom kurzen, senkrecht stehendem Strich zum kurzen quer liegendem Strich werden. Wenn der Mund sich weitet, verzerrt er nicht die Außenform der kleinen Rebellion mit, sondern bricht sozusagen aus ihr heraus, dadurch ist er flexibel im Ausdruck und muss sich nicht in den Körper einpassen. Die Hände tauchen nur auf, wenn die kleine Rebellion sie braucht.

Für alle Elemente gilt: Starke Deformierungen sind nur Mittel zum Ausdruck in der schlüssigen Bewegung und legen die Schlüsselbilder der Animation fest, die Grundform muss immer erhalten bleiben, das Volumen darf sich optisch nicht verändern. Für die Körperform im Speziellen bedeutet das auch, dass die Ecken in jeder Phase erkennbar sein müssen.

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4.3 Umwelt

Die Umwelt der kleinen Rebellion beruht auf dem gleichen Prinzip wie sie selbst: Es ist nur zu sehen, was für die Aussage nötig ist. Standardmäßig besteht sie also lediglich aus einer Linie, die Boden und Horizont bildet. Die Welt aus Dingen und Charakteren wird über die gleiche Strichstärke und den runden Fluss der Linienführung zusammengehalten.

Im Arbeitsprozess entstanden Versuche, in denen die dingliche Welt aus der Linie heraus entsteht und sich nicht klar von ihr abtrennt. Das hatte zwar die grafischere Wirkung, war aber nicht praktikabel. Die kleine Rebellion sollte auch vor einem breiteren Haus vorbeigehen können, ohne den Eindruck zu erwecken, zu schweben. Der grafische Effekt wird jetzt zur Staffelung in die Tiefe angewendet. Alles, was näher beim Betrachter als bei der kleinen Rebellion ist, entsteht aus der Linie heraus, alles hinter ihr und auf gleicher Ebene trennt sich von der Linie ab.

Für die Serie wurde ein Farbkanon aus insgesamt 10 Farben erstellt, von denen jeweils eine pro Folge als Hintergrundfarbe verwendet wird. Die Farbtöne wurden im RGB-Farbraum erstellt. Sie sind eher warm und gedeckt, geben den unaufgeregten Grundton der Serie wieder und legen die Stimmung der einzelnen Folge fest.[60]

Die Gegenstände innerhalb der Welt lassen sich in ihrer Form nicht so weit reduzieren wie der Mensch. Sie sind nicht lebendig und dynamisch, somit muss das wesentliche Funktionsspektrum im statischen Bild erkennbar sein und sie bleiben in ihrer realen Grundform so gut wie erhalten.[61] Die Menschen in der Welt beruhen alle auf der gleichen Grundform wie die kleine Rebellion. Sie unterscheiden sich über Breite, Höhe und Krümmung. Jede Figur hat ein Attribut, das ihren wesentlichen Charakterzug bestimmt.[62],[63]

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4.4 Einstellungen

Dem allgemeinen Minimalismus der gestalterischen Elemente entsprechend ist die Rolle der Einstellung auf die Variation der Kriterien des Standpunkts und der inhaltlichen Bildelemente reduziert. Der Blickwinkel dagegen ist immer gleich, er verändert sich nur in Ausnahmefällen, und die gedachte Kamera ist größtenteils statisch außer wenn sie sich parallel zur laufenden kleinen Rebellion bewegt, um diese im Bild zu behalten. Der klassische Einstellungskanon von der Totale bis zur Detailaufnahme[64] sollte an die Dimension der Welt und der kleinen Rebellion angepasst so weit wie möglich reduziert werden ­– sprich Totale, Nahaufnahme, Detailaufnahme.

Bei der Entwicklung der Storyboards zeigte sich aber, dass bereits minimale Verschiebungen des Standpunkts des Betrachters die Aussage stark veränderten. Deswegen wurde der Kanon um zwei Totalen erweitert.[65]

In der Totalen wird das Geschehen aus der Ferne betrachtet, das Rundherum und dessen Verhältnis zur kleinen Rebellion ist wichtig. In der Halbtotale ist der Betrachter näher dran, aber nicht zu nah, um der Situation aufdringlich zu werden, es sind häufig andere Personen im Bild. In der Vierteltotale[66] ist man schon fast dabei, die Konzentration liegt auf der kleinen Rebellion. Im Close Up geht es ausschließlich um die kleine Rebellion, der Extreme Close Up zeigt nur ein wichtiges Detail.[67]

Die beiden letzten Einstellungen kommen am seltensten vor. Die Tonalität der Folgen ist insgesamt nicht auf Spannung und Drama ausgelegt, die Nahaufnahme hat in der Serie der kleinen Rebellion also weniger den Zweck eine „dramatische Lebendigkeit“[68] zu erzeugen, sondern vor allem sachlich ein Detail erkennbar zu machen (wie in „Selfie“) oder andere Bildelemente auszuschließen (wie in „Festival“).

Insgesamt tritt die Rolle der Kamera bescheiden in den Hintergrund, Effekthascherei mit vielen Schnitten oder Bewegungen in der Ebene wie in der Tiefe wird vermieden. Der Kamera-Ausschnitt entspricht dem Filmformat 16:9. Die Linienstärken variieren in den einzelnen Einstellungen, um eine optische Einheitlichkeit zu erzeugen.

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4.5 Die Plots

In den Folgen der Serie sollen kurz und knackig Geschichten erzählt werden, die über mehrere Folgen hinweg das Universum der kleinen Rebellion aufspannen und sie gleichzeitig in ihrem Charakter präzisieren. Die Plots können witzig sein, nachdenklich machen, banal oder absurd wirken. „Wie Planeten, die um die Sonne kreisen, kreisen Storys um das Konzept.“[69] Das Konzept besteht hauptsächlich aus dem Charakter, aus ihm heraus bilden sich die Geschichten, die „winzigen Dramen“.

Es wurden dreizehn Plots entwickelt, von denen fünf umgesetzt wurden.

In SELFIE bietet die kleine Rebellion einem Pärchen, das bemüht Selfies von sich macht, an, ein Foto für sie zu machen. Das Pärchen stimmt zu, das Smartphone wird übergeben, die kleine Rebellion schießt ein paar Fotos, gibt das Handy zurück und geht ihres Weges. Das Pärchen blickt euphorisch auf das Display und muss feststellen, dass die kleine Rebellion von sich selbst ein Selfie gemacht hat. Eine kleine Rebellion gegen die Erwartung.

In GRAFFITI befreit die kleine Rebellion eine beschmierte Hauswand vom Graffiti und lässt einzig ein x/0 stehen. Eine kleine Rebellion gegen die Regeln der Mathematik.

In ANTWORT ist die einzige Handlung der kleinen Rebellion das Ausstrecken des Mittelfingers. Eine kleine Rebellion gegen die Prinzipien des Storytellings.

In BEGEGNUNG begegnet sich die kleine Rebellion selbst. Ihr Spiegelbild kommt ihr entgegengelaufen, beide erschrecken, eine dritte kleine Rebellion betritt die Szene und lacht die zwei verunsicherten kleinen Rebellionen aus. Eine kleine Rebellion gegen die Einzigartigkeit.

In BÖTCHEN bastelt die kleine Rebellion Bötchen aus Geldscheinen und lässt sie in einem Fluss schwimmen. Eine kleine Rebellion gegen den Kapitalismus.

Im Nachspann zu BÖTCHEN kommt ein cooler Typ vorbei und schaut der kleinen Rebellion verwundert zu. Die kleine Rebellion lädt ihn ein mitzumachen, indem sie ihm auch einen Geldschein hinhält, er erschrickt fürchterlich, weil er erst jetzt das Geld erkennt.[70]

4.6 Animation

Die Folgen wurden komplett Bild für Bild animiert. Das heißt es wurden 12 Bilder pro Sekunde erstellt. Als Animationssoftware habe ich Harmony (Advanced) von Toon Boom gewählt.

In der Frame-by-frame Animation wird zwischen zwei Arbeitsweisen unterschieden. Pose to Pose und Straight Forward. Straight Forward bedeutet in eine Richtung zu arbeiten, nach vorne, es wird einfach drauf los animiert. Bei der Pose to Pose Animation wird von außen nach innen gearbeitet. Die Bewegung wird auf die wichtigsten Posen runter gebrochen, zwischen denen die nächst-wichtigen gefunden werden usw.[71]

Mit der Entwicklung des Storyboards sind von vornherein die wichtigsten Schlüsselbilder festgelegt. Im Animatic werden diese aneinandergehängt und das Timing bestimmt. Auch wenn ich papierlos animierte und in Harmony die Frames im digitalen x-Sheet unterschiedliche Präfixe haben[72], legte ich zusätzlich zum digitalen ein analoges x-Sheets[73] an, um den Überblick über das Timing der Handlungsabläufe zu behalten und die Animationen grob nach einem ein-sekündigen Beat auszurichten. Der Animationsprozess bestand vor allem aus Zeichnen, Testen, Rendern, Verbessern, Testen, Rendern, x-Sheet anpassen, Zeichnen,…

Um im Timing der einzelnen Körperelemente flexibel zu sein und deren Secondary Action (Erklärung) um einzelne Frames verschieben zu können, liegt jedes Element auf einer eigenen Ebene: Mund, Augen, Füße, Körper plus separate Farbebenen von Mund und Körper.[74]

Auch die Phasen, in denen sich die kleine Rebellion oder andere Charaktere nicht bewegen, sind frame by frame durchanimiert. Somit heben sie sich von der statischen Umwelt ab.

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4.7 Sound

Der Sound soll die Folge lebendiger erscheinen lassen. Rein inhaltlich fügt er in den wenigsten Fällen etwas hinzu, sondern untermalt die Situation durch einen gedanklich aktuellen Sound und hebt teilweise einzelne Bildelemente hervor.

Da ich selbst ein Laie auf diesem Gebiet bin, habe ich mit David Schröter, einem Kommilitonen und Musiker, zusammengearbeitet. Die Schwierigkeit beim Sound Design für Animationen dieser Art sei die „Hohlkehlenrealität“, die keinen offensichtlichen Raum hat, wie es der professionelle Sounddesigner Christian Heck im Gespräch mit mir formulierte, die keinen offensichtlichen Raum hat. Die größte Herausforderung war demnach, einen Sound zu erzeugen, der eine Balance zwischen der realen Welt und der gezeichneten Welt herstellt und weder zu wenig Aussage hat, noch zu übertrieben ist. Im Sound Design wird zwischen Event Sound und Atmo Sound unterschieden. Der Atmo Sound ist meistens nur ein Rauschteppich mit subtilen Details wie Vogelzwitschern oder Motorengeräusche, je nach Atmosphäre, die erzeugt werden soll. Auf inhaltlicher Ebene ist er dazu da, um eine Realität zu erzeugen und einen Raum aufzuspannen, auf technischer Ebene hilft er, die Event Sounds „zusammenzukleben“.

Der Event-Sound wurde im Sound-Studio der Hochschule Augsburg aufgenommen. Das Gehen der kleinen Rebellion sollte leicht und weich klingen, da sie als Zeichentrickfigur nicht das gleiche Gewicht wie ein Mensch hat und zweitens ihre Füße sehr betont abrollen und nicht den harten Sound einer Sohle erzeugen würden. Dafür tappte ich mit Fingern und einer gefilzten Blume auf einem Tuch. Die unkonkrete Körperbewegung, wie das Bewegen einer Hand, wurde auf Empfehlung von Christian mit dem Nachspielen der Bewegung mit einem Leinenhemd erzeugt, was auf subtile Weise den Zeichentrickkörpern Volumen gibt.

Die Plots funktionieren ohne gesprochenen Text. Die Figuren kommunizieren über Gesten und ihren Ausdruck. Die reduzierteste Kommunikation ist das Blinzeln, mit dem sich die Figuren verständigen. Daher wurde neben „Mmmhhmm“- und „Ooohh“-Sounds auch ein Sound für das Blinzeln aufgenommen, um diese Bewegung im Film subtil zu betonen. Er wurde durch leises Schnalzen und dem Tippen eines Fingers in der Handfläche erzeugt. Die Stimmen habe alle ich selbst einge„mhmm“t, da die Serie möglichst eigenständig von mir weiterführbar sein soll. Für jeden Charakter muss die Stimme einen anderen Unterton haben. Die Stimmen sollten auch ohne Bild einzelnen Charakteren zugeordnet werden können.

Musik kommt nur vor, wenn sie dem aktuellen Sound entspricht. Im Soundstudio der Hochschule Augsburg nahmen wir die Sounds mit dem Programm logic auf, David komponierte und bearbeitete die Sounds in Studio One. Beide Programme habe den Vorteil, dass sich Filme einfügen lassen und Ton und Bild in der Software synchronisiert werden können.

 2. Das digitale Baukastensystem

Das digitale Baukastensystem ist die Grundvoraussetzung für eine effiziente Weiterführung der Serie. Mit einer groben Struktur wurde das System im Vorhinein angelegt, seine Funktionalität erprobte sich mit der Entwicklung der ersten Folgen. Letztendlich sollte ein schlüssiges System entstehen, nach dem einfach und intuitiv neue Folgen umgesetzt werden können.

Harmony ist als professionelle Animations-Software auf die Erstellung von animierten Spielfilmen ausgelegt und dementsprechend erwies sich ihre Struktur für die Erstellung eines Baukastensystems als sehr hilfreich. Für jedes Gesamtprojekt kann eine eigene Library[75] angelegt werden, die in beliebig viele Unterordner gesplittet werden kann und auf die in jedem Projekt zurückgegriffen werden kann.

Das Baukastensystem hat eine tiefe Ordner-Hierarchie. Auf erster Ebene liegen die Ordner ANIMATION, GRIDS, MODELS und CREDITS. In ANIMATION liegen die immer wiederkehrenden einzelnen Bausteine wie der Walk unterteilt nach den Einstellungen. In GRIDS liegen die Größenraster der kleinen Rebellion in den unterschiedlichen Einstellungen, in MODELS liegen sowohl Vorlagen für Charaktere und Umwelt, als auch Bewegungen auf ihre einzelnen Frames runter gebrochen, an denen man sich für andere Bewegungen orientieren kann.[76]

Wie bereits erwähnt bildet jedes Einzelelement des Charakters eine eigene Ebene. Das hat den Vorteil, dass z.B. für einen Walk Cycle mit geschlossenen Augen nur die Augen neu animiert werden müssen, der Rest bleibt gleich. Möchte ich in ein Projekt den Walk Cycle der kleinen Rebellion in der Vierteltotalen einfügen, ziehe ich das Template dkr_3_WALK_cycle in die Timeline. Dann stehen mir alle möglichen Ebenen zum Cycle zur Verfügung.[77]

Schluss

Nach Bachelorabschluss ist ein YouTube-Konto für die kleine Rebellion angelegt und erste Folgen online gestellt worden.[78] Die Serie ist nicht profitorientiert konzipiert, nicht von Abnehmer*innen abhängig und wird als eigenständiges Projekt weiterbestehen. Ob sich langfristig Abnehmer*innen für die Serie interessieren, bleibt abzuwarten. Nachdem die Serie keine konkreten Inhalte vermittelt, hätte sie z.B. innerhalb einer Informationsplattform eher die Funktion eines auflockernden Störers.

Parallel zu der Weiterführung der animierten Folgen könnten Comicstrips entstehen, die sich auch in Printformate einbinden lassen, oder auch kurze prägnante Loops, mit denen sich die Reichweite der kleinen Rebellion z.B. über soziale Netzwerke leichter erweitern ließe als über die Folgen.

Hochschule Augsburg, Wintersemester 2015/2016

[1] Die Umfrage diente als Inspiration und verbreitete sich hauptsächlich über die Studierenden der Fakultät Gestaltung an der Hochschule Augsburg. Es haben insgesamt 178 Personen zwischen 15 und 66 Jahren im Zeitraum vom 6. Dezember 2015 bis zum 28. Dezember 2015 teilgenommen. Die Umfrage kann nicht als repräsentativ gelten. Das Bild der allgemeinen Assoziation mit Rebellion erwies sich jedoch mit nur wenigen Ausnahmen als sehr homogen, was darauf schließen lässt, dass die Ergebnisse in diesem Teil der Umfrage vermutlich auch im größeren Umfang ähnlich ausgefallen wären Demnach scheint in der allgemeinen Wahrnehmung Rebellion ein Phänomen zu sein, das in erster Linie nicht mit der eigenen Lebenswelt verknüpft wird. Erst der persönliche Bezug in der im Text zitierten Frage erweiterte das Assoziationsspektrum um die unterschiedlichsten, individuellen Handlungen.

[2] Damit schließe ich die kleinen Rebellionen aus, die sich hauptsächlich in der klaren Meinungsäußerung oder im Protest ausdrücken, und beschränke mich auf das Aufbegehren des Individuums, das nicht aus einer Not heraus entsteht und sich nicht gegen einen direkten, greifbaren Gegner richtet.

[3] Vgl. Thorsten Schilling: „Editorial“. In: Fluter 39 (2011) H. 3. S. 3.

[4] Hannah Arendt: Über die Revolution. München: Piper 41994.

[5] Heinz Abels: Identität. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 22010. S. 131.

[6] Joachim Hohl/ Heiner Keupp: „Einleitung“. In: Subjektdiskurse im gesellschaftlichen Wandel. Zur Theorie des Subjekts in der Spätmoderne. Hrsg. von Joachim Hohl/ Heiner Keupp. Bielefeld: transcript 2006. S. 12.

[7] Beispiele: Die Räuber von Friedrich Schiller 1782, Aus dem Leben eines Taugenichts von Eichendorff 1822, Immensee von Theodor Storm 1849 oder Fräulein Else von Arthur Schnitzler 1924.

[8] Martin Poltrum: „Jugend im Wandel der Zeit – Streifzüge durch das 20. u. 21. Jahrhundert.“ http://www.philosophiepraxis.com http://www.philosophiepraxis.com/leseproben/jugend%20im%20wandel%20der%20zeit.pdf (besucht am 3.11.15) S. 3.

[9] Ebd.

[10] Peter Schneider: Rebellion und Wahn. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2010. S. 125.

[11] Vgl. Joachim Hohl/Heiner Keupp: „Einleitung.“ S. 8 sowie Axel Honneth: „Organisierte Selbstverwirklichung. Paradoxien der Individualisierung.“ In: Kreation und Depression. Freiheit im gegenwärtigen Kapitalismus. Hrsg. von Christoph Menke/Julia Rebentisch. Berlin: Kulturverlag Kosmos, Sonderausgabe 2012. S. 68 und Hans-Joachim Busch: „Das Unbehagen in der Spätmoderne. Zur gegenwärtigen Lage des Subjekts aus der Sicht einer psychoanalytischen Sozialpsychologie.“ In: Subjektdiskurse im gesellschaftlichen Wandel. Zur Theorie des Subjekts in der Spätmoderne. Hrsg. von Joachim Hohl/Heiner Keupp Bielefeld: transcript Verlag, 2006. S. 205.

[12] Elisabeth Beck-Gernsheim: „Individualisierungstheorie: Veränderungen des Lebenslaufs in der Moderne.“ In: Zugänge zum Subjekt. Hrsg. von Heiner Keupp. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1993.

  1. 136.

[13] Heiner Keupp: „Identitätsarbeit heute: Befreit von Identitätszwängen, aber ein lebenslanges Projekt.“ Vortrag im Rahmen der Tagung Zukunftsfeld Bildungs- und Berufsberatung. Das Gemeinsame in der Differenz finden im Bundesinstitut für Erwachsenenbildung St. Wolfgang am 26.4.2012. http://www. bifeb.at/fileadmin/samba/Fachtagung/Keupp_Identitaetsarbeit.pdf (besucht am 28.12.2015). Folie 18.

[14] Vgl. Oliver Dimbath: Einführung in die Soziologie. 2. Auflage. München: Wilhelm Fink Verlag 2011. S. 186.

[15] Vgl. Dimbath: Einführung in die Soziologie. S. 194 sowie Vgl. Heiner Keupp: „Identitätsarbeit heute.“ Folie 38.

[16] Ebd. Folie 39.

[17] Axel Honneth: „Organisierte Selbstverwirklichung.“ S. 73. Siehe auch: Heinz Abels: „Vorbemerkung.“ S. 19.

[18] Elisabeth Beck-Gernsheim: „Individualisierungstheorie.“ S. 133.

[19] David Pfeifer: „Selfies aus der Steinzeit.“ In: Süddeutsche Zeitung (7.11.15).

[20] David Hugendick: „Oh Baby, sei doch glücklich.“ http://www.zeit.de http://www.zeit.de/kultur/2014-01/julia-engelmann-hype-glueck (besucht am 29.1.16).

[21] Julia Engelmann: „One Day.“ Im YouTube Video: 5. Bielefelder Hörsaal-Slam – Julia Engelmann – Campus TV 2013. https://www.youtube.com/watch?v=Dox
qZWvt7g8 (besucht am 25.1.2016) .

Das YouTube-Video hatte innerhalb weniger Tage über eine Millionen Views und hat mittlerweile an die 9 Millionen Views.

[22] Der Song erreichte erst durch den Remix des DJs Wankelmut den aktuellen Bekanntheitsgrad.

[23] Kaleb Erdmann: „Leb dein Leben nicht.“ Im YouTube Video: 22. Krone Slam – Vorrunde 3: Kaleb Erdmann – Leb dein Leben nicht. https://www.youtube.com/watch?
v=3l7oW3USPus (besucht am 25.1.2016) Anm.: ‚yolo‘ steht für ‚you only live once‘.

[24] Dieses Video hat knapp 10.000 Views.

[25] Siehe S.21.

[26] Vgl. Axel Honneth: „Organisierte Selbstverwirklichung.“ S. 70 ff.

[27] Ebd. 74.

[28] Wlada Kolosowa: „Tote Hipster.“ In: ZEIT Campus Heft 5 (2015). S.76.

[29] Axel Honneth: „Organisierte Selbstverwirklichung.“ S. 74.

[30] Coca Cola im YouTube Video: Coca-Cola – Sei verrückt – Schwing dich auf die Schaukel!. https://www.youtube.com/watch?v=S47c09wYXgE (besucht am 26.1.2016).

[31] Beck‘s im YouTube Video: Becks‘s TV-Spot „Folge deinem inneren Kompass“. https://www.youtube.com/watch?v=Dl2CCYJsZaE (besucht am 26.1.2016).

[32] Die Überschrift des US-amerikanischen Satire-Formats the Onion kommentierte 2010: „Two Hipsters Angrily Call Each Other ‚Hipster’“.

[33] Marc-Uwe Kling: Die Känguru-Offenbarung. Berlin: Ullstein 2014. S. 239.

[34] Niels Boing/ Lebert Andreas: „‚Tut mir leid, aber das sind Tatsachen’“ http://www.zeit.de http://www.zeit.de/zeit-wi sen/2014/05/byung-chul-han-philosophie-neoliberalismus (besucht am 27.10.2015).

[35] Nils Markwardt: „Einmal Leben mit Happy End, bitte.“ http://www.zeit.de http://www.zeit.de/kultur/2015-12/selbstverwirklichung-optimierung-essay (besucht am 20.1.2016).

[36] Ebd.

[37] Anm. Was nicht heißt, dass wir keine Verantwortung für die existentielle Not nicht-westlicher Länder tragen, die unter unserem persönlichen Wohlstand leiden, aber das ist ein anderes Thema.

[38] Joachim Hohl/ Heiner Keupp: „Einleitung.“ S. 12 f.

[39] Carl Hegemann: „Freiheit ist, grundlos etwas zu tun.“ In: Kreation und Depression. Freiheit im gegenwärtigen Kapitalismus. Hrsg. von Christoph Menke/ Julia Rebentisch. Berlin: Kulturverlag Kadmos, Sonderausgabe 2012. S.84.

[40] Ebd. S. 86.

[41] Joachim Hohl/ Heiner Keupp: „Einleitung.“ S. 9.

[42] Heiner Keupp: Vortrag: „Identitätsarbeit heute.“ Folie 49.

[43] Ebd. Folie 51.

[44] In Anlehnung an das bekannte Zitat von Immanuel Kant aus seiner „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung.“ In: Berlinische Monatsschrift (Dezember 1784).

[45] Axel Honneth: „Organisierte Selbstverwirklichung.“ S. 78.

[46] Hans-Dieter Schütt: „Die Magie des Herrn Mosekund. Vorwort“. In: Wolfgang Hübner: Moskunds Merkzeugkasten. Berlin: Eulenspiegel Verlag 2015. S. 7.

[47] Ein Moodboard wird im Design verwendet, um die Stimmung, die das Produkt vermitteln soll, zu veranschaulichen, indem Bilder, Stichworte etc. collageartig auf einen großen Kartonbogen geklebt oder gedruckt werden.

[48] Siehe Teil A.

[49] Vgl. Knut Hickethier: Film- und Fernsehanalyse. Dritte Auflage. Stuttgart: Verlag J.B. Meltzer 2001. S. 198 f.

[50] Mir fällt schlichtweg kein Wort ein, das diese Form besser beschreibt, deswegen werde ich „Bobbel“ auch weiterhin verwenden.

[51] Wenn sie (wie fast immer) zum Betrachter gewandt steht.

[52] Joanne K. Rowling: Harry Potter und der Stein der Weisen. Hamburg: Carlsen Verlag GmbH 1998. S. 26.

[53] Kurt Held: Die rote Zora und ihre Bande. Hamburg: Carlsen Verlag GmbH. S. 51.

[54] Paul Maar: Eine Woche voller Samstage. Hamburg: Verlag Friedrich Oettinger 1973. S. 17.

[55] Visuelle Darstellung der Entwicklung der Hand auf Seite 46. Siehe auch Bewegungsstudien auf Daten-DVD, Verweis auf S.57.

[56] Hooks, Ed: Acting for Animators. Portsmouth: Heinmann 2003. S. 19.

[57] Siehe z.B. Illusion of Life.

[58] Walk Cycle Vergleich auf Seite 47.

[59] Walk Cycle Bildweise auf Seite 48 .

[60] Farbkanon auf Seite 51.

[61] Umwelt – Dinge auf Seite 52.

[62] Umwelt – Menschen aus Seite 53.

[63] Konzeption > Gestaltung > Studien > Umwelt > _movs.

[64] Siehe Kandorfer, Filmgestaltung, S. 71-76.

[65] Die Benennungen der Einstellungen sind per Zufall in der Entwicklung des Kanons entstanden und haben sich im weiteren Arbeitsprozess etabliert, sie ist eine improvisierte Mischung aus den deutschen und englischen Fachbegriffen so wie einem Neologismus.

[66] Das hier ist der besagte Neologismus, die Vierteltotale gibt es in der Filmsprache so nicht, ich habe die Halbtotale gedanklich ein weiteres mal halbiert, daher der Name.

[67] Einstellungen auf Seite 5

[68] Pierre Kandorfer: Lehrbuch der Filmgestaltung. Gau-Heppenheim: Mediabook-Verlag 2003. S. 102.

[69] Jörg Ihle: „Film, Games, Mobile.“ In: Innovation in den Medien. Hrsg. von Markus Kaiser. München: Verlag Dr. Gabriele Hooffacker/MedienCampus Bayern e.V. 2013. S.129.

[70] Übersicht der Plots auf Seite 55.

[71] Vgl. Richard Williams: The Animator’s Survival Kit. Expanded Edition. New York: Faber and Faber, Inc. 2009. S. 61-63.

[72] Z.B. ist den frame-Zahlen des Walk Cycles „wc“ vorangestellt.

[73] Ausschnitt aus einem x-Sheet auf Seite 56 .

[74] Screenshot zweier Szene in Harmony auf Seite 57.

[75] Ich verwende die englischen Begriffe, nachdem ich die Software in englischer Sprache habe.

[76] Screenshot der Ordnerstruktur auf Seite 58

[77] Screenshot eines Templates in Harmony auf Seite 59

[78] zu finden unter: http://ellli.eu/diekleinerebellion.html